Um Europa voranzubringen, fehlt in den deutsch-französischen Beziehungen immer einer von beiden, meint die Politikerin Sabine Thillaye. Zuletzt habe Bundeskanzlerin Merkel den französischen Präsidenten mit seiner Europa-Euphorie hängen lassen: „Da kam lange Zeit nichts zurück.“

Stuttgart - Daran dass das Duo Merkel/Macron noch Großes für Europa bewegen könnte, glaubt die französische Abgeordnete Sabine Thillaye nicht: „Manchmal bringen ja auch die kleinen Dinge etwas.“ Und in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sei man sogar „ein gutes Stück vorangekommen“.

 

Sind Sie als überzeugte Europäerin nicht total frustriert?

Wieso sollte ich das sein?

Anstatt in Europa die von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron beschworene Aufbruchsstimmung zu verbreiten, haben die Staats- und Regierungschefs der EU hinter verschlossenen Türen wochenlang um die Brüsseler Spitzenposten gefeilscht.

Nein, total frustriert bin ich nicht. Es erstaunt mich auch nicht, was das abläuft. Wir haben in Europa nun einmal dieses Dreieck der Institutionen. Die Staats- und Regierungschefs vertreten die Interessen ihres jeweiligen Landes, das EU-Parlament die Interessen der europäischen Bürger und die Kommission die Interessen Europas als Ganzes. Was nichts daran ändert, dass das, was da jetzt abgelaufen ist, für den Bürger schwer verständlich ist.

Schwer verständlich ist auch, dass Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel einander bei den Kandidaten für den Vorsitz der EU-Kommission ausgebremst haben. Macron hat Manfred Weber verhindert, Merkel soll im Gegenzug Michel Barnier verhindert haben. Haben Sie noch Hoffnung, dass die beiden Europa voranbringen könnten?

Um Europa voranzubringen, fehlt in den deutsch-französischen Beziehungen leider immer wieder einer der beiden Partner. Frankreich ist jahrelang ausgefallen, und jetzt fehlt leider Deutschland. Das ging schon los, als Macron in seiner Sorbonne-Rede EU-Reformen vorschlug und sehr auf Deutschland zuging. Schon die französische Regierungsbildung war doch richtungsweisend gewesen. Im französischen Kabinett sitzen zahlreiche Deutsch sprechende Politiker. Deutschland war damals mit wahnsinnig schwierigen Koalitionsverhandlungen beschäftigt. Da kam lange Zeit nichts zurück.

Heißt das, Sie glauben nicht mehr, dass das Duo Merkel-Macron Großes bewegen kann?

Nun ja, manchmal bringen auch kleine Dinge etwas. Es ist ja auch nicht so, dass in den vergangenen beiden Jahren überhaupt nichts geschehen wäre. In der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik etwa sind wir ein gutes Stück vorangekommen, man denke nur an das kürzlich unterzeichnete Abkommen zum Bau eines europäischen Kampfjets. Und auch wenn das Budget für die Eurozone aus unserer Sicht klein ausgefallen ist, hat Deutschland ein solches Budget nun immerhin im Grundsatz akzeptiert. Da und dort gehen Türen auf.

Sie sind auch Co-Vorsitzende der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, in der 50 deutsche und 50 französische Abgeordnete die Annäherung beider Länder und die Umsetzung des Aachener Vertrags vorantreiben wollen. Bewegt man sich dort entlang nationaler Linien, hier die Deutschen, dort die Franzosen? Oder wird dort transnational über Ideen debattiert?

Wir sind da zwar erst in der Findungsphase. Aber es tut sich etwas. In der Vorbereitungsphase bewegten wir uns noch entlang nationaler Linien. Mittlerweile bestimmt weniger die Nationalität als die Parteizugehörigkeit die Debatten. Zutage treten allerdings auch bei uns enorme kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich.

Zum Beispiel?

Wenn Deutsche und Franzosen dasselbe Wort hören, verstehen sie oft unterschiedliche Dinge. Wenn etwa von Industriestrategie die Rede ist, versteht der Franzose Strategie und der Deutsche staatliche Bevormundung der Industrie. Wie müssen uns noch viel besser kennenlernen.