Exklusiv Daimler-Vorstandsmitglied Wolfgang Bernhard hält trotz der schwierigen Konjunktur an den ehrgeizigen Renditezielen in der Lastwagensparte fest – und nimmt die weitere Verbesserung der Ertragslage ins Visier.

Stuttgart - Daimler-Vorstandsmitglied Wolfgang Bernhard hält trotz der schwierigen Konjunktur an den ehrgeizigen Renditezielen in der Lastwagensparte fest – und nimmt die weitere Verbesserung der Ertragslage ins Visier.
Herr Bernhard, die IAA ist ein wichtiges Barometer für das Geschäftsklima in der Nutzfahrzeugbranche. Wie sehen die Perspektiven vor dem Start der Messe aus?
Es gibt rund um den Globus sehr große konjunkturelle Unterschiede. In den USA wächst der Markt stärker, als wir Anfang des Jahres erwartet haben. In Europa und Lateinamerika haben wir dagegen unsere Erwartungen Ende Juli nach unten korrigiert. In Europa wird der Markt in diesem Jahr um mindestens fünf Prozent schrumpfen, wobei die Betonung auf mindestens liegt.
Bisher rechneten Sie in diesem Jahr mit einem deutlichen Anstieg des Gewinns. Ist diese Prognose noch zu halten?
Obwohl wir erheblichen konjunkturellen Gegenwind spüren und zudem negative Wechselkurseffekte in der Größenordnung von 250 Millionen Euro verkraften müssen, werden wir aus heutiger Sicht mit der Anstrengung der gesamten Mannschaft unser Ziel erreichen. Der Ertrag wird deutlich höher sein als im Vorjahr.
Dies ist wohl vor allem auf das vor zwei Jahren gestartete Sparprogramm Trucks Number One zurückzuführen, das bis Ende dieses Jahres eine Ergebnisverbesserung von insgesamt 1,6 Milliarden Euro bringen soll.
Trucks Number One wird leider oft als reines Sparprogramm gesehen. Das greift aber zu kurz. Wir dürfen uns nicht nur auf Einsparungen beschränken, sondern müssen auch zusätzliche Wachstumschancen entschlossen und nachhaltig wahrnehmen. Zu Truck Number One gehört beispielsweise der Export von Fahrzeugen, die in Indien produziert werden, in Schwellenländer Südostasiens und Afrikas. Und es geht darum, das Ersatzteilgeschäft auszubauen. Wir müssen unseren Kunden attraktive Angebote machen, damit sie den Service bei uns erledigen lassen. Insgesamt haben wir zehntausende von Maßnahmen unterschiedlichster Dimension bereits umgesetzt oder in die Wege geleitet. Der gesamte wirtschaftliche Erfolg dieser Maßnahmen wird sich aber erst im nächsten Jahr in vollem Umfang in der Bilanz niederschlagen.
Trucks Number One wird in diesem Jahr abgeschlossen. Wie geht es weiter? Wird es ein Nachfolgeprogramm geben?
Wir wollen den großen Schwung nutzen, der mit diesem Programm entstanden ist. Es gibt viele Maßnahmen, die weit über das Jahr 2014 hinausreichen. Es gibt viele Vorschläge und Ideen, die 2015, 2016 oder gar erst 2017 greifen. Diese werden auf keinen Fall in der Schublade verschwinden. Wir werden weiter daran arbeiten, uns kontinuierlich zu verbessern. Es wird jedoch kein neues Programm mit einem konkreten Kostensenkungsziel geben.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass stets die Gefahr von harten Preiskämpfen entsteht, wenn der Markt schrumpft. Spüren Sie schon eine Rabattschlacht in Europa?
Der eine oder andere Wettbewerber wird nervös. Aber es gibt keinen Preiskrieg in Europa. Wir selbst fahren einen restriktiven Kurs bei den Preisen.
Was bedeutet die Flaute in Europa für die Beschäftigung im Lkw-Werk Wörth? MAN hat bereits Kurzarbeit angekündigt.
Kurzarbeit ist bei uns kein Thema. Die Abschwächung können wir mit unseren flexiblen Arbeitszeitmodellen sehr gut abfedern. Zunächst einmal fallen ursprünglich geplante Samstagschichten aus. Möglicherweise werden wir zudem Brückentage nutzen, die Weihnachtsferien verlängern oder die Bandgeschwindigkeit verringern. Endgültig ist das noch nicht entschieden.
Der Wörther Betriebsratschef Ulli Edelmann hat berichtet, dass mit dem Management über die Zukunft des Standorts diskutiert wird und langfristig 800 der 12400 Jobs gefährdet sein könnten. Angeblich will das Unternehmen Teile von Zulieferern beziehen, die bisher selbst hergestellt wurden. Was hat es damit auf sich und wie ist der Stand der Gespräche?
Wörth ist das Kernstück unserer Lkw-Produktion bei Mercedes-Benz. Damit das so bleibt, wollen wir hier wie an jedem anderen Standort auch unsere langfristige Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Darüber sprechen wir derzeit mit dem Betriebsrat. Es gibt noch keine Entscheidungen. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich nicht näher darauf eingehen kann.
Und wie sieht es mit der Beschäftigung in den konzerneigenen Zulieferwerken aus?
Die Motoren- und Getriebewerke arbeiten derzeit an der absoluten Höchstgrenze. Dort gibt es sogar samstags und sonntags Sonderschichten, vor allem wegen der starken Nachfrage auf dem US-Markt.
Aber dennoch machen sich die Mitarbeiter im Motorenwerk Mannheim und im Achsenwerk Kassel Sorgen, weil dort auf längere Sicht angeblich viele Arbeitsplätze auf der Kippe stehen.
Wir wollen uns in den Zulieferwerken auf die Produktion von Komponenten konzentrieren, mit denen wir uns von den Wettbewerbern abheben können. Die Produktion einiger technisch wenig anspruchsvoller Komponenten, die jeder herstellen kann, wollen wir aufgeben. Insgesamt wird die Beschäftigung dadurch langfristig sicherer, auf einen sehr langen Zeitraum bis 2020 aber auch leicht rückläufig sein. Dies kann man durch natürliche Fluktuation aber leicht bewältigen. In Gaggenau haben wir schon eine gute Vereinbarung getroffen, in Mannheim und Kassel laufen die Gespräche noch. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu guten Lösungen kommen.
Im Juli hat Daimler als Weltpremiere einen Lastwagen präsentiert, bei dem ein elektronischer Chauffeur , genannt Highway Pilot, dem Fahrer die Arbeit abnehmen soll. Auf den Markt soll dieser autonom fahrende Lastwagen frühestens Mitte des nächsten Jahrzehnts kommen. Ist es nicht etwas kühn, angesichts von vielen offenen Fragen jetzt schon eine langfristige Prognose zu wagen?
Mit dem autonom fahrenden Lastwagen signalisieren wir, dass wir nicht nur an den Lösungen von morgen, sondern auch von übermorgen arbeiten. Obwohl aus rechtlichen Gründen noch nicht alles umgesetzt werden kann, zeigen wir schon einmal, wie übermorgen der Transport aussehen könnte, woran unsere Forschung ganz konkret arbeitet.
Aber unterschätzen Sie nicht die Probleme? Bisher ist das autonome Fahren nicht erlaubt. Fragen des Datenschutzes sind ebenso ungeklärt wie die Haftung bei Unfällen. Zudem verlangt der Highway Pilot perfekte Fahrbahnmarkierungen und Kartenmaterial in einer Präzision, die es bisher nicht gibt. In Baustellen kapituliert die Elektronik und muss der Fahrer übernehmen.
Die Infrastruktur muss unabhängig vom autonomen Truck verbessert werden. Und künftig werden wir auch Baustellen autonom durchfahren. Wenn es dem Pkw gelingt, sogar auf Landstraßen autonom zu fahren, sollte es für den Lkw ein Leichtes sein, dies auf der Autobahn zu schaffen. Denn die Autobahn ist ein viel einfacheres Verkehrsmodell als die Landstraße. Dort Gibt es keine Fußgängern, Ampeln, Kreuzungen oder Gegenverkehr. Technisch sind wir dazu in der Lage und haben die Diskussion zur Lösung der rechtlichen Fragen jetzt ganz bewusst angestoßen. Wir haben einige Jahre Zeit, die Gesetze, Beschlüsse und Rahmenbedingungen für diesen Lastwagen der Zukunft zu schaffen.
Die Speditionen kalkulieren ja sehr knapp. Und dieser Super-Truck dürfte recht teuer sein. Wie wollen Sie die Transportunternehmen davon überzeugen, dass sich der Aufpreis lohnt?
Der Aufpreis wird erschwinglich sein. Es wird keinen Riesensprung geben. Schauen Sie sich die Preisstellung einer Distronic Plus in der S-Klasse an, die automatisch den gewünschten Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug hält und den Fahrer beim Lenken unterstützt. Dieses am weitesten fortgeschrittene System kostet einen vierstelligen Betrag. So viel mehr Komponenten brauchen Sie für den Highway Pilot im Lkw auch nicht. Zu den großen Vorteilen zählt beispielsweise ein geringerer Verbrauch, weil ein autonomer Truck viel vorausschauender fahren kann. Zudem wird die Sicherheit verbessert. Ein autonomer Truck ist nie übermüdet oder abgelenkt und unaufmerksam, sondern ist zu jeder Tages- und Nachtzeit hundertprozentig auf seine Aufgabe konzentriert.
Auf der IAA zeigen Sie nun eine Design-Studie dieses Trucks, dessen Fahrerkabine eine Wohlfühlatmosphäre wie ein luxuriöses Wohnmobil ausstrahlt. Wenn man sich auf Autobahn-Raststätten die Kabinen der Lkw mit ausländischen Billigfahrern ansieht, kann man sich kaum vorstellen, dass die Speditionen dafür Geld locker machen und dies ein großer Markterfolg wird.
Das sehen wir anders. Die Fahrer verlangen nach wohnlicheren Kabinen und einem vollumfänglichen Kommunikations- und Informationsangebot. Genau diesem Bedürfnis tragen wir Rechnung. Schon der aktuelle Actros war in dieser Hinsicht ein großer Sprung. Mit dem Future Truck gehen wir jetzt den nächsten Schritt. Sie haben schon Recht: Nicht alles, aber vieles davon wird sich in künftigen Serien-Lastwagen wieder finden. Gerade in Zeiten von Fahrermangel sind das gute Voraussetzungen für einen Markterfolg.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Ihr langjähriger Kollege Andreas Renschler, der zuletzt Lkw-Chef von Daimler war, wird künftig die Nutzfahrzeugsparte des VW-Konzerns führen. Mancher Daimler-Mann nimmt Renschler diesen Wechsel zum Wettbewerber sehr übel, der Daimler als weltweite Nummer eins ablösen will. Ist das Verhältnis vergiftet?
Ich habe mit Andreas viele Jahre im Vorstand vertrauensvoll zusammengearbeitet. Wir haben viele Dinge gemeinsam vorangebracht und haben eine gute Zusammenarbeit gepflegt. Daher wird es auf der persönlichen Ebene keine Schwierigkeiten geben. Aber klar ist natürlich auch: Wir sind jetzt Konkurrenten. Und selbstverständlich werde ich mich bemühen, mit meiner Organisation den anderen Unternehmen in jeder Sekunde einen intensiven Wettbewerb zu liefern. Das ist grundsätzlich unser Anspruch. Und zwar unabhängig vom Unternehmen und wer dort Vorstand ist.
Sie haben ihrem Ex-Kollegen keine Tipps gegeben, wie er sich im Wolfsburger Haifischbecken bewegen muss? Sie haben da ja Erfahrungen als ehemaliger VW-Vorstand.
Nein. Darüber haben wir nicht gesprochen.