Können Blumen lernen, auf Kommando zu reagieren – so wie die berühmten Hunde von Iwan Pawlow? Die Tübinger Biologin Katja Tielbörger will das herausfinden. Pflanzen seien schließlich alles andere als langweilig, sagt sie im StZ-Interview.

Tübingen - Hunde trainieren? Ein alter Hut. Die Biologinnen Katja Tielbörger und Michal Gruntmann von der Universität Tübingen haben sich etwas ungleich Schwierigeres vorgenommen: Sie wollen beweisen, dass man auch Pflanzen trainieren kann – so wie es Iwan Pawlow vor mehr als 100 Jahren mit seinen Hunden vorgemacht hat. Ihr Forschungsprojekt „Pawlow’sche Pflanze“ wird von der Volkswagen-Stiftung mit 100.000 Euro gefördert. Was ihre Blümchen lernen sollen, erzählt Katja Tielbörger (48) im Interview.
Frau Tielbörger, haben Sie schon mal einer Pflanze etwas beigebracht?
Bisher noch nicht. Aber wir glauben, dass es funktionieren könnte. Die Volkswagen-Stiftung ist ja explizit für Projekte gedacht, die schräg und verrückt sind. Ideen, bei denen alle sagen: „Was ist das denn?!“ Risikoforschung eben.
Aber irgendwas müssen Sie schon wissen. Sonst würde Ihnen niemand so viel Geld zum Forschen in die Hand drücken.
Es gibt zum Beispiel Untersuchungen zu Mimosen. Die klappen ihre Blätter nach unten, wenn sie berührt werden. Das ist ein Schutzmechanismus, damit ihre Fraßfeinde vom Blatt fallen. Aber wenn Sie die Mimose 20-mal anfassen, wird es ihr irgendwann zu doof und sie hört auf mit dem Runterklappen. Das hat sie also gelernt – ganz ohne Gehirn.
Wo soll denn eine Pflanze denken, so ganz ohne Gehirn?
Sie muss ja nicht denken. Sie hat die Möglichkeit, die Berührung wahrzunehmen. Und irgendwann wird das System, das auf den Reiz reagiert, müde. Das ist der Lernprozess, um den es uns geht.
Was bringen Sie Ihren Schützlingen bei?
Wir wollen sie auf Unsinn trainieren. Die Reaktion der Mimose hat ja einen Sinn. Wir wollen die Pflanze auf einen Reiz trainieren, der keinen Sinn ergibt: Also etwa, dass die Mimose die Blätter ohne Berührung hängen lässt. Wir waren deswegen schon im Botanischen Garten und haben eine Mimose mit Blitzlicht befeuert. Es ist nichts passiert. Die Frage ist: Wird irgendwann etwas passieren, wenn man sie vorher lange genug gleichzeitig anfasst und mit Blitzlicht blendet?
Und weiter?
Als Zweites wollen wir mit einer Fleisch fressenden Pflanze arbeiten. Die Venusfliegenfalle klappt ihre Blattspreite zu, wenn eine Fliege zwei Tasthärchen nacheinander berührt. Auch da ist die Frage, ob wir sie auf Licht konditionieren können, wenn wir ihr lange genug zusammen mit dem Licht eine Fliege zu fressen geben. Das Problem ist, dass die Venusfliegenfalle ermüdet. Wenn das Blatt 30-mal zugegangen ist, fällt es einfach ab. Und wir wissen nicht, wie lange das Lernen bei ihr dauert.
Aber sie hat ja noch andere Blätter – das wäre eine klassische Transferaufgabe.
Ob sie das schafft, ist allerdings die Frage. Als Drittes wollen wir eine Ackerschmalwand trainieren. Sie reagiert auf hell/dunkel – und wir wollen sie auf einen Gravitationsreiz konditionieren, indem wir sie während des Hell/dunkel-Wechsels für zehn Minuten auf den Kopf stellen.
Man hat den Eindruck: Sie wollen die Pflanzen alle auf den Arm nehmen.
Könnte man so sagen. Mir fiel für den Antrag das Stichwort „Pawlow’sche Pflanze“ ein, und dann spinnt man da so rum. Wir haben uns die ganze Nacht über Experimente ausgedacht, in einer Art Bierlaune. Aber das Projekt hat schon einen ernsten Hintergrund: Pflanzen reagieren intensiv auf ihre Umgebung – das ist ja auch eine Form des Trainings. Sie sind wahnsinnig plastisch. Das heißt, dass sie ihre Eigenschaften je nach Umfeld stark variieren können. Ob sie große Blätter haben oder kleine – es kann sogar ein ganz anderes Aussehen herauskommen. Meine Kollegin Michal Gruntman macht dazu viele Untersuchungen. Zum Beispiel dazu, wie Pflanzen auf Konkurrenz reagieren. Sie können genau analysieren, ob etwas Großes, etwas Kleines oder etwas Dichtes neben ihnen wächst, und passen ihr eigenes Wachstum entsprechend an.
Und wenn Sie Erfolg haben, dann ist die Welt um die Erkenntnis reicher, dass man seinen Kaktus trainieren kann?
Das wäre doch mal was! Und wir haben eine Veröffentlichung im Wissenschaftsmagazin „Nature“. Nein, im Ernst: es geht uns darum, die Vorstellung zu torpedieren, dass Pflanzen langweilige Wesen sind, die nur rumstehen, wachsen und sonst nichts tun. Sie haben ein Verhalten, wie Tiere auch.