Exklusiv Der oberste Geheimdienstkontrolleur des Bundestags, Clemens Binninger, fordert nach den jüngsten Enthüllungen über US-Aktivitäten in Deutschland einen Strategiewechsel in der Spionageabwehr.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)
Berlin – - Der neueste Spionagefall ärgert den Chef des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste. Clemens Binninger will den Verfassungsschutz aufrüsten und Agenten befreundeter Staaten ins Visier nehmen. Der CDU-Mann warnt aber vor Illusionen.
Herr Binninger, wie gravierend ist der neueste Fall von US-Spionage in Deutschland?
Wenn sich die Verdachtsmomente bestätigen, wäre das ein großer Vertrauensverlust. Ein solcher Fall hätte zwangsläufig Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten.
„Jetzt reicht’s“, sagt der Bundespräsident. Reicht’s Ihnen auch?
Ja. Natürlich reicht’s mir auch. Ich halte es aber für unverzichtbar, diesen Fall jetzt umfassend und gründlich aufzuklären. Wir sollten uns darauf konzentrieren zu überprüfen, wie das überhaupt passieren konnte. Wo haben die Sicherheitsmechanismen beim Bundesnachrichtendienst versagt, sofern sie versagt haben? Und schließlich: welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen sind zu ziehen? Dass es reicht – darüber sind wir uns einig.
Seit einem Jahr reden wir darüber, dass die Amerikaner uns ausspionieren. Wann folgen endlich Konsequenzen?
Es reicht nicht, sich ständig nur zu empören und der Empörung immer neue Empörungen folgen zu lassen. Das wäre zu kurz gesprungen. Bei allem Verständnis dafür, müssen wir zunächst konkret und stichhaltig beweisen, was angeblich passiert ist. Nur dann sind wir in der Lage, Konsequenzen einzufordern und die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir haben erdrückende Indizien, die beruhen im Moment aber nur auf Aussagen des Beschuldigten. Deshalb tut Aufklärung not, sonst stellen wir in drei Monaten wieder fest: Wir haben uns alle furchtbar empört, konnten aber nichts richtig nachweisen – und geändert hat sich auch nichts. Damit würden wir Vertrauen der Bürger verspielen.
Hatten wir zu romantische Vorstellungen von der „transatlantischen Partnerschaft“?
Romantische Vorstellungen wären schlichtweg naiv in der Innen- und Sicherheitspolitik. Solchen Illusionen bin ich nie angehangen. Außerdem darf man nie vergessen, dass wir zwar Partner sind, aber jeder Partner auch seine ganz eigenen Interessen verfolgt. Gleichwohl muss man die Frage stellen, was das alles soll? Vorausgesetzt, es stimmt alles, worüber jetzt geschrieben wird: Warum ist man bereit, so viel Flurschaden und zerschlagenes Porzellan für Informationen von sehr begrenztem Wert zu riskieren? Auch wenn Partner Interessen haben, die sich nicht zu hundert Prozent mit unseren decken müssen, braucht es eine Grundlage des Vertrauens, wenn man in den Krisenregionen dieser Welt oder bei der Bekämpfung des Terrorismus zusammenarbeiten will und auch muss. Mit solchen Aktionen wird diese Grundlage zerstört. Das erschwert die Zusammenarbeit nachhaltig.
Was werfen Sie den Amerikanern vor?
Wer ernsthaft an einer Zusammenarbeit und einer Vertrauensgrundlage interessiert ist, muss jetzt seinen Beitrag zur Aufklärung leisten. Mit Auskünften wie „kein Kommentar“ kommen wir nicht weiter.
War unsere Spionageabwehr zu blauäugig?
Wir müssen redlich bleiben: Was dem Bundesamt für Verfassungsschutz in der Vergangenheit für solche Aufgaben an Personal, Geld und technischen Mitteln zur Verfügung gestanden hat, reichte nicht, um jede denkbare Bedrohung ins Visier zu nehmen. Man konzentrierte sich deshalb auf Angriffe, die realistisch erschienen. Dazu gehörten Nato-Partner aus guten Gründen bislang nicht. Diese Strategie wurde bisher auch von niemandem in Frage gestellt.Eine Lehre wird deshalb sein, den Verfassungsschutz so auszustatten, dass er in der Lage ist, jede Art von Spionage zu erkennen, egal aus welcher Richtung sie kommt.