Die Bürger im Nordschwarzwald erhoffen sich mehr Teilhabe im Verfahren um den geplanten Nationalpark. Die zuständige Staatsrätin Gisela Erler sagt, Bürgerbeteiligung bedeute nicht, dass die Menschen vor Ort alles mitbestimmen können.

Stuttgart Die grün-rote Landesregierung ist angetreten mit dem Anspruch, eine „Bürgerregierung“ zu sein. Das weckt Erwartungen bei den Menschen, die aber nicht immer erfüllt werden können. Das zeigt sich jetzt bei der Debatte um einen Nationalpark.
Frau Erler, im Nordschwarzwald soll ein Nationalpark entstehen. Die Bürger sind davon betroffen, darüber abstimmen aber können sie nicht. Die Entscheidung trifft der Landtag. Steckt die Regierung nun in einer Glaubwürdigkeitsfalle?
Nein, überhaupt nicht. Bürgerbeteiligung wird oft missverstanden, denn viele glauben, dass jetzt die Bürger vor Ort letztlich über alles selbst entscheiden können. Dem ist natürlich nicht so. Das Beispiel Nationalpark zeigt sehr schön, was wir beim „Grundkurs Bürgerbeteiligung“, in dem sich das ganze Land befindet, lernen können: Was kann Bürgerbeteiligung leisten, wer kann wann was worüber entscheiden.

Was heißt das nun beim Nationalpark?
Es gibt nationale und europäische Vorgaben, Großschutzgebiete zum Erhalt der Natur und der Artenvielfalt auszuweisen. Diese Vorgabe kann man nicht leichtfertig ignorieren. Über diese nationale Aufgabe muss das Landesparlament entscheiden. Das Gebiet liegt ausschließlich im Staatswald. Rein rechtlich können die Bürger über den Staatswald nicht befinden, die Kommunen sind in ihrer Entscheidungshoheit nicht tangiert. Eine Volksabstimmung aber bezieht sich stets auf ein Gesetz – das heißt, eine Gruppe müsste Stimmen sammeln und ein Gesetz zur Verhinderung eines Nationalparks fordern. Die Regierung kann eine solche Volksabstimmung nicht anordnen – sie hat keinen Dissens mit einem Nationalpark.

Die Gegner werden wohl keine landesweite Abstimmung fordern: Laut einer Umfrage sind 64 Prozent der Baden-Württemberger für einen Nationalpark. Inwiefern werden also die Sorgen und Ängste der Menschen aus der Region ernst genommen?
Die Bürger können maßgeblich beeinflussen, wie dieser Nationalpark aussieht, und auch, welche Teile aus dem Suchgebiet tatsächlich einbezogen werden – also weitaus mehr, als ob er Bänke oder Wege hat. Beteiligung hat hier konsultativen Charakter. Das Gutachten wird die Anregungen der regionalen Arbeitskreise aufgreifen und die Fragen der Bürger seriös beantworten.

Es geht also nicht darum,ob ein Nationalpark kommt, sondern wie er gestaltet wird?
Man muss akzeptieren, dass es für bestimmte Dinge, etwa einen Nationalpark oder auch ein Atomendlager, nicht immer wieder diese Frage gibt: Brauchen wir das? Es geht vielmehr um das Wie.

Eine ergebnisoffene Debatte sieht anders aus. Ist das Ganze also doch ein „Alibiprozess“, eine Farce, wie der CDU-Fraktionschef Peter Hauk der Regierung vorwirft?
Das ist doch Polemik. Ich kenne kein Verfahren, dass so qualitativ umfassend und ernsthaft die Fragen und Bedenken einer Region aufgreift. Es ist fachlich und politisch unstrittig, dass wir endlich ein großflächiges Naturschutzgebiet brauchen. Unstrittig unter allen Experten ist auch, dass im dicht besiedelten Baden-Württemberg nur im Nordschwarzwald ein Nationalpark möglich ist. Nur einen einzigen Standort zu haben, erschwert allerdings die Akzeptanz, ein Kompromiss ist hier nicht möglich. Die Landesregierung möchte einen Nationalpark. Wenn aber das Gutachten unter Abwägung aller Argumente massive Probleme aufzeigen würde, dann könnte das dazu führen, dass auf einen Nationalpark verzichtet wird. Soviel Offenheit ist sicher da.

Die Gegner befürchten solche massiven Probleme: dass der Borkenkäfer die Fichten skelettiert, dass deshalb die Touristen wegbleiben. Die Befürworter hingegen erhoffen sich einen wirtschaftlichen und touristischen Aufschwung. Ist das Prinzip Hoffnung ein schlagkräftigeres Argument?
So ist das immer in der Politik. Wenn man Entscheidungen für die Zukunft trifft, beruht das auf möglichst gut fundierten Annahmen. Das von zwei Beratungsunternehmen erstellte Gutachten ist breit angelegt. Es werden großflächig alle Einwände gesammelt und in den regionalen Arbeitskreisen geprüft. Zudem gibt es Erfahrungen aus Nationalparks in anderen Regionen. Immer wenn ich in den Nordschwarzwald komme – in Pforzheim bin ich aufgewachsen – bin ich erschüttert über die bedrückende Niedergangsatmosphäre im Tourismus, die an einigen Orten herrscht. Ein moderner Nationalpark in der Region könnte wahrscheinlich viel zu einer Trendumkehr beitragen.

Etliche Kommunen in der Region wollen ihre Bürger dennoch hören und haben eine Umfrage beschlossen. Welche Bedeutung misst die Regierung diesen Befragungen bei?
Die Meinungsbildung, auch in den Gremien wie Gemeinderäten und Kreistagen, hat rein faktisch und auch juristisch den Stellenwert eines Votums, das man zur Kenntnis nehmen und bedenken muss.

Spielt die CDU-Fraktion mit falschen Karten, wenn sie fordert, die Bürger in der Region zu hören?
So wird Politik gemacht. Wider besseren Wissens wird eine Entscheidung vor Ort gefordert, obwohl dies nach Beschlüssen der früheren CDU-Landesregierung eindeutig eine parlamentarische Aufgabe ist. Es besteht zwar nach meiner Meinung inzwischen durchaus die Möglichkeit, dass Abstimmungen in der Region zu Gunsten des Nationalparks ausgehen würden. Aber davon hängt die Entscheidung eben letztlich nicht allein ab. Die CDU möchte sich jetzt über den Vorwurf eines angeblich falschen Verfahrens im Landtag aus der Verantwortung ziehen. Die Union hat mittlerweile auch ein ganz anderes Problem, denn inzwischen halten viele, darunter auch prominente CDU-Mitglieder, bekanntlich einen Nationalpark für sinnvoll.