Exklusiv Die Angst vor Ebola nimmt manchmal bizarre Formen an. Der Virenexperte Jonas Schmidt-Chanasit hält Deutschland aber für ungefährdet: Infizierte könnten kaum zu einem internationalen Flughafen gelangen. Er warnt davor, Afrika nun zu stigmatisieren.

Stuttgart - Einen echten Ebola-Fall hatte er noch nicht vor sich, möglich wäre es aber durchaus: Jonas Schmidt-Chanasit ist Virenexperte am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Nahezu täglich erreichen ihn Proben aus aller Welt, die er auf Ebola testen soll. Im StZ-Interview erläutert er die Risiken.

 
Herr Schmidt-Chanasit, es gab bereits einige Ebola-Verdachtsfälle in Europa, die sich nicht bestätigt haben. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis Ebola Deutschland erreicht?
Das hängt davon ab, ob wir den Ausbruch auf die Länder Sierra Leone, Liberia und Guinea begrenzen können. Sicherlich wird es einen weiteren Anstieg der Fallzahlen geben. Sollte es aber zu einer Ausbreitung in Nigeria oder anderen bevölkerungsreichen Ländern wie Ägypten kommen, wäre das dramatisch. Dann wäre auch verstärkt mit importierten Fällen in Europa zu rechnen. Momentan ist das aber nicht der Fall. Trotz steigender Fallzahlen in Westafrika ist das Risiko für uns geringer geworden.
Das Risiko sinkt, obwohl sich mehr Menschen vor Ort anstecken?
Ja. Weil Erkrankte zwischenzeitlich unter Quarantäne gestellt werden, soweit das möglich ist. Aus den betroffenen Gebieten sind die Flüge gestrichen worden. Wer an Ebola erkrankt, kommt derzeit aus diesen Regionen fast nicht mehr heraus. Eine Ausnahme sind die Internationalen Helfer.
Die Inkubationszeit beträgt rund 21 Tage. Wäre es nicht möglich, dass sich ein Infizierter auf den Weg macht, der bei Reiseantritt noch keine Symptome zeigte?
Rein theoretisch ist das möglich. Aber es ist bereits für die Helfer extrem schwierig, überhaupt noch in die betroffenen Regionen zu kommen. Die Flüge sind eingestellt, auch die innerafrikanischen, die Städte sind zum Teil abgeriegelt.
Es haben sich auch Ärzte angesteckt. Wie konnte das geschehen?
Das ist den chaotischen Zuständen geschuldet. In der Anfangsphase waren die Ärzte überlastet, es gab hunderte Patienten pro Tag, aber nicht genügend Handschuhe, Seife und Desinfektionsmittel. Die Länder Sierra Leone und Liberia haben den Bürgerkrieg durchgemacht. Das Gesundheitssystem existiert dort quasi nicht. Hauptsächlich haben sich einheimische Pflegekräfte angesteckt. Die internationalen Helfer waren bis auf wenige Ausnahmen nicht betroffen.
In Hamburg untersuchen Sie Proben von Verdachtsfällen aus aller Welt. Aus welchen Ländern kommen die meisten Anfragen?
Wir haben Verdachtsfälle aus Österreich, aus der Türkei liegen vier Proben vor, hinzu kommen Zypern und arabische Länder. Die Proben kommen aus der ganzen Welt – vor allem aus Ländern, wo die Diagnostik nicht gemacht werden kann. Das sind aber keine schweren Verdachtsfälle, weil die Personen gar nicht mit Ebola-Kranken in Kontakt kamen. Die meisten ernst zu nehmenden Anfragen kommen derzeit aus Nigeria.
Wie viele Proben erhalten Sie im Schnitt?
Manchmal drei pro Tag, dann wieder zehn, dann keine. Das schwankt sehr stark. Gestern hatten wir 17 Proben aus Nigeria. Aber wie gesagt: bis auf Nigeria und Spanien waren das bisher alles keine ernst zu nehmenden Verdachtsfälle. Schon beim ersten Telefonat mit den Kollegen vor Ort konnte ich entwarnen. Kontrollieren müssen wir trotzdem, weil die Angst doch groß ist.
Die Angst in Deutschland nimmt sogar ganz bizarre Formen an.
Ja. Ich habe gehört, in Nordrhein-Westfalen dürfen dunkelhäutige Kinder, die aus den Ferien in Afrika zurückkommen, nicht in die Schule gehen, obwohl sie nicht krank sind. Die Eltern der anderen Kinder sind panisch.
Vor kurzem wurde in Berlin ein Gebäude der Agentur für Arbeit evakuiert, nachdem eine Afrikanerin dort mit Fiebersymptomen zum Termin erschienen war. War das eine übertriebene Aktion oder sinnvolle Vorsorge?
Es hat gezeigt, wie gut alle vorbereitet sind und wie schnell eine Evakuierung funktionieren kann. Das ist in Deutschland sehr schnell möglich. Aber: das Vorgehen hat große Panik ausgelöst. Und eigentlich war der Fall klar. Die Frau war zuvor nicht in einer Ebola-Region und hatte keinen Kontakt mit Ebola-Infizierten gehabt. Ein Malaria-Test hätte nach 20 Minuten ein Ergebnis gebracht. Kritisieren will ich das Vorgehen aber nicht. Es war ein guter Probelauf in Berlin, aber solche Aktionen dürfen nicht überhand nehmen. Auf keinen Fall darf es dazu führen, dass Afrikaner unter Pauschalverdacht gestellt werden.