Die Tübinger Vegetationsökologin Katja Tielbörger untersucht das Lernverhalten von Pflanzen. Im Interview erklärt sie, warum die Gewächse viel mehr können, als viele ihnen zutrauen.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - L assen sich Pflanzen konditionieren wie Pawlows Hund? Dieser Frage geht die Biologin Katja Tielbörger mit ungewöhnlichen Experimenten an drei verschiedenen Arten nach. Inzwischen zeichnen sich erste positive Ergebnisse ab.

 
Frau Tielbörger, lackierte Fingernägel sind bei Versuchen im Labor oder im Gewächshaus eher hinderlich. Warum ist Nagellack für Sie trotzdem wichtig?
Ich brauche ihn für meine Arbeit.
Das müssen Sie erklären.
Nagellack ist ein wichtiges Hilfsmittel bei unseren Versuchen mit der Ackerschmalwand. Das ist eine der Pflanzenarten, an denen wir untersuchen, ob Pflanzen lernen können. Der Nagellack hilft uns festzustellen, wie weit die die Spaltöffnungen an der Unterseite ihrer Blätter geöffnet sind. Mit diesen Öffnungen regeln die Pflanzen, wie viel Wasserdampf und Sauerstoff sie an die Umgebung abgeben und wie viel Kohlendioxid sie aufnehmen.
Und was sollen die Pflanzen konkret lernen?
Normalerweise wird das Öffnen der Spaltöffnungen durch Licht ausgelöst. Denn ohne Gasaustausch funktioniert die Fotosynthese nicht. Wir kombinieren den Lichtreiz mit einem zweiten, sogenannten falschen Reiz, der nichts mit dem ersten zu tun hat. Dazu kippen wir die Pflanzen für kurze Zeit um 90 Grad. Die Frage ist dann, ob die Pflanzen ihre Spaltöffnungen nach einer Trainingsphase auch dann öffnen, wenn wir sie nur auf die Seite legen – ohne zusätzlichen Lichtreiz. Man könnte auch sagen: Wir versuchen die Pflanzen zu veräppeln.w
Es geht also um eine Konditionierung wie bei Pawlows Hund, der bereits Magensaft absondert, wenn er nur die Glocke hört, die zuvor immer kurz vor der Fütterung geläutet hat.
Genau. Und um die Spaltöffnungen der sehr kleinen Pflanzen beobachten zu können, machen wir Abdrücke von den Blattunterseiten. Dafür nehmen wir die gleiche Paste, die Kieferorthopäden verwenden. Die Abdrücke sind aber zu dick, um sie unters Mikroskop zu legen. Deshalb machen wir davon dünnere Abdrücke – und zwar mithilfe des Nagellacks. Der billigste funktioniert übrigens am besten.
Und konnten Sie schon erste Lernerfolge feststellen?
Dazu ist es noch zu früh. Wir machen aber auch Versuche mit zwei anderen Pflanzen: der Venus-Fliegenfalle und der Mimose. Bei der Fliegenfalle ist der falsche Reiz eine Bestrahlung mit Blaulicht. Kurz darauf kommt der echte Reiz in Form einer Fliege, die nicht mehr fliegen kann. Die geben wir auf die Blätter, die sich daraufhin schließen. Das machen wir mehrfach – in der Hoffnung, dass eine Verbindung zwischen den Reizen entsteht. Dann sollten sich die Blätter auch schließen, wenn die Pflanze nur den Blaulichtreiz bekommt. Der Mimose versuchen wir beizubringen, flexibel auf Veränderungen des Wechsels zwischen Hell- und Dunkelphasen zu reagieren. Und da haben wir zumindest erste Hinweise, dass das funktionieren könnte.
Was tun die Mimosen?
Normalerweise klappen Mimosen bei Dunkelheit ihre Blätter herunter. Bei Licht sind sie offen. Wir wollten wissen, ob die Pflanzen einen neuen Hell-Dunkel-Rhythmus erlernen können – und die Blätter schon am Ende der Dunkelphasen aufklappen, um gleich zu Beginn der Hellphase effizient Fotosynthese betreiben zu können. Und das war tatsächlich der Fall. Es könnte aber sein, dass die Blätter während der Dunkelphase gar nicht ganz heruntergeklappt waren. Um sicher zu gehen, müssen wir die gesamte Dunkelphase noch mal mit einer Infrarotkamera aufnehmen.
Andere Wissenschaftler haben ähnliche Versuche gemacht.
Richtig. Meine australische Kollegin Monica Gagliano hat gezeigt, dass sich Erbsen konditionieren lassen. Sie hat die Pflanzen durch ein Labyrinth wachsen lassen und Lichtreize mit dem Luftstrom eines Ventilators kombiniert. Ein großer Teil der Erbsen ist nach der Trainingsphase in Richtung des Luftstroms gewachsen – auch ohne den Lichtreiz, dem die Pflanzen von Natur aus folgen würden. Gagliano hat zudem herausgefunden, dass Pflanzen auf die Geräusche von fließendem Wasser reagieren – das heißt, Wurzeln wachsen allein wegen des Geräusches in Richtung Wasser.
Trotzdem ist die Vorstellung, dass Pflanzen über eine Art von Intelligenz verfügen könnten, für viele befremdlich. Warum?
Das könnte damit zu tun haben, dass für viele weiterhin der Mensch als Krone der Schöpfung über den Tieren steht – und erst recht über den Pflanzen. Dabei wissen wir schon lange, dass Pflanzen nicht nur dumm in der Gegend rumstehen, sondern sehr viel können. Sie reagieren in sinnvoller Weise auf Reize, um sich auf veränderte Bedingungen einzustellen.
Manche sprechen in Analogie zur Reizleitung bei Tieren von Pflanzenneurobiologie.
Die Tatsache, dass Pflanzen Signale aufnehmen und in ihrem Organismus weiterleiten können, ist nichts Neues. Das gehört zum Grundwissen der Pflanzenphysiologie. Der Begriff Pflanzenneurobiologie klingt vielleicht sexy, erschwert aber eine sachliche Diskussion. Pflanzen haben nun mal keine Nervenzellen und kein Gehirn. Trotzdem können sie Reize übertragen und verarbeiten. Pflanzen können sogar viel plastischer auf ihre Umwelt reagieren als Tiere. Sie können ihre Form komplett verändern als Reaktion auf äußere Reize.
Wie funktioniert die Reizleitung in Pflanzen?
Zum einen über elektrische Signale. Im Blatt der Fliegenfalle kann man zum Beispiel Aktionspotenziale messen. Dazu braucht es keine Nervenzellen, sondern nur Konzentrationsunterschiede bestimmter Ionen, die sich schlagartig ändern können. Außerdem gibt es Phytohormone, die Informationen innerhalb der Pflanze weitergeben können. Über chemische Stoffe können Pflanzen auch über größere Distanzen miteinander kommunizieren. So können sie sich zum Beispiel gegenseitig vor gefräßigen Insekten warnen.
Aber kann man in diesem Zusammenhang von Intelligenz sprechen?
Wenn man Intelligenz definiert als eine Reaktion auf einen Reiz, durch die es dem Organismus besser geht als ohne diese Reaktion, dann kann man Pflanzen durchaus als intelligent bezeichnen. Mit der Vorstellung, dass Maschinen lernen oder intelligent sein können, hat niemand Probleme. Warum soll ein Organismus, der sich über Millionen von Jahren entwickelt hat und viel komplexer ist als jede Maschine, nicht ebenfalls intelligent sein?
Wie könnte man ihre Forschung praktisch anwenden? Könnte man Tomaten darauf dressieren, gleichzeitig reif zu werden?
Solche Fragen stelle ich mir in diesem Projekt nicht. Wir machen Grundlagenforschung.
Haben Sie keine Angst, in die Esoterik-Ecke gedrängt zu werden?
Nein. Mir ist es wichtig, das Thema sachlich zu behandeln. Auch ich kriege manchmal so komische E-Mails – nach dem Motto: „Genau wie Sie bin ich der Meinung, dass Pflanzen Gefühle haben.“ Darum geht es uns nicht. Wir versuchen vielmehr klar definierte wissenschaftliche Konzepte zum Thema Lernen auf die Pflanzenwelt übertragen. Wenn ich mal einen Baum umarme, dann höchstens als Gag für eine Fotogalerie.