Wer sich viel bewegt und sein Gehirn durch Gespräche auf Trab hält, kann eine Demenz hinauszögern,sagt der Neurologe Jörg Schulz im Interview mit der Stuttgarter Zeitung.

Herr Schulz, die Pflegeeinrichtungen stellen sich zunehmend auf die speziellen Bedürfnisse von Demenzkranken ein. Wie kommt das?
Mit dem steigenden Anteil von Demenzerkrankten rückt die Problematik in ihrer gesamtgesellschaftlichen Dimension in den Fokus. Man hat erkannt, dass es in den Heimen besonderer therapeutischer, aber auch baulicher Konzepte bedarf. So helfen etwa die klassischen Stationen, bei denen von einem Ausgangspunkt Gänge abgehen, Dementen nicht weiter. Stattdessen ist es sinnvoll, die Stationen im Kreis anzulegen, was auch dem Bewegungsdrang der Betroffenen entspricht.
Jörg Schulz Foto: StZ
Was ist aus Ihrer Sicht noch sinnvoll?
Bei erhöhter Nachtaktivität hat sich die Einrichtung von Nachtcafés bewährt, damit die Schlaflosigkeit nicht medikamentös zur Ruhigstellung der Patienten behandelt werden muss. Da vor allem das Neugedächtnis beeinträchtigt ist, bekommt im therapeutischen Bereich das Zurückgreifen auf das Altgedächtnis immer größere Bedeutung. Die Menschen finden etwa ihr Zimmer leichter, wenn es nicht durch Zahlen oder Namen markiert ist, sondern mit Fotos der Patienten, wie sie im Alter von 30 bis 50 Jahren aussahen. Neben der Versorgungsforschung, die auf Erfahrung und Beobachtung basiert, spielt aber auch aus Sicht der Grundlagenforschung die körperliche und geistige Betätigung eine große Rolle.
Welche neueren Erkenntnisse gibt es dazu?
Wir wissen, dass die kardiovaskulären Risikofaktoren für Demenz, also hoher Blutdruck, Diabetes oder hohe Cholesterinwerte, dieselben sind wie bei Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Nach Ausbruch der Erkrankung lässt sich das aber nicht mehr entscheidend kompensieren. Bewegung und geistige Aktivität dagegen regen die Plastizität des Gehirns auch nach Ausbruch der Demenz an. Es gibt Studien mit Patienten, die zeigen, dass schon drei Mal wöchentlich eine halbe Stunde schnelles Gehen den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflusst.
Wie wichtig ist die Kommunikation?
Es ist erwiesen, dass soziale Kontakte und der rege Austausch mit Mitmenschen das Gehirn anregen. Menschen, die geistig aktiv sind und beispielsweise durch ein Studium ein hohes intellektuelles Niveau haben, bauen kognitive Reserven auf. Bei ihnen schreitet die Demenz im Anfangsstadium deutlich langsamer voran als bei denen, die vereinsamt vor dem Fernseher sitzen und sich berieseln lassen. Alleinstehende, die sehr zurückgezogen leben, haben tatsächlich ein erhöhtes Demenzrisiko.
Kann man sich bald gegen Alzheimer impfen lassen?
Die Ergebnisse zum Einsatz von Antikörpern, welche die körpereigene Abwehr stimulieren, sind derzeit eher enttäuschend. Vor allem wenn die Veränderungen im Gehirn bereits weit fortgeschritten sind. Theoretisch könnten wir mit nuklearmedizinischen Verfahren mit Hilfe spezifischer Kameras oder bei der Analyse des Nervenwassers schon alzheimertypische Veränderungen feststellen, bis zu 15 Jahre bevor die Erkrankung klinisch diagnostiziert werden kann. Es besteht tatsächlich die Hoffnung, bei einer Impfung zu diesem Zeitpunkt den Verlauf so zu beeinflussen, dass es nicht zum Ausbruch der Erkrankung kommt. Hierzu laufen aktuell weltweit drei große Studien, von denen wir uns einiges versprechen.