Dem Marktführer ist weniger an einem Kompromiss im Streit um Tengelmann gelegen als Rewe, sagt Thomas Roeb. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt der Handelsexperte, wieso die Kölner in der schwächeren Verhandlungsposition sind.

Stuttgart - Eine Lösung im festgefahrenen Ringen um Kaiser’s Tengelmann ist nicht in Sicht. Um sich mehr Zeit zu verschaffen, hat Rewe am Dienstag seine Beschwerde gegen die Ministererlaubnis beim Oberlandesgericht Düsseldorf auf Eis gelegt. Der Handelsexperte Thomas Roeb erklärt, wieso die Kölner in der schwächeren Verhandlungsposition sind.

 
Herr Roeb, hat der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Zähigkeit der Verhandlungspartner unterschätzt und vor anderthalb Wochen vorschnell eine Einigung verkündet?
Ich verstehe überhaupt nicht, was daran eine Einigung gewesen sein soll. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe lag für Nordrhein-Westfalen gar keine Einigung vor und für Berlin und Bayern eine, die sich lediglich auf das Umsatzvolumen erstreckte. Entscheidend sind aber die konkreten Filialen. Es ist doch ein Unterschied, ob ich 100 Euro Millionen Umsatz mit 50 Kleinfilialen, die alle verlustbringend sind, erhalte, oder mit 15 großen Filialen an Top-Standorten, die alle profitabel sind. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie man zu diesem Zeitpunkt von einer Einigung sprechen konnte.
Welchen Sinn hat dieses Schlichtungsverfahren unter prominenter Führung von Altkanzler Gerhard Schröder?
Rewe hat das Verfahren als letzte Chance betrachtet, überhaupt noch etwas zu bekommen. Die Kölner können den fehlenden Einigungswillen, der in ihren Augen auf der Seite von Edeka vorhanden ist, nur belegen, wenn neutrale Personen mit am Tisch sitzen. Die Hoffnung war, dass die Edeka-Verantwortlichen dann moderater auftreten, als wenn sie alleine sind.
Theoretisch könnten die Verhandlungen noch wochenlang andauern. Wieso gestalten sie sich derart zäh?
Das Problem ist aus meiner Sicht, dass das Interesse von Kaiser’s Tengelmann und Edeka an einer Kompromisslösung geringer ist als bei Rewe. Tengelmann-Chef Haub hat ja bereits angekündigt, er würde Edeka sowieso das geben, was die Hamburger aus kartellrechtlicher Sicht haben dürfen, also rund 170 Filialen, darunter viele interessante Standorte. Im Falle der Einigung bekommen sie alle „Rosinen“ und im Falle der Zerschlagung zumindest die „Rosinen“, die ihnen vom Bundeskartellamt auch zugestanden worden sind. Rewe läuft dagegen Gefahr, dass Tengelmann ihnen nur die Standorte überlässt, die niemand anders haben möchte.
Welche Rolle spielen solche persönlichen Befindlichkeiten?
Das grundsätzliche Interesse von Edeka an der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann lässt sich durchaus rational begründen. Das würde auch auf Rewe zutreffen – wo aber ganz offensichtlich Schwierigkeiten auf emotionaler Ebene bestehen. Es ist ja kein Geheimnis, dass sich Herr Haub und Rewe-Chef Caparros nicht verstehen.
Wie kann eine Lösung aussehen, die das Bundeskartellamt akzeptiert?
Edeka würde im Rahmen der Ministererlaubnis das komplette Tengelmann-Filialnetz übernehmen und anschließend bestimmte Läden an Rewe weiterreichen. Wobei Rewe dann ein gewisses kartellrechtliches Risiko tragen müsste. Jede einzelne Filiale stünde unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch das Kartellamt.
Wieso sind 0,6 Prozent Marktanteil überhaupt so wichtig für die beiden Lebensmittelriesen?
Für Rewe wäre eine Übernahme noch wichtiger als für Edeka, weil der Abstand zwischen beiden in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden ist und Rewe verzweifelt versucht, wieder Boden gutzumachen. Mittelfristig drohen Rewe durchaus Nachteile, etwa bei der Durchsetzung von Rabatten gegenüber Lieferanten. Diese 0,6 Prozent bundesweiter Marktanteil täuschen außerdem darüber hinweg, dass es in den betreffenden Regionen, die zum Teil sehr kaufkräftig sind, um erheblich höhere Marktanteile geht. Ohne Übernahmen würden sich sowohl Rewe als auch Edeka deutlich schwerer tun, noch zu wachsen.