Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)
Aus dem Fall Mollath heraus ist die Diskussion entstanden, ob die Regeln, die zu seiner Einweisung geführt haben, geändert werden sollen. Sehen Sie Handlungsbedarf?
Ja. Ich halte es für sinnvoll, über die Regeln, nach denen Maßregelvollzug angeordnet und dann überprüft wird, noch einmal nachzudenken und sie vielleicht auch zu modifizieren. Und als Psychiater ist es mir wichtig, dass dies keine reine Juristenarbeit ist. Es erfordert einen interdisziplinären Dialog. Das hat, so weit ich das übersehe, bisher leider nicht stattgefunden. Wegen der heiklen Situation in diesem Einzelfall wurde aus politischen Gründen ein Änderungsbedarf postuliert. Ein geordneter Dialog mit der forensisch-psychiatrischen Fachgesellschaft fand aber leider nicht statt.
Wie stellt sich der Ist-Zustand bei Zwangseinweisungen dar?
Wenn die Gefahr besteht, dass ein psychisch kranker Straftäter auf Grund seiner psychischen Störung auch weiter Straftaten begeht, kann er in ein forensisches Krankenhaus eingewiesen werden, so wie es bei Herrn Mollath der Fall war. Dieses Grundprinzip ist in Ordnung.
Was soll man dann ändern?
Es geht zum Beispiel um die Prüfung, welche Straftaten als gefährlich angesehen werden. Das ist nichts, was der Psychiater entscheidet, das muss die Gesellschaft beurteilen. Ist ein Verhalten, das vielleicht lästig ist, ein Querulieren, ein zureichender Grund, jemanden unterzubringen? Aus meiner persönlichen Sicht sicher nicht. Aber es kann Ausmaße annehmen, die für die Allgemeinheit schwer erträglich sind oder sich über verbale Attacken hinaus steigern. Dann kann man das diskutieren. Es geht also um die Klärung, welche Straftaten überhaupt dazu geeignet sind, die Frage der Unterbringung aufzuwerfen. Wenn jemand untergebracht ist, dann stellt sich die Frage, wie oft er begutachtet wird, ob intern oder extern. Und ganz wichtig: Es geht um eine Therapie. Neben dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit darf man das Behandlungsinteresse nicht vergessen. Da gibt es sicher Änderungsnotwendigkeiten.
Welchen Vorschlag hätte der Fachmann an die Politik?
Ob eine Unterbringung aufrecht erhalten bleiben soll, wird derzeit jährlich kontrolliert, da kann man sicher über eine Verkürzung reden. Wichtiger ist es aber, die Voraussetzungen für die Therapie zu verbessern. Das gilt auch für die ambulante Nachbetreuung, wenn jemand entlassen wird. Das würde die Rückfallgefahr verringern. Ganz wichtig ist es auch zu differenzieren und aufzuklären.
An welche Aufklärung denken Sie?
Man muss zwischen der forensischen Psychiatrie unterscheiden, die sich mit Fällen wie diesem befasst, und der allgemeinen Psychiatrie. Eine Gefahr in der gegenwärtigen Situation ist, dass die Patienten in der allgemeinen Psychiatrie belastet werden, wenn man lässig sagt, jemand müsse in die Psychiatrie. Die allermeisten Menschen, die mit Psychiatrie zu tun haben, sind weder gefährlich noch begehen sie Straftaten. Die Gesamtpopulation der psychisch Kranken begeht eher weniger Straftaten als die gesunde Allgemeinbevölkerung. Man muss vermeiden, dass ein Stigma für die Psychiatrie und ihre Patienten entsteht. Das Gespräch führte Christian Gottschalk.