Sie sprechen von richtigem Dicksein. Was verstehen Sie darunter?
Das Schwerste daran ist, dass jeder Mensch, der mit dieser Veranlagung zu tun hat, das für sich selbst klären muss. Das bedeutet auch, dass ich nicht einfach anhand eines bestimmten Body-Mass-Index sagen kann: Ich müsste nun das Gewicht x haben. Zunächst muss man den relativ beschwerlichen Weg gehen und Fragen für sich selbst beantworten wie: Warum will ich schlank sein? Was bedeutet das für mich?

Welche Kleidergröße haben Sie denn?
44.

Und Sie fühlen Sich damit wohl?
(lacht) Ja!

Aber Sie klingen zweifelnd.
(lacht) Zugegeben, ja.

Wo liegt für Sie die Grenze zwischen dick und zu dick?
Ich hatte auch schon Größe 48, 44 ist also wirklich ein Erfolg für mich. Mit zwei Kleidergrößen mehr fühlte ich mich nicht mehr wohl und hatte ein sehr schlechtes Körpergefühl. Diese Grenzen verlaufen aber sehr individuell, bei Frauen wie bei Männern.

Was empfehlen Sie Leuten, die mit ihrem Gewicht kämpfen?
Mein Anliegen ist, dass die Menschen über sich und die Bedeutung, die sie ihrem Gewicht geben, überhaupt nachdenken. Wenn man dick veranlagt ist und darunter leidet, hilft es, wenn man sich das einzugestehen erlaubt: Ja, ich bin dick. Wenn man nur schlank ist, weil man sich ständig kontrolliert, könnte man sich auch folgendes Gedankenspiel erlauben: Angenommen, ich wäre ein bisschen dicker. Was wäre dann? Welche Gefühle kommen da hoch?

Welche sind das zum Beispiel?
Ängste davor, abgelehnt zu werden. Oder Erinnerungen an Mütter und Väter, die einen als Kind wegen seines Gewichts abgewertet haben. Früher gab es viele Mütter, die es als persönliches Versagen empfunden haben, wenn ihr Kind ein bisschen mollig war. Denn die anderen könnten es ja als mangelnde Fürsorge auslegen.

Das wird den Eltern auch heute als Versagen, als Scheitern angelastet.
Der Begriff „scheitern“ gefällt mir nicht, ich halte ihn für einen gefährlichen Motor in einer populären Ideologie. Mit dieser Angst vor dem Dickwerden verdient die Fitness- und Diätindustrie irrsinnig viel Geld. Laut einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung gibt ein Mensch pro Kilo, das er loswerden will, 320 Euro aus.

Bei uns wird mit dem mahnenden Zeigefinger gern auf die Amerikaner verwiesen . . .
. . . in der Furcht, dass es bei uns genauso extrem werden könnte. Diese sehr korpulenten Amerikaner gibt es natürlich zweifellos, allerdings in den USA auch aus anderen Gründen als bei uns.

Kate Moss soll gesagt haben: Nichts schmeckt so gut wie dünn sein.
Das mag für sie stimmen. Dem könnte man natürlich entgegenhalten: Nichts schmeckt so gut wie drei Teller Pasta und anschließend noch ein Stück Sahnetorte. Da sind die Geschmäcker sehr verschieden, auch in Bezug auf den Exzess.

Man könnte unterstellen, dass Sie vielleicht einfach noch nicht die richtige Diät für sich gefunden haben.
Selbstverständlich, doch genau darum geht es. Ich sehe mein Buch nicht als Rezept und fordere auch nicht, dass alle dick sein müssen. Aber ich sehe in einer veränderten Wahrnehmung des Dickseins auch gesellschaftlich einen wichtigen Emanzipationsschritt. Für mich persönlich bedeutet er: Ich muss nicht mehr 40 Prozent meiner Lebensenergie darauf verschwenden, nach der richtigen Diät zu suchen, sondern kann sie für etwas Sinnvolleres nutzen.