Der Islam ist unvereinbar mit der Demokratie – behauptet die AfD und will dies auf ihrem Bundesparteitag in Stuttgart im AfD-Programm festschreiben. Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, reagiert mit Kritik.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart -

 
Herr Sofuoglu, was sagen Sie als Vertreter der hier lebenden Türken zum AfD-Vorstoß?
Der Islam ist Teil der Bundesrepublik Deutschland. Sowohl der amtierende Bundespräsident als auch sein Vorgänger und die Bundeskanzlerin haben dies längst erkannt. Viele Muslime leben seit Jahrzehnten in Deutschland, die AfD existiert erst seit 2013 – sie wird hoffentlich eine vorübergehende Erscheinung sein.
Sie sind selbst Muslim und in der Stuttgarter SPD engagiert. Trifft Sie diese Vorhaltung auch persönlich?
Unabhängig von meiner Konfession und politischer Überzeugung bin ich betroffen von solchen Pauschalangriffen gegen Ethnien und Religionen. Die Aussage der AfD ist eindeutig gegen den demokratischen Konsens in Deutschland gerichtet. Sie ist populistisch und sehr gefährlich.
Wie fallen die Reaktionen in der türkischen Gemeinde aus?
Deutschland-Türken verabscheuen diese Aussagen und verbieten sich jegliche Empfehlungen der AfD. Die demokratischen Parteien und die Gesellschaft als Ganzes ist aufgerufen, sich für eine eindeutige ablehnende Haltung einzusetzen. Antisemitismus, Antiziganismus und Islamophobie müssen gleichermaßen bekämpft werden.
Wie sollten die Muslime in Deutschland reagieren?
Die Muslime sollten sehr ruhig aber bestimmt reagieren, in dem sie den Schulterschluss mit anderen Demokraten suchen.
Was für ein Kalkül steckt hinter der AfD-Aussage und was für eine Weltsicht?
Die AfD ist eine rechtsnationale und extremistische Partei, die ihre menschenverachtenden Meinungen als demokratisch verkaufen versucht. Dabei geht sie doppelgesichtig vor: Ihr Landeschef Jörg Meuthen beispielsweise gibt sich moderat, während andere AfD-Repräsentanten, Beatrix von Storch und Alexander Gauland, mit provozierenden Äußerungen raffiniert die Grenzen gesellschaftlicher Akzeptanz austesten und nach Möglichkeit noch einen draufsetzen. Nachdem die AfD in den letzten drei Landtagswahlen erfolgreich war, tritt sie immer offensiver auf.
Ist die AfD dabei, sich zu radikalisieren?
Die AfD kann sich nicht radikalisieren, sie ist radikal genug. In ihr hat der Rechtsradikalismus eine politische Heimat gefunden.
Gab es in der Geschichte der Bundesrepublik ein vergleichbares Phänomen?
In dieser Form nein – nicht mal bei den Republikanern. Dass der Rassismus bundesweit als Partei auftritt, ist neu. Es handelt sich um ein internationales Phänomen. Das zeigt der Blick nach Frankreich mit der Le Pen-Partei.
Hat die Islamfeindlichkeit in Deutschland zugenommen?
Eindeutig ja. Die Bundesregierung ist aufgerufen, Gegenmaßnahmen zu beschließen. Anti-muslimischer Rassismus ist Teil einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Diesen gilt es gesellschaftlich zu ächten.
Der Zentralrat der Muslime vergleicht die AfD mit der NSDAP. Eine überzogenen Reaktion?
Wohin die Religionsfeindlichkeit führen kann, ist in Deutschland bekannt. Dazu darf es nie wieder kommen. Deshalb rufe ich alle gesellschaftlichen Gruppen auf, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
In knapp zwei Wochen findet in Stuttgart der AfD-Bundesparteitag statt, auf dem die Partei ihren Anti-Islamkurs festschreiben will. Wie sollte man darauf reagieren?
Ich plädiere für die Bildung eines breiten Bündnisses gegen Gewalt und Rassismus auch mit Beteiligung aller Parteien, Gewerkschaften und Kirchenvertretern. Das könnte ein wichtiges Zeichen des Protestes sein. Die große Mehrheit will den AfD-Thesen nämlich nichts zu tun haben.