Für CDU-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hätte eine Auszeit  oder gar ein Ausstieg maroder Länder von der Eurozone unabsehbare Folgen.

Stuttgart - Für die Eurostaaten beginnen die entscheidenden Wochen. Auf dem Gipfel am kommenden Freitag soll die Struktur des Krisenmechanismus besprochen werden. Der Finanzminister Wolfgang Schäuble hält eine Erweiterung des aktuellen Rettungsfonds für unvermeidlich.

 

Herr Schäuble, auf den ersten Blick hat sich die Lage im Euroraum entspannt. Der Eurokurs steigt, bisher muss kein neues Land unter den Rettungsschirm. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Die Lage hat sich ein Stück weit entspannt. In den Finanzmärkten ist die Überzeugung gewachsen, dass die Europäer entschlossen sind, ihre gemeinsame Währung zu verteidigen. Das ist die entscheidende Botschaft, die die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident Sarkozy auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos in aller Klarheit deutlich gemacht haben. Seitdem ist wieder Realismus an den Finanzmärkten eingekehrt. Es war zuvor auch nicht zu begründen, weshalb die Märkte Belgien zeitweise schlechter bewerteten als beispielsweise ein zentralasiatisches Land. Es sind aber noch nicht alle Probleme gelöst. Ziel der Bundesregierung ist, bis zum Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 24./25. März ein umfassendes Maßnahmenpaket zu verabreden.

Die Bürger sind wegen der Eurokrise beunruhigt. Die Eurostaaten, die EU und der Internationale Währungsfonds haben einen Rettungsschirm über 750 Milliarden Euro für die maroden Euroländer eingerichtet. Viele Mitgliedsländer fordern eine Erhöhung. Was sagen Sie?

Es war immer die Position der Bundesregierung, dass die 750 Milliarden Euro ausreichend sind. Es gibt keinen Grund, über eine Erhöhung nachzudenken. Das Problem ist, dass diese 750 Milliarden Euro in der Übergangslösung, dem temporären Rettungsschirm bis 2013, nicht in voller Höhe zur Verfügung gestellt werden können. Das liegt daran, dass die Anleihen, mit denen der Rettungsfonds EFSF am Kapitalmarkt die Mittel für Hilfskredite besorgt, mit dem bestmöglichen Rating unterlegt sind, um günstige Finanzierungskonditionen zu erreichen. Für das gute Rating muss der EFSF aber entsprechende Sicherheiten hinterlegen. Die Frage, wie der EFSF seinen gesamten Anteil von 440 Milliarden Euro am Rettungspaket auch effektiv einsetzen kann, ist ein Teil des Gesamtpakets, das bis Ende März geschnürt werden soll. Im Moment gibt es keinen Handlungsbedarf, denn außer Irland hat kein Land beim Eurorettungsschirm um Hilfe nachgesucht. Und Irland nimmt nicht einmal zehn Prozent der Hilfsmittel in Anspruch.

Das heißt, es muss keine Erhöhung des aktuellen Rettungsfonds geben?

Wenn wir eine Gesamtlösung wollen, muss man einen Weg finden, dass die im Mai 2010 verabredete Summe von 750 Milliarden Euro auch tatsächlich abrufbar ist - dies tun wir in der Hoffnung, dass wir nur einen kleinen Teil davon brauchen.

Zur Verunsicherung trägt auch bei, dass ein Stabilitätspolitiker wie der Bundesbankchef Axel Weber keine Chancen hatte, an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) zu rücken und das Handtuch warf. Ist damit eine großzügigere Schuldenpolitik absehbar?

Ganz sicher nicht. Aus meiner Sicht waren die Motive von Professor Weber andere, doch das ist seine Sache. Herr Weber weiß, dass er gute Chancen gehabt hätte, neuer Präsident der EZB zu werden. Er hat sich anders entschieden. Eine Abkehr von der Stabilitätspolitik ist damit nicht verbunden. Im Gegenteil. Die Bundesregierung wird alles tun, damit diese Politik konsequent fortgesetzt wird.

Die EZB hat mittlerweile Anleihen von finanzschwachen Euroländern in Höhe von knapp 80 Milliarden Euro gekauft. Wie lange kann das so weitergehen?

Unser Verständnis von einer unabhängigen Notenbank ist, dass sie der politischen Einflussnahme entzogen ist. Das gebietet, dass die Regierungen die Notenbankpolitik nicht kommentieren. Ich habe großes Vertrauen, dass die Europäische Zentralbank wie die Bundesbank in den Jahrzehnten zuvor ihrer Verantwortung gerecht wird. Der Euro ist in mehr als zehn Jahren seines Bestehens im inneren und äußeren Wert stabil geblieben.

Ende dieser Woche findet der Gipfel der Staatschefs der Eurozone statt. Was erwarten Sie sich von dem Treffen?

Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone kommen zusammen, um den Europäischen Rat Ende März vorzubereiten. Ziel der Bundesregierung ist, dass am kommenden Freitag die Grundentscheidungen so weit klar sind, dass anschließend die Finanzminister die Einzelheiten ausarbeiten können. Das sind im Wesentlichen drei Punkte: Erstens, wir müssen die Instrumente des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes schärfer und effizienter gestalten; das gilt sowohl für die Prävention wie in der Reaktion auf Krisen. Die Reform des Stabilitätspaktes muss kommen, da darf es keine Abstriche geben. Außerdem müssen wir die großen Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abbauen. Der Vorschlag der Bundeskanzlerin zielt darauf, mit einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit diese Probleme anzugehen. Drittens wollen wir einen dauerhaften Rettungsmechanismus in Kraft setzen, um die potenzielle Ansteckungsgefahr in der Eurozone in Krisensituationen frühzeitig einzudämmen.

Der künftige Rettungsfonds steht besonders im Zentrum. Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um zu verhindern, dass der dauerhafte Rettungsfonds Anleihen maroder Eurostaaten aufkauft. Ist die Regierung an diese rote Linie gebunden?

An diesem Entwurf der Koalitionsfraktionen hat die Regierung mitgewirkt. Dieser Entwurf, der im Bundestag diskutiert wird, unterstreicht und unterstützt die Position der Regierung in den laufenden europäischen Verhandlungen. Wir wollen nicht die Grenzen zur Transferunion überschreiten. Kein Land darf die Verantwortung für eine unsolide Finanzpolitik auf die übrigen Eurostaaten abwälzen. Deswegen lehnen wir auch Forderungen ab, gemeinsame Eurobonds aufzulegen und damit die Zinsen zu vergemeinschaften. Jeder muss seinen Teil tragen.

Ist das ein striktes Nein zu Anleihekäufen durch den Rettungsschirm?

Der Europäische Rat wird Ende März im Rahmen einer Gesamtstrategie über die Grundzüge und Instrumente des neuen Rettungsschirmes unter Beachtung der rechtlichen Möglichkeiten entscheiden. Klar ist: die Gemeinschaft der Eurozone kann nicht die Haftung für die Schulden eines Landes übernehmen. Wir leisten Beistand, das ist kein Verstoß gegen die Verträge. Jedes Land muss zunächst seine Schuldenprobleme selbst lösen. Deshalb werden die künftigen Instrumente des Mechanismus nur unter sehr engen Voraussetzungen zum Einsatz kommen. Hierzu gehört die Gefährdung der Eurozone als Ganzes, strenge Auflagen sowie die Gläubigerbeteiligung bei insolventen Staaten. Dies fordert auch der Fraktionsantrag.

Sie haben den geplanten Pakt für Wettbewerbsfähigkeit erwähnt. Die britische Presse kritisiert das als reine Zeitverschwendung. Schon einmal hat sich Europa in der Lissabon-Strategie vergeblich vorgenommen, bis 2020 die wettbewerbsfähigste Region zu werden. Wäre anstatt neuer Absichtserklärungen nicht ein Stabilitätspakt mit Biss wichtiger?

Das eine schließt das andere nicht aus. Neben einem verschärften Stabilitätspakt brauchen wir Anstrengungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die angelsächsische Presse hat immer Zweifel, ob Europa funktioniert. Wenn sich die europäischen Länder verpflichten, die Reduzierung der Staatsverschuldung ähnlich wie Deutschland mit einer gesetzlichen Vorgabe festzuschreiben, ist das ein Fortschritt. Wenn sich ferner alle Länder verpflichten, die demografische Entwicklung beim Renteneintrittsalter zu berücksichtigen, ist dies ein Beitrag zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die Botschaft des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit richtet sich auch an die Finanzmärkte: Damit zeigt Europa, dass es seine Probleme anpackt.

Der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff hat bei einem Vortrag im Bundesfinanzministerium jüngst gesagt, Griechenland, Irland und Portugal kämen um eine Umschuldung mit Schuldenerlass nicht herum. Sehen Sie den Tatsachen nicht ins Auge?

Es ist ein Unterschied, ob ein hochangesehener Experte wie Professor Rogoff seine Meinung äußert oder ein Finanzminister, auch in der Außenwirkung. Ich will an eines erinnern: es waren die Bundeskanzlerin und ich, die sich dafür einsetzten, dass es mit dem dauerhaften Krisenmechanismus ab Sommer 2013 auch Regelungen geben muss, welche die Beteiligung der Gläubiger vorsehen. Dies hat der Europäische Rat im Dezember beschlossen. Insofern teile ich Rogoffs Meinung in einem Punkt: es kann nicht sein, dass die Finanzmärkte Gewinne machen und - wenn es schiefgeht - die Gemeinschaft das Verlustrisiko tragen muss. Deshalb sollen alle Euroanleihen, die ab Mitte 2013 herausgegeben werden, mit einer Klausel versehen werden, die bei Zahlungsproblemen von Staaten die Beteiligung der Gläubiger vorsieht.

Mehr als 160 deutsche Ökonomen sagen: Griechenland kommt bei einem aktuellen Schuldenstand, der 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, an einer Umschuldung nicht vorbei.

Rogoff hat lange beim Internationalen Währungsfonds (IWF) gearbeitet. Der IWF hat immer auch Wege gefunden, Probleme so zu lösen, dass sie nicht zu Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Bei einer gemeinsamen Währung ist das nicht so einfach. Rogoff hat vorgeschlagen, die finanzschwachen Euroländer sollten eine Auszeit aus der Eurozone nehmen. Ich habe gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie das funktionieren soll. Bei der Stellungnahme der deutschen Ökonomen vermisse ich eine sorgfältige Befassung mit der Frage, was es für Deutschland bedeutete, wenn der Euro auseinanderbrechen würde. Die meisten Ökonomen stellen sich dieser Frage nicht. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone käme einem Scheitern des Euro gleich. Dies hätte unabsehbare Folgen.

Irland will niedrigere Zinsen für die Hilfskredite verhandeln. Lassen Sie darüber mit sich reden?

Klar ist: die Länder müssen die Sparauflagen erfüllen. Bevor Irland zusätzliche Erwartungen formuliert, wird man Irland die Frage stellen müssen, ob es dabei bleiben kann, dass der irische Körperschaftsteuersatz signifikant niedriger ist als in anderen Euroländern. Die niedrigen Steuersätze waren ein Anreiz dafür, dass der irische Bankensektor eine Dimension angenommen hat, die dem Land jetzt Probleme bereitet.

2013 endet die Legislaturperiode. Welche Ziele nehmen Sie sich vor?

Wir wollen die Folgen der Finanzkrise überwinden. Die Bundeskanzlerin sagte zu Beginn der Wahlperiode, es wäre ein großer Erfolg, wenn Deutschland 2013 wieder auf dem Stand vor der Finanzkrise wäre. Dieses Ziel werden wir schneller erreichen, als wir damals hoffen konnten. Wir haben uns vorgenommen, die Arbeitslosigkeit dauerhaft zu reduzieren. Auch hier sind wir auf gutem Weg. Wir reduzieren außerdem erfolgreich die Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden. Schließlich wollen wir die Weichen stellen, um mittelfristig unser Steuersystem gerechter und wettbewerbsfähiger zu gestalten. Nur wenn wir Spielräume für Entlastungen haben, gibt es die Möglichkeit zu grundlegenden Steuervereinfachungen.

Sehen Sie Spielräume für Steuerentlastungen noch in dieser Wahlperiode?

In Grenzen halte ich das für möglich. In erster Linie konzentrieren wir uns auf die Rückführung der Neuverschuldung.

Seite 2: Überzeugte Europäer

Politveteran Kein anderes Kabinettsmitglied verfügt über seine Erfahrungen: Wolfgang Schäuble (68) gehört seit 1972 dem Bundestag an und war in vielen politischen Spitzenämtern tätig – auch als Partei- und Fraktionschef der CDU. Unter Helmut Kohl führte er das Kanzleramt. Seine Handschrift hinterließ Schäuble bei den Verhandlungen über die Wiedervereinigung. Das Amt des Innenministers übte er mehrfach aus – zuletzt in der Großen Koalition. Er stand für einen harten Kurs in der Sicherheitspolitik, rief aber auch die Islamkonferenz ins Leben.

Krisenmanager Seit 2009 leitet Schäuble das Finanzministerium. Seine Erfahrungen und guten Kontakte auch zu ausländischen Staatschefs kommen ihm in der Eurokrise zugute. Der in Freiburg geborene CDU-Politiker setzt besonders auf die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Paris. Schäuble ist überzeugter Europäer. Häufig preschen beide Länder in der Eurogruppe vor, was Schäuble Kritik von den Partnern einbringt. Doch er verteidigt das Vorgehen. Es sei wichtig, Vorschläge in die europäische Debatte einzubringen. Sonst gehe es nicht voran.

Chefallüren Seit einem Attentat vor mehr als 20 Jahren lebt Schäuble im Rollstuhl. Im vergangenen Jahr musste er sich mehrfach für mehrere Wochen ins Krankenhaus begeben, um die Folgen der Querschnittslähmung behandeln zu lassen. In dieser Zeit wurde oft über einen Rücktritt des Ministers spekuliert. Schäuble kehrte ins Amt zurück. Solange es seine Gesundheit erlaubt, will er die anstrengende Aufgabe erfüllen. Heftige öffentliche Kritik schlug ihm entgegen, weil er seinen früheren Pressesprecher vor laufenden Kameras düpierte.