Die Wissenschaftlerin Julia Schneewind kritisiert den Plan der Ministerinnen Schröder und von der Leyen, Schlecker-Frauen für die Kitas umzuschulen.
09.06.2012 - 17:41 Uhr
Stuttgart Bundesfamilienministerin Kristina Schröder begrüßt den Vorstoß von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU), Angestellte der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker zu Erzieherinnen für Kindertagesstätten weiterzubilden. Dafür ernten sie Protest.
Frau Schneewind, die Ministerinnen Schröder und von der Leyen wollen entlassene Schlecker-Verkäuferinnen für die Kitas umschulen. Halten Sie dies für vernünftig?
Eigentlich nicht, weil die Erfahrung zeigt, dass in Umschulungen vielen Leuten ganz schnell ganz viel beigebracht wird. Es mag sein, dass eine Frau, die bei Schlecker beschäftigt war, dazu in der Lage wäre. Doch seit ungefähr zehn Jahren gibt es intensive Bemühungen, die frühkindliche Bildung aufzuwerten. Bund, Länder und Kommunen haben zu wenig Anstrengungen unternommen, frühzeitig auf den Mangel an Erzieherinnen zu reagieren – etwa indem sie das Berufsbild attraktiv machen. Der Mangel wird durch den Ausbau der Kindertagesbetreuung noch verschärft. Jetzt klauben die Politiker auf einmal alles zusammen, was keinen Job hat. Sie meinen, diese Frauen kurz schulen zu können, damit sie auf Kinder aufpassen. Das führt die Idee, das Berufsfeld zu verbessern, ad absurdum.
Verhält es sich ähnlich mit dem Plan, Arbeitslose zu Erziehern umzuschulen, den gerade die Bundesagentur für Arbeit prüft?
Das ist meiner Meinung nach ein blinder Aktionismus, der für die Kinder zu nichts führt. Wenn es wenigstens dazu führen würde, dass der Betreuungsschlüssel erhöht würde – also dass man die Gruppen kleiner machte und mehr Erzieherinnen pro Kind da wären. Aber das ist ja nicht der Fall. Also bringt es für die Kinder keinen Vorteil, außer, dass sie hoppla hopp scheinbar qualifiziertes Personal bekommen.
Welche fachlichen Voraussetzungen sollten die Erzieherinnen in den Kitas erfüllen?
Grundsätzlich muss eine Erzieherin wissen, wie Kinder sich entwickeln, wie man sie fördert und auf sie reagiert. Sie benötigen Fachwissen in der Entwicklungspsychologie und Wissen über pädagogisches Handeln – sie brauchen aber auch die persönlichen Voraussetzungen dafür, in Beziehung gehen zu können. Seit Jahren wird frühe Bildung gepredigt, damit sich etwa bei Pisa mehr Erfolge einstellen – dabei ist bei kleinen Kindern Bildung nur erfolgreich, wenn zwischen Kind und Erzieherin Beziehung möglich ist.
Ist eine Fachhochschulreife vonnöten?
Weil wir ein akademisches Land sein wollen, muss nicht jede Erzieherin studiert haben – obwohl ich selbst an der Hochschule den Betroffenen ein entsprechendes Angebot mache. Für mich geht es vor allem um fundiertes Wissen, insbesondere für die Betreuung der unter Dreijährigen – das ist weitreichend einfach nicht vorhanden.
Ministerin Schröder stützt sich insbesondere auf die Lebenserfahrung der Frauen.
Man stelle sich vor, da würde einer vorschlagen, Verkäuferinnen zu Deutsch- und Mathelehrerinnen umzuschulen. Die Lehrergewerkschaften und der Beamtenbund würden kopfstehen. Weil die Kinder klein sind, meint man, ihnen jeden – und sei es mit Lebenserfahrung – vor die Nase setzen zu können, der gerade da ist.
Wird somit auch die Qualifikation der Erzieherinnen insgesamt herabwürdigt?
Das ist der Punkt – dies diskreditiert auch jeden, der einen Beruf richtig lernt. So sehr ich die Ministerinnen Schröder und von der Leyen schätze, denke ich, bisher ist nicht in den Köpfen verankert, dass die frühe Kindheit die wichtigste Phase ist – alles, was in dieser Zeit getan wird mit uns, prägt unser gesamtes Leben. Das ist entwicklungspsychologisch, medizinisch und neurobiologisch belegt. So ist die Bildungspolitik falsch herum aufgezogen. Ein Professor kann an seinen Studenten nicht mehr viel verändern – aber die Erzieherin, die das Werden von Kindern beeinflussen kann, ist viel schlechter bezahlt.
Sind die Vorschläge symptomatisch für die geringe gesellschaftliche Anerkennung des Erzieherinnenberufs – obwohl doch jeder Politiker den Wert frühkindlicher Bildung betont?
Da ist eine große Diskrepanz. Es gibt so viele Aspekte, die erkennen lassen: das ist Stückwerk und nicht für die Kinder gedacht – obwohl das Bundesfamilienministerium den Auftrag hat, zum Wohl des Kindes und der Familie zu handeln. Auch das Betreuungsgeld zum Beispiel ist parteiübergreifend nicht im Sinne des Kindes gedacht. Es ist zu wenig Geld für einen, der arbeiten müsste, aber zu Hause bleibt. Es ist auch zu wenig Geld, um eine Kinderfrau zu finanzieren. Es bildet – finanziell betrachtet – überhaupt keine Alternative zur Kita. Die Betreuung sollte jeder Frau selbst überlassen sein. Unterm Strich geht es der Regierung anscheinend nur darum, eine Alternative anzubieten, weil sie den gesetzlichen Betreuungsanspruch voraussichtlich nicht erfüllen kann. Um die Bedürfnisse der Kinder geht es ihr dabei nicht.