Wenn wir schon über unausgesprochene Wahrheiten sprechen - letztlich geht es bei diesem Konflikt doch auch um diese Frage: Wem gehört eigentlich die Stadt?


Es gibt kein besseres Beispiel, um dem allgemeinen Unbehagen an der Entwicklung Ausdruck zu verleihen: Es geht knallhart um Rendite und um die Folgen, die sich daraus für das Lebensgefühl in der Stadt ableiten. Die Gegner und Kritiker denken, dass künftig am neuen Bahnhof alles dem Diktat des Kommerzes untergeordnet wird. Sie glauben, dass die Vielfalt, das Lebendige und Durchmischte künftig keinen Platz mehr in der City haben wird.

Bahn und Land zahlen Milliarden für den neuen Bahnhof. Daraus entsteht zwangsläufig Druck, wieder Geld zu verdienen.


Natürlich muss die Bahn mit dem Gelände Geld verdienen. Sie entzieht sich deshalb der Diskussion über die Gestaltung der Areale, weil sie nicht als Bösewicht dastehen will, der kommerzielle Interessen bedient. Die Stadt will sich auch nicht die Finger verbrennen. So ist ein Kartell des Schweigens und des Um-den-heißen-Brei-Herumredens entstanden.

Wir haben den Eindruck, dass es bei den Montagsdemos gegen Stuttgart 21 nicht nur um den Tiefbahnhof geht - inzwischen reicht der Protest über dieses Thema hinaus.


Es geht eindeutig um mehr. Stuttgart 21 ist zu einer Metapher geworden. Da spielen auch allgemeine gesellschaftliche Verteilungskämpfe eine Rolle. Angesichts leerer Kassen sehen die Leute nicht mehr ein, dass sie mehr für den Kindergarten zahlen müssen, hier aber Milliarden verbuddelt werden. Die Leute müssen wegen fünf Euro mehr Hartz IV vor's Verfassungsgericht, aber am Bahnhof kommt es auf hundert Millionen mehr nicht an. Das ist das vorherrschende Gefühl: der Bahnhof wird zum Sündenbock gemacht für vieles, was den Leuten missfällt.

Wie würden Sie diesen Menschen, die sich ungehört fühlen, bei einer Bürgerbeteiligung eine Stimme geben?


Das Schöne bei einem solchen Verfahren ist, dass die Beteiligten wegen des Zufallsprinzips bei der Auswahl bunt durcheinandergewürfelt sind. Da trifft der Hartz-IV-Empfänger auf den Beamten aus der Mittelschicht und den Geschäftsmann, der die ganze Aufregung über Stuttgart 21 so gar nicht verstehen kann.

Reden die dann in der Praxis nicht völlig aneinander vorbei?


Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel aus Berlin. Dort habe ich vermittelt, als es um ein Energiekonzept für Häuser ging. Es kamen unter anderem ein Professor für irgendwas und eine Blumenbinderin, unterste Gehaltsstufe. Der Professor hatte keine Ahnung, schwafelte aber groß herum.

Und die Blumenbinderin?


Die hielt sich zunächst sehr zurück. Dann aber sprachen die Energieexperten, und der Professor musste zunehmend einsehen, dass er total auf dem Holzweg war. Allmählich wurde die Blumenbinderin immer kecker. Am zweiten Tag traute sie sich zu sagen: "Herr Professor, Sie haben überhaupt keine Ahnung." Die Verhältnisse haben sich völlig gedreht.