Interview zu Missbrauchsskandal Pfarrer der katholischen Kirche Esslingen im Gespräch

Die katholische Kirche Esslingen macht sich gegen Missbrauch stark. Foto: dpa

Der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche erschüttert viele Menschen. Stefan Möhler, leitender Pfarrer der Katholiken in Esslingen, äußert sich dazu im Interview.

Digital Desk: Robert Korell (rko)

Esslingen - Mit einer Annonce in der EZ brachte die katholische Kirche in Esslingen am Samstag ihre Bestürzung über den Missbrauchsskandal und den Umgang damit zum Ausdruck. Der leitende Pfarrer der katholischen Kirche in Esslingen, Stefan Möhler, spricht über eine klare Haltung, Verantwortung und Prävention.

 

Die katholische Kirche Esslingen äußert sich in ihrer Zeitungsanzeige sehr klar zu Missbrauch und Vertuschung. Warum haben Sie dieses Format gewählt?

Uns war es wichtig, jetzt in unserer Stadt Stellung zu beziehen. Wir wollten deutlich machen, wie wir zu Missbrauch und dem Umgang, den es damit in den letzten Jahren innerhalb unserer Kirche leider gegeben hat, stehen.

Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste im weiteren Umgang mit den Skandalen?

Das Wichtigste ist, dass der Fokus darauf gelegt wird, dass Menschen durch Missbrauch und dem Umgang damit geschädigt wurden. Diese Menschen sollen jetzt erfahren, dass ihr Leid gesehen wird und dass sie – soweit dies möglich ist – Hilfe bekommen. Außerdem wünschen wir uns, dass die Kirchenleitung Schritte einleitet, um die kirchliche Organisation und die Haltung gegenüber solchen Skandalen zu verändern. Künftig muss alles dafür getan werden, Missbrauch und Gewalt zu verhindern. Wir wissen auch, dass wir als Kirche Esslingen kaum die Weltkirche auf einen Schlag verändern können, aber wir wollen unseren Beitrag leisten. Wir als Menschen der katholischen Kirche wollen Räume bieten, in denen für Gewalt und Missbrauch kein Platz ist. Dass dies so oft nicht funktioniert hat, erschüttert uns.

Sie stellen in Ihrer Anzeige an die Bischöfe und alle Verantwortlichen in der Kirchenleitung die Forderung, das Leid der Betroffenen und den eigenen Anteil daran anzuerkennen. Was bedeutet das?

Dazu gehört, offen zu sagen, „Wir haben Fehler gemacht“, anstatt in irgendeiner Form zu versuchen, Rechtfertigungen dafür zu finden und sich von diesen Menschen zu distanzieren. Der zweite Aspekt ist die Aufarbeitung, die mit dem Synodalen Weg bereits angegangen wird. Ich halte es aber auch für wichtig, vorbehaltlos mit der staatlichen Seite zusammenzuarbeiten. Ich denke, dass wir nur so den Menschen und dem Evangelium wieder gerecht werden und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen können.

Die „systemischen Ursachen“ des Skandals und der Vertuschung sollen offengelegt und bekämpft werden, schreiben Sie. Dafür werde sich die katholische Kirche Esslingen bei der Kirchenleitung einsetzen. Wie sieht dieser Einsatz aus?

Wir werden diese Stellungnahme an unsere Kirchenleitung weitergeben und mit Nachdruck auf Veränderungen drängen. In unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart, aber auch deutschlandweit. Wir sind die Kirche hier vor Ort. Wir wollen es Menschen ermöglichen, nach dem Evangelium und angstfrei zu leben. Dies soll unsere Kirche auch insgesamt wieder tun. Die Katholiken in Esslingen sollen wissen: Wir wollen keine Kirche sein, die diese Missstände einfach so hinnimmt.

Im Zuge des Skandals wurde bereits von mehreren Bischöfen ein Rücktritt angeboten. Papst Franziskus hat dies bislang stets abgelehnt. Wie sehen Sie das?

Zurückzutreten ist eine Art, Verantwortung zu übernehmen. Dies halte ich für richtig. Dass unser Papst den Rücktritt von zum Beispiel Kardinal Marx nicht angenommen hat, kann ich mir nur so erklären: Papst Franziskus stammt aus einem anderen Kulturkreis, in dem Rücktritte vielleicht auch politisch anders einzuordnen sind. Wenn Franziskus einen Rücktritt ablehnt, will er damit meiner Meinung nach dafür sorgen, dass die jeweiligen Personen sich nicht aus der Verantwortung ziehen, sondern selbst daran arbeiten, die Dinge zu verbessern. Ich denke aber, dass in Deutschland ein Rücktritt ein wichtiges Signal ist, das verstanden würde. Deshalb wünschen wir uns von unserem Papst anderes. Dass Papst Franziskus Missbrauch nicht verharmlost, hat er schon gezeigt. Deshalb kann ich mir sein Vorgehen nur so erklären.

In Esslingen gibt es seit Jahren ein Konzept zur Prävention von sexualisierter Gewalt. Können Sie kurz umreißen, wie dies aussieht?

Das Konzept bei uns besteht aus mehreren Bausteinen. Zum einen soll sichergestellt werden, dass Menschen, die zu Kindesmissbrauch tendieren könnten, sich nicht bei uns einbringen können. Dazu müssen etwa alle Haupt- und Ehrenamtlichen, die in ihrer Tätigkeit mit Kindern zu tun haben, regelmäßig ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Als weiterer Baustein gilt es, die Aufmerksamkeit aller für das Thema zu schärfen und den Umgang mit eventuellen Anzeichen von Missbrauch zu schulen. Dafür gibt es für alle Haupt- und Ehrenamtlichen spezielle Schulungen. Zudem gibt es Anlaufstellen, an die man sich bei Verdachtsfällen wenden kann. Außerdem muss jeder eine Selbsterklärung unterschreiben, dass er oder sie diese Maßnahmen aktiv mitträgt. Gerade für Ehrenamtliche sind diese Voraussetzungen oft eine hohe Hürde, aber wir erfahren eine sehr hohe Akzeptanz der Leute. Auch das macht mich traurig und ärgerlich: dass so vieles Gute, was im Umgang mit jungen Menschen von engagierten Mitchristinnen und -christen vor Ort geleistet wird, durch die aktuelle Situation überdeckt wird und in der Wahrnehmung untergeht.

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