Das Gesetz zur verschärften Überwachung der Prostitution hält die Stuttgarter Diplom-Sozialarbeiterin Sabine Constabel für untauglich. Die Betroffenen würden übergangen und den ausgebeuteten Frauen bringe es wenig.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart. Frau Constabel, war es ein Fehler, die Gesetze 2002 derart zu liberalisieren, dass Deutschland nun eine Prostitutionshochburg geworden ist?
Indem man Sex als Ware in den freien Markt stellt, unterliegt er den Marktgesetzen. Daher hätte es wohl bessere Schritte gegeben. Wobei die Macherinnen damals sicher etwas erreichen wollten für die Prostituierten. Doch hatten sie das Pech, dass die Ansprechpartnerinnen auch Betreiberinnen waren, die ihre Interessen formuliert haben und gleichzeitig als Huren dastanden. So bekam die Politik eine einseitige Rückmeldung aus der Praxis. Zweitens konnte niemand wissen, wie sich der Markt verlagert. Vielleicht wäre das Gesetz nicht so daneben gegangen, wenn es noch hauptsächlich um selbstständige Huren ginge. Für Profihuren war das Gesetz gedacht, doch diese Zielgruppe gibt es fast nicht mehr.

Wie hat sich Markt des käuflichen Sex’ verändert?
Er hat sich in Richtung Zwangs- und Armutsprostitution verändert. In Stuttgart hatten im Jahr 2012 nur 18 Prozent der Frauen einen deutschen Pass. Dominiert wird der Markt von osteuropäischen Armutsprostituierten. Die Freier profitieren davon, denn nirgendwo sonst ist es so einfach und so günstig, sich eine Frau zu kaufen.

Kennen Sie Frauen, die das freiwillig machen?
Ja. Es gibt Frauen, die das machen, obwohl sie für sich auch Alternativen sehen – deutsche und ältere Frauen vor allem. Sie machen insgesamt aber nur einen Anteil von wenigen Prozenten aus. Sabine Constabelprivat

Wie geht die Ausbeutung der Frauen vonstatten?
Die Armutsprostituierten müssen Geld herbringen. In den meisten Fällen hat die Großfamilie entschieden, die jungen Mädchen nach Deutschland zu schicken, um den Lebensstandard aller zu sichern. Dies spricht sich dann in den Heimatdörfern herum, weil es der Familie gut geht. So folgen immer neue Frauen. Es gibt ganz viel Nachschub aus Osteuropa.

Wie erleben Sie die jungen Frauen?
Die Mädchen sind genauso normal und verletzbar wie unsere Töchter. Viele werden hergeschickt oder fahren mit einem Verwandten her, bekommen ihr Zimmer gezeigt und erfahren, was sie sagen müssen. Sie sind komplett fremd hier. Alle Informationen laufen über die Männer, von denen sie abhängig sind. Da wird ein weiblicher Körper zur Verfügung gestellt, und der Freier tobt sich aus. Das ist nicht mehr Prostitution im herkömmlichen Sinne, sondern oft pure Gewalt, die da stattfindet. Viele junge Frauen sind daher traumatisiert bis in die Haarspitzen. Und weil es die Normalität ist, greift das neue Prostitutionsgesetz nicht – die Frauen können es gar nicht nutzen. Eine 18-jährige Analphabetin aus Osteuropa fordert ihre Rechte nicht ein. Sie nimmt stattdessen Drogen, Alkohol oder spaltet ihr Bewusstsein.

Was vor allem kritisieren Sie an dem Gesetz?
Dass der Gesetzgeber wieder nicht die Lebensbedingungen derjenigen im Auge hatte, die da arbeiten. Er tut so, als wären es professionelle Frauen – er sitzt immer noch den Lobbyistinnen auf, wenn auch nicht mehr so sehr wie damals. Und ich kritisiere, dass die Polizei keine ausreichenden Eingriffsmöglichkeiten an die Hand bekommt, um gegen Ausbeutung wirksam einschreiten zu können. Das andere Problem ist, dass viele Politiker noch davon ausgehen, dass da eine Dienstleistung am Körper verkauft wird. Vergessen wird: Sexualität ist keine Ware. Es ist stets der ganze Mensch, der da berührt wird. Da muss die Politik nur die von ihr bezahlten Studien lesen.

Reicht es, Prostitutionsstätten einer gewerberechtlichen Überwachung zu unterziehen?
Nein, das reicht nicht. Für die Armutsprostituierte ist es irrelevant, ob der Betreiber einen Gewerbeschein hat. Die 18-Jährige versucht nur zu überleben. Ich bezweifle, dass dies der richtige Weg ist. Nun haben auch die Liberalsten nicht gewollt, dass hier ein Markt für den Menschenhandel entsteht. Da Regeln aufzustellen, ist zumindest mal ein wichtiger Schritt. Doch kann er nicht funktionieren, weil damit viel Geld zu verdienen ist. Gerade die Betreiber der edleren Bordelle freuen sich auf die Konzessionierung. Denn sie erfüllen mit ihrem Geld schon jetzt sämtliche Auflagen. Die wird es gar nicht tangieren. Zumal sie nichts damit zu tun haben wollen, wer sich in ihrem Laden verkauft. Die Mädchen werden ihnen vor die Tür gestellt. Und wenn ein Vermieter der sogenannten Modellwohnungen die Auflagen nicht mehr erfüllen kann, kommt die schwindende Konkurrenz den Großen noch sehr gelegen.

Was könnte Zwangsprostitution zurückdrängen?
Der Gesetzgeber müsste den Markt unterbinden.

Mit einem Verbot wie in Schweden, wo der Kauf sexueller Dienstleistungen seit 1999 bestraft wird?
Ich habe in 22 Jahren mit unzähligen Frauen geredet. Ich kenne unendlich viele Lebensgeschichten und kann nicht anders, als zu sagen: Am sinnvollsten wäre es, Prostitution zu verbieten.

Trauen Sie der Politik diese Einsicht auch irgendwann zu?
Ihr wird über kurz oder lang nichts anderes übrig bleiben. Wie lange will man da noch zuschauen? Auf Bundesebene sehen alle Handlungsbedarf, wenn auch einen sehr unterschiedlichen. In Stuttgart erlebe ich allerseits ein ehrliches Bemühen zu helfen.

Grüne und FDP argumentieren, dass ein Verbot die Szene in unkontrollierte Bereiche verdrängt?
Das sehe ich nicht so. Die Prostitutionsszene ist schon jetzt nur sehr schwer zu kontrollieren. Und viele deutsche Frauen sagen, wenn es nicht so einfach gewesen wäre, wären sie damals nicht eingestiegen. Ein Verbot hätte ihnen geholfen.