Gesundheitsminister Jens Spahn wirbt für eine Neuregelung der Organspende: Jeder Deutsche soll Spender sein - wenn er nicht ausdrücklich widerspricht. Der Münchner Medizin-Ethiker Georg Marckmann aber äußert sich kritisch zur Widerspruchslösung.

Berlin - Die Zahl der Organspenden in Deutschland muss wieder steigen, darüber gibt es große Einigkeit. Aber ist eineWiderspruchslösung, bei der jeder Bürger als potentieller Organspender gilt, solange er nicht ausdrücklich widersprochen hat, die richtige Lösung?

 

Herr Marckmann, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn macht sich bei der Organspende für eine Widerspruchslösung stark: Wer nicht widerspricht, soll automatisch als Spender gelten. Kann das ethisch vertretbar sein?

Menschen haben unterschiedliche Auffassungen, was mit ihnen nach einem festgestellten Hirntod geschehen soll. Folglich muss man die Betroffenen danach fragen, ob sie der Entnahme von Organen in diesem Fall zustimmen. Insofern ist es ethisch konsequent, eine erweiterte Zustimmungslösung zu praktizieren. Bei der Widerspruchslösung wäre ich zumindest zum jetzigen Zeitpunkt zurückhaltend. Erstens weil der aktuelle Mangel an Spende-Organen in Deutschland ja wesentlich auf strukturelle Defizite im Organspende-System zurückzuführen ist. Die Situation in den Kliniken sollte man also erst einmal weiter verbessern, wie dies der aktuelle Gesetzentwurf des Ministers vorsieht. Ich würde die Wirkung dieser Bemühungen abwarten, bevor wir von einer ethisch gut begründeten Regelung abweichen. Zweitens gäbe es bei einer Widerspruchsregelung ein Problem: Wir können nicht davon ausgehen, dass jeder, der potenziell gegen eine Organspende ist, sich auch aktiv selbst mit dem Thema befasst hat. Nicht jedes Schweigen kann deshalb als tatsächliche Zustimmung ausgelegt werden. Bedingung einer Widerspruchsregelung wäre folglich eine proaktive Information aller Bürger im Rahmen eines Beratungsgesprächs. Erst wenn jeder Bürger ein solches – selbstverständlich freiwilliges – Angebot erhalten hat, könnte eine Widerspruchsregelung ethisch vertretbar sein. Vorher nicht.

Die jüngste Entwicklung in der aktuellen Debatte ist der Vorschlag einer Bonus-Regelung: Wer selbst einen Spenderausweis hat, soll im Bedarfsfall auch schneller ein Spender-Organ bekommen. Was halten Sie aus ethischer Sicht davon?

Der Vorschlag hat eine gewisse Plausibilität. Wer für sich beansprucht, ein Spenderorgan zu bekommen, sollte folgerichtig auch bereit sein, im Falle des Falles selbst Organspender zu sein. Das ist ein Ausdruck von Solidarität zwischen Menschen, die sich prinzipiell in beiden Positionen wiederfinden können. Ich habe aber ein Bedenken: Nur derjenige kann diesen Vorteil nutzen, der sich selbst aktiv mit dem Thema Organspende auseinandergesetzt hat. Das geschieht bei besser gebildeten oder sozial besser gestellten Menschen vermutlich häufiger. Dadurch bekommt der Vorschlag eine gewisse sozio-ökonomische Schieflage. Das ist ein Problem. Deshalb würde ich letztlich so eine Lösung auch nicht implementieren wollen.

Es gibt den Vorwurf, dass die gesamte Organisation der Organspende, auch das Erstellen und Hüten der Listen berechtigter Organempfänger, durchgängig privat organisiert ist. Müsste sie nicht unmittelbar unter staatliche Regie gestellt werden?

Die Frage ist, ob eine staatliche Institution zu besseren Verteilungsentscheidungen kommen würde. Da habe ich Zweifel. Aus ethischer Sicht sind auch die Konsequenzen von Regelungen relevant. Es ist im Übrigen nicht so, dass die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, die die Regeln für die Organverteilung konkretisiert, ohne Legitimation arbeitet. Formal ist ihre Arbeit ja durch das Transplantationsgesetz legitimiert. Zum anderen müssen bei eventuellen Änderungen der Richtlinien mögliche Bedenken des Bundesministeriums für Gesundheit berücksichtigt werden. Wichtig ist deshalb vor allem: Werden die Entscheidungen in einem nachvollziehbaren Prozess getroffen und sind sie medizinisch-ethisch gut begründet?

Es gibt auch eine Diskussion über die Kriterien, nach denen in Deutschland Spenderorgane verteilt werden. Es heißt, in Deutschland werde – anders als in manchen anderen Ländern – die medizinische Dringlichkeit im Vergleich zum Langzeitnutzen zu hoch bewertet: Wer noch lange mit einer Dialyse leben kann, muss länger warten, auch wenn bei ihm ein Spenderorgan noch zu einem langen, weitgehend gesunden Leben führen könnte. Dagegen erhalten ältere, oft vorgeschädigte Patienten schneller ein Organ. Ist das gerecht?

Es wäre jedenfalls falsch, die Dringlichkeit zu verabsolutieren und als einziges Kriterium gelten zu lassen. Dies kann man an den Leber-Transplantationen verdeutlichen. Die Dringlichkeit wurde stärker gewichtet, weil vorher viele Patienten auf der Warteliste verstorben sind. Damit kauft man sich aber ein neues Problem ein: Zwar sterben dann weniger Patienten auf der Warteliste, aber es versterben mehr, nachdem sie ein Organ erhalten haben, weil sie zum Zeitpunkt der Transplantation bereits so schwer krank waren. Man hat also die Dringlichkeit höher gewichtet, aber um den Preis, dass dann mehr Patienten ein Organ bekommen, die von ihm nicht mehr lange profitieren können. Tatsächlich müsste man hier also die Erfolgsaussicht wieder etwas stärker gewichten. Es ist also ethisch durchaus vertretbar und im Interesse der betroffenen Patienten, bei der Organverteilung nicht nur auf die Dringlichkeit, sondern auch auf den Behandlungserfolg zu schauen.