Der umstrittene Redner Daniele Ganser wird im Mai zum Thema Ukrainekrieg in der Filderhalle referieren – das hat der Ältestenrat von Leinfelden-Echterdingen einstimmig beschlossen. Das Aktionsbündnis „Solidarität statt Hetze“ hat für den 15. März eine Gegenveranstaltung angesetzt. Ein Redner und scharfer Ganser- Kritiker ist Professor Klaus Gestwa, der Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen.
Herr Gestwa, der Oberbürgermeister von Leinfelden-Echterdingen, Roland Klenk, sagte mit Verweis auf die Meinungsfreiheit, dass nicht geplant ist, die Veranstaltung von Daniele Ganser abzusagen. Andere Städte haben sich gegen dessen Auftritte entschieden. Wo liegt für Sie die Grenze der Meinungsfreiheit und hat Ganser diese überschritten?
Ganser hat selbst öffentlich nie etwas ausdrücklich Verfassungswidriges, Rassistisches oder Antisemitisches gesagt. Gerissen nutzt er aber die Meinungsfreiheit, um demokratiefeindliche Falschinformationen und widerwärtige Vergleiche zwischen dem Holocaust und Corona zu verbreiten und sich mit Codewörtern sowie Sprachspielen verschiedenen extremistischen Kreisen anzubiedern. Bei seiner einträglichen Sammlungspolitik ist Ganser als gewiefter Menschenfänger mit seiner Kritik an der Nato und dem US-Imperialismus links gestartet und hat sich mit seinem Friede-Freude-Eierkuchen-Gefasel eine esoterisch-anthroposophische Brücke quer durch mehrere sozialen Milieus gebaut, um mittlerweile ganz tief rechts unten bei populistischen und antisemitisch auftretenden Medienportalen sowie bei den Reichsbürgern angekommen zu sein. Wer das ignoriert, handelt borniert. Deshalb fordert das Aktionsbündnis in Leinfelden völlig zurecht, dem aalglatten Schweizer Verschwörungsunternehmer keine demokratischen Räume zu überlassen.
Sie sehen also die Stadt in der Pflicht, die Veranstaltung abzusagen?
Bei allem Respekt gegenüber Meinungsfreiheit muss jede Demokratie gegen ihre Feinde und Spalter wehrhaft bleiben. Das gilt besonders für Ganser, der mit dem Ziel der Gewinnmaximierung durch Deutschland tourt. Aber mit seinem verfassungsfeindlichen, Gruppen mobilisierenden Verschwörungsfirlefanz hat er in der Mitte der Gesellschaft nichts zu suchen. Natürlich kann ihm niemand verbieten, dass er mit der Lust der Menschen an der Unvernunft Geld verdienen möchte. Etwas Anderes ist aber, wenn ihm für sein Verschwörungsbusiness städtische Hallen zur Verfügung gestellt werden, die sich in öffentlicher Hand befinden so wie die Filderhalle. Vorträge in angesehenen kommunalen Veranstaltungsorten vermitteln den fatalen Eindruck, Gansers manipulativer Politik-Hokuspokus sei respektierter Teil des intellektuellen gesellschaftlichen Diskurses. Dass der Leinfeldener Oberbürgermeister Klenk das einfach nicht kapieren will, ist peinlich für ihn und beschämend für die Stadt.
Sie nannten Gansers Inhalte „brandgefährlich“. Seine Vorträge sind oft gut besucht, seine Videos werden hunderttausendfach geklickt. Wie erklären Sie sich das rege Interesse an „Brandgefährlichem“?
Ganser ist kein harmloser Verschwörungsunterhalter. Mit seinen simplen und ewig gleichen Botschaften nimmt er Leichtgläubige für sich ein, die mit Skepsis auf unsere Demokratie schauen. Ihnen suggeriert Ganser, durch die mediale Gehirnwäsche käme es zu beständigen Neuverknüpfung ihrer neuronalen Netzwerke im Kopf, um sie politisch gefügig zu machen. Dreist behauptet Ganser, mit seiner politesoterischen Erkenntnislehre seinen Bewunderern den Weg zu innerem Frieden aufzuzeigen, obwohl er selbst gesellschaftliche Ängste und diffuses Unbehagen für sich instrumentalisiert. Während er von der großen Menschheitsfamilie schwafelt, zielt sein Geschäftsmodell klar auf Spaltung. Ganser schürt das Misstrauen gegen unsere demokratischen Institutionen, die Wissenschaft und die Medien. Damit untergräbt er die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Miteinanders.
Das klingt ja schon fast nach Hypnose. Wieso wird das nicht sofort durchschaut?
Mit seiner ruhigen, unaufgeregten Performance ermöglicht Ganser vielen den Einstieg in die Verschwörungswelt. Als talentierter Demagoge entwickelt er Entertainer-Qualitäten. Er drängt sich nicht auf, sondern setzt ganz auf sein suggestives Handwerk und seine Verführungskünste. Seine rhetorischen Taschenspielertricks sind eigentlich leicht zu durchschauen. Die Eingängigkeit seiner mantraartig wiederholten Welterklärung, an allem Bösen in der Welt sei letztlich immer die USA schuld, langweilt viele seine Anhänger keineswegs. Den banalen Antiamerikanismus nutzt Ganser vielmehr geschickt als Lockmittel und versteht es gut, sein Publikum intellektuell nicht zu überfordern.
Wer seinen öffentlichen Auftritten und Beiträgen folgt, gerät wegen Gansers willfähriger Zusammenarbeit mit fragwürdigen Internetportalen und politischen Gruppen immer tiefer in ein von Lüge und Desinformation geprägtes Paralleluniversum, aus dem heraus es keineswegs leicht ist, den Weg zurück zum normalen, faktenbasierten und vertrauenswürdigen politischen Miteinander zu finden. Die öffentlichen Proteste gegen Ganser dienen darum der Prävention vor dem süchtig machenden Verschwörungsglauben.
Zum Thema Ukrainekrieg sagt Ganser, dass US-Präsident Biden eine Teilverantwortung an der derzeitigen Situation in der Ukraine trägt, weil er – damals noch Vizepräsident – den angeblichen Regierungsputsch in der Ukraine im Jahr 2014 zu verantworten hat. Wie glaubhaft ist diese Darstellung?
Das ist kompletter Unfug. Der Euromajdan 2014 war kein von den USA organisierter Putsch, auch wenn das Ganser voller Inbrunst in seinem antiamerikanistischen Mantra verkündet. Zu dieser größten demokratischen Massenbewegung in Europa seit 1989 liegen zahlreiche wissenschaftliche Studien vor. Die in der Ukraine demonstrierenden Menschen waren keine Marionetten der USA. In ihrem Widerstand gegen das damals immer repressiver werdende Janukowitsch-Regime drängten sie als selbstbestimmt handelnde politische Akteure darauf, die Zukunft ihres Landes mitzugestalten. Die USA sowie die EU konnten diese stürmischen gesellschaftlichen Prozesse wohl kommentieren und im weiteren Verlauf ein wenig moderieren, aber keinesfalls initiieren. Die von Ganser angeführten Telefongespräche hochrangiger US-Diplomaten, die von russischer Seite abgehört und dann gezielt auf Wikileaks veröffentlicht wurden, taugen kaum als Beweise für seine irrlichternde Putsch-These.
Wie kann es sein, dass Sie und Daniele Ganser ein und dasselbe Ereignis derart unterschiedlich bewerten?
Die Osteuropa-Forschung hat auf solider Quellengrundlage ein klares Bild von diesen Geschehnissen gezeichnet. Diesen gesicherten Forschungsstand ignoriert Ganser komplett und bastelt sich aus dubiosen Informationsbrocken sowie Fake News eine eigene Argumentation, mit der er ganz im Fahrwasser der russischen Staatspropaganda bleibt. Fundiert sind seine Interviews und Vorträge an keiner Stelle. Entgegen den inzwischen gut dokumentierten Ermittlungen bezweifelt Ganser sogar, dass russische Soldaten die schrecklichen Gräueltaten in Butscha begangen hätten. Wer keinen Hehl daraus macht, dass er die sogenannten Alternativmedien für glaubwürdiger als die internationale Forschung und den Qualitätsjournalismus hält, wiederholt letztlich nur den Murks der russischen Desinformationsmaschinerie. Als akademischer gescheiterter Historiker ist Ganser längst zum Putin-Troll auf Globuli mutiert.
Wie viel Forschung und wie viel Religion stecken in Gansers Vorträgen?
Forschung bedeutet, seine Studien in Fachzeitschriften zur Diskussion zu stellen, wo sie von Fachleuten zuvor kritisch gelesen und als publikationswürdig eingestuft werden. Auf eine solche professionelle Prüfung seiner Beiträge hat sich Ganser aber seit langem nicht mehr eingelassen. Auch auf fachwissenschaftlichen Konferenzen erscheint er nicht. Schon bei seiner Doktorarbeit zu den Nato-Geheimarmeen fiel Ganser leichtfertig auf vom KGB gefälschte Quellen herein und erging sich in wenig haltbaren Mutmaßungen. Mit seiner Habilitation zum globalen Kampf ums Erdöl scheiterte Ganser an der Universität Basel, weil er nichts Neues mitzuteilen hatte, und mit seinem Hang zum Spekulativen aus dem akademischen immer mehr in den verschwörungstheoretischen Kontext abglitt.
Was würden Sie Daniele Ganser gerne persönlich mitteilen?
Erstens: er solle sich zunächst mal vernünftig anhand seriöser Fachliteratur informieren, bevor er meint, sich wieder öffentlich über die Ukraine und Russland äußern zu müssen. Zweitens: Ganser solle das Gespräch mit Menschen aus der Ukraine suchen, um sich mit deren Perspektiven und Erfahrungen gründlich auseinanderzusetzen. Dass jemand, der die esoterische Lieblingsvokabel Achtsamkeit stets im Munde führt, über das enorme Kriegsleid der ukrainischen Menschen leichtfertig hinweg geht, ist ein klares Zeichen moralischen Versagens. Ich befürchte leider nur, dass Ganser weder meinen ersten noch meinen zweiten Vorschlag beherzigen wird, weil beides unweigerlich dazu führen würde, dass er sich von seinem einträglichen Geschäftsmodell verabschieden müsste.
Ganser-Gegner organisieren sich
Vita
Klaus Gestwa promovierte nach seinem Slavistik- und Geschichtsstudium zum Thema Proto-Industrialisierung in Russland. Nach einer Gastprofessur an der University of Chicago folgte im Jahr 2007 seine Habilitation. Seit April 2009 ist er Professor und Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen.
Gegenveranstaltung
Das Bündnis „Solidarität statt Hetze“ veranstaltet am 15. März, um 19 Uhr, im Pavillon in Oberaichen eine Informationsveranstaltung. Das Ganze sei öffentlich und solle Raum für Diskussionen bieten.