Was sagen die Gene? Wie sieht die Medizin von Morgen aus? Saskia und Dirk Biskup, Pioniere in der Gendiagnostik, kennen Chancen und Risiken – und die Ängste der Deutschen.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Tübingen - Sie ist die Lerche, er die Eule. Saskia und Dirk Biskup – sie erscheint zunächst allein um acht Uhr zum Termin – unterscheiden sich in vieler Hinsicht. Die Humangenetikerin ist eine leidenschaftliche Forscherin, er ein überlegter Manager. Zusammen haben sie 2009 das Tübinger Unternehmen CeGaT gegründet, das Gencodes in Spitzengeschwindigkeit untersucht, und damit vielen kranken Menschen zu einer lebensrettenden Diagnose verholfen hat. Ein Gespräch über Partnerschaft, Visionen und Widerstände.

 
Guten Morgen, Frau Biskup. Wollen wir warten?
Saskia Biskup Lassen Sie uns beginnen. Mein Mann hat gestern lang gearbeitet. Er ist die Eule und ich die Lerche.
Erzählen Sie, wie Sie sich kennengelernt haben und wie Sie Genomforscherin wurden?
S. Biskup Wir lernten uns in Würzburg auf dem Tennisplatz kennen – Tennis ist unser beider Lieblingsport. Als Dirk dann 2005 beruflich in die USA nach Virginia wollte, war ich bereits promovierte Medizinerin und schaute, was ich da in der Nähe Sinnvolles machen kann. Die nächste interessante Universität lag eine Autostunde entfernt, in Baltimore, der Wiege der Genetik. Dass ich dort gelandet bin, war purer Zufall.
Und die Wahl, nach Tübingen zu gehen?
S. Biskup Das war kein Zufall! Ich hatte mich auf Parkinsongenetik spezialisiert, an der damals nur wenige Wissenschaftler arbeiteten. Als klar war, dass wir zurückkehren werden, wollte ich unbedingt zu Thomas Gasser, einer der bekanntesten Parkinson-Forscher weltweit. Er leitet das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen. Nun war mein Mann dran, in der Nähe Arbeit zu finden.
Wie kamen Sie darauf, auch beruflich gemeinsame Wege zu gehen?
S. Biskup Der Gedanke kam im Urlaub auf. Wir gingen spazieren und ich klagte, dass ich so gern das Gen, an dem ich forschte, mit einer schnelleren Methode untersuchen wollte, die Geräte dafür aber viel zu teuer für die Uni seien. Er fragte, warum wir das nicht gemeinsam privat machen. Dann begann er, mir Löcher in den Bauch zu fragen. Er wollte meine Arbeit im Detail begreifen und sagte schließlich: Lass uns einen Businessplan schreiben! Damit gingen wir zur Bank.
Hat sich Ihre Beziehung geändert, seit Sie gemeinsam ein Unternehmen führen?
Saskia Biskup Ich habe das analytische Denken von Dirk sehr zu schätzen gelernt. Als Grundlagenforscherin habe ich nie gelernt, unternehmerisch zu denken. Letzten Endes hat er mit mir einen Lebenstraum verwirklicht. Wann hat ein Forscher schon die Möglichkeit, in so einem Umfeld seiner Leidenschaft nachzugehen. (Ihr Blick streift durch den Konferenzraum, einer von vielen lichtdurchfluteten Räumen in dem vierstöckigen modernen Neubau. Dirk Biskup kommt dazu und entschuldigt sich mehrfach.)
Guten Morgen Herr Biskup, Sie haben viel Lob von Ihrer Frau erhalten. Ihr Business-Plan muss die Bank sehr überzeugt haben.
Dirk Biskup Das muss ich gleich zurecht rücken. Den Kredit haben wir nur erhalten, weil wir persönlich gehaftet haben.
Das Risiko hat sich gelohnt. Sie gehören in Sachen Gendiagnostik zu Deutschlands Topadressen. Wer ist Ihr Hauptkunde?
D. Biskup Zu uns kommen vor allem kranke Menschen, die seit Jahren nicht wissen, woran sie leiden.
Untersuchen Sie alle Gene?
S. Biskup Das machen wir nur, wenn wir gar keinen Anhaltspunkt haben, woran die Person erkrankt ist. In aller Regel fokussieren wir uns aber, ausgehend von den Symptomen, auf Bereiche im Erbgut, die eine zuverlässige Diagnose zulassen, etwa auf neurologische Erkrankungen, Herz- oder Tumorerkrankungen. Entdecken wir die Ursache, untersuchen wir häufig auch weitere Familienmitglieder. Möglicherweise müssen die Betroffenen künftig anders betreut werden, regelmäßig zur Vor- und Nachsorge oder ihren Lebensstil ändern.
D. Biskup Bevor wir aber die Gene anschauen, wird immer ein Beratungsgespräch geführt. Denn manchmal stoßen wir zufällig auf Befunde, die mit der eigentlichen Fragestellung nichts zu tun haben. Dann stellt sich die Frage, ob der Patient das wissen will. Das ist zunächst eine individuelle Entscheidung, die aber auch Angehörige betreffen kann. Das muss im Vorfeld sorgfältig abgewogen werden. Darum halten wir auch nichts von Internetprovidern ohne ärztliche Expertise, die solch sensible Botschaften digital verschicken.
Informieren Sie die Patienten auch dann, wenn die Erkrankung nicht therapierbar ist wie bei Demenz oder Alzheimer?
D. Biskup Wenn der Patient das so will, und die meisten wollen Bescheid wissen, sind wir dazu verpflichtet.
Untersuchen Sie auch gesunde Menschen?
S. Biskup Ja, zu uns kommen immer häufiger Leute, die wissen wollen, was ihre genetischen Risikofaktoren sind und was sie vorbeugend tun können. Bekanntestes Beispiel ist Angelina Jolie, deren Mutter und Tante an Brustkrebs gestorben sind. Als sie durch einen Test erfahren hat, selbst auch mit hoher Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken, hat sie sich für eine prophylaktische Operation entschieden. Aber auch gesunde Menschen mit unauffälliger Familienanamnese können genetische Risikofaktoren in sich tragen, die bei den Untersuchungen ans Licht kommen.
Das ist sicherlich keine Kassenleistung.
S. Biskup Bei einem Brustkrebsrisiko wie im Fall Jolie unter Umständen schon. Aber ansonsten – noch – nicht. So eine Vorsorge ist ja viel billiger als eine Therapie nach Ausbruch einer schweren Erkrankung.
Wer leistet sich das?
S. Biskup Es kommen vor allem junge Menschen zu uns, die ihr Schicksal in die Hand nehmen wollen. Aber auch Manager, die durch Stress und Vielfliegerei ein erhöhtes Risiko für Thrombose oder Herzinfarkt haben. So etwas kann man vorhersehen.
Welche Rolle wird der Gencode in der Zukunft spielen?
D. Biskup Eines Tages wird wohl jeder seinen Gencode auf einem Chip mit sich herumtragen und diesen beim Arzt, bei der Partnerwahl oder der Wahl der Krankenversicherung heranziehen wollen. Aber das ist Zukunftsmusik. Denn wir können bisher nur einen kleinen Teil unserer Gene sicher zuordnen. Die Masse, die auch Hinweise auf Verhalten oder Intelligenz gibt, verstehen wir noch nicht.
S. Biskup Bei dieser Entwicklung halte ich es für wichtig, dass der Mensch immer selbst entscheiden kann, ob er seinen Gencode preis gibt oder nicht. Dazu brauchen wir unbedingt entsprechende Gesetze und ethische Regularien.
Wann wird bei Erkrankungen auch hierzulande in die DNA eingegriffen? Die Technologie – das so genannte Gen-Editing – wird ja in anderen Ländern bereits angewandt.
D. Biskup Ich bin überzeugt, dass das bei Erkrankungen, die man lokal in den Griff kriegen kann, sehr bald kommen wird. Etwa bei Augenerkrankungen oder Tumoren. Das würde natürlich auch in unser Modell passen: Unsere Arbeit wäre die Grundlage für ein gezieltes Editieren. Aber das macht natürlich die Büchse der Pandora auf.
S. Biskup Für meinen Geschmack wird in der Presse zu viel Wirbel um das Gen-Editing gemacht. Wir sollten lieber akute Probleme lösen – dazu gehört, schwerkranken Menschen zu einer gesicherten Diagnose zu verhelfen.
D. Biskup In Deutschland sind vier Millionen Menschen – das ist jeder zwanzigste – von seltenen Erkrankungen betroffen, und davon gibt es mehrere tausend Krankheitsbilder. Bis die Patienten wissen, was die Ursache ist, vergehen im Schnitt achteinhalb Jahre. Wüssten Ärzte und Patienten mehr über Gendiagnostik, würde unser Gesundheitssystem enorme Kosten sparen. Wir benötigen einen Monat Zeit, um eine seltene Erkrankung zu diagnostizieren. Die privaten Krankenkassen haben das bereits begriffen und erstatten häufig die Kosten. Die gesetzlichen Kassen sind dagegen trotz jahrelangen Diskussion den Stand von vor zehn Jahren umgesetzt.
Warum wird die Gendiagnostik so stiefmütterlich behandelt?
D. Biskup Da spielen sicherlich Interessenskonflikte eine Rolle: die Furcht anderer Mediziner, künftig weniger vom Geldtopf zu kriegen, wenn beispielsweise weniger Biopsien oder Röntgenaufnahmen notwendig werden.
S. Biskup Auch wird zu wenig Druck ausgeübt: Wer schwer krank ist, hat nicht die Kraft dazu. Außerdem haben die meisten Ärzte – geschweige denn die Bevölkerung – nicht genug Wissen über Genetik. An den Schulen kommt das Thema viel zu kurz. Viele Menschen haben völlig falsche Vorstellungen, wofür ich auch die Medien verantwortlich mache. Da werden Bilder von Mäusen gezeigt, aus denen ein Ohr herauskommt, oder erschreckende Zukunftsszenarien aufgezeigt, die mit dem, was sinnvoll und möglich ist, nichts zu tun haben.
D. Biskup Sicherlich ist auch die deutsche Vergangenheit, als auch Ärzte die Nazis bei ihrer „Rassenhygiene“ unterstützt haben, ein Grund für die Zurückhaltung. In Talk-Shows finden regelmäßig kompetenzfreie Debatten statt, die häufig Angst getrieben sind. All das behindert eine sachliche Debatte, die dringend notwendig ist. Wir müssen über ethische Fragen reden und über die Gefahr des Missbrauchs von Methoden wie das Gen-Editing. Der Fortschritt ist ja nicht aufzuhalten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
S. Biskup Meine Vision ist, dass jeder Erkrankte eine auf ihn zugeschnittene und zuverlässige Diagnostik und Therapie erhält. Die Digitalisierung sollte dazu führen, dass wieder mehr Zeit für den einzelnen Patienten da ist. Sie werden heutzutage aus Zeitgründen einfach in Schubladen gestopft und dann läuft Schema F. Das hilft vielen nicht weiter, schadet oft sogar und kostet viel Geld. .
Welche Weichen müssen noch gestellt werden für das Zeitalter der Genmedizin?
D. Biskup Das fängt an in den Schulen und bei der Ausbildung der Ärzte – Faktenwissen allein wird nicht mehr ausreichen, wenn ein Medizinstudent von heute in zwölf Jahren einen Patienten heilen will. Er wird IT-Wissen benötigen, um vernetzt arbeiten zu können, und den Patienten auch bei ethischen Fragen beraten können.
Kennen Sie Ihren eigenen Gen-Code?
S. Biskup Meine DNA wurde für Forschungszwecke vielfach sequenziert, aber ich bin einfach noch nicht dazu gekommen, mir die Ergebnisse mal anzuschauen.
Interessiert Sie nicht, ob Sie selbst Erbkrankheiten mit sich herumtragen?
S. Biskup Ich habe keinen Anlass zur Sorge. Meine Eltern sind gesund und meine Oma ist gerade mit 105 Jahren gestorben.

Gründer –
Saskia Biskup, Ärztin für Humangenetik, ist Jahrgang 1971 und stammt aus Frankfurt. Ihr Mann Dirk Biskup, Diplom-Kaufmann und 46 Jahre alt, ist gebürtiger Hamburger. Ihrer Tübinger Firma CeGaT gelang es als erste, im größeren Umfang gezielt jene Elemente – so genannte Basen – aus der menschlichen DNA herauszuschneiden, die für eine Diagnose relevant sind. Bei seltenen Muskelkrankheiten müssen etwa eine Million Basen (von insgesamt drei Milliarden) untersucht werden. Um die komplette DNA eines Menschen zu entschlüsseln, benötigt CeGaT wenige Tage. Weltweit gibt es mittlerweile eine Handvoll weiterer Firmen, die sich auf das Gebiet spezialisiert haben.

Preis –
Nach Angaben von CeGaT liegen die Chancen, bei einer breit angelegten Untersuchung die Ursache einer Erkrankung festzustellen, bei über 50 Prozent. CeGaT verlangt dafür knapp 2000 Euro. In bestimmten Fällen erstatten die gesetzlichen Kassen die Kosten, allerdings genehmigen sie nur die Untersuchung von bis zu 25 000 Basen. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.genschere-genschere-repariert-defekte-im-erbgut.d156312c-2fdc-45c0-8ed9-dea9ff648d0f.html