Der britische Schauspieler Patrick Stewart (76) verabschiedet sich in „Logan“ von seiner Rolle als Professor X. Der Charakter der Figur sei seinem eigenen ähnlich, sagt er, genauso wie seine andere „Star-Trek“ -Rolle als Captain Picard. Dabei hatte er selbst einen schwierigen Start ins Leben.

Berlin - Unter Theater-Enthusiasten war Patrick Stewart als Mitglied der Royal Shakespeare Company längst ein Star. Als Captain Jean-Luc Picard erlebte er mit der Science-Fiction-Serie „Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert“ späten Weltruhm. Jetzt ist er noch einmal in seiner zweiten ikonografischen Leinwand-Rolle des Professor Charles Xavier aus dem X-Men-Universum in der Comic-Verfilmung „Logan“ zu sehen. Der Film startet am 2. März. Wir trafen den bescheidenen Gentleman zum Interview in einem Luxus-Hotel am Potsdamer Platz in Berlin.

 
Mister Stewart, im Kern ist „Logan“ die Familiengeschichte eines Mannes, seines Sohnes und seiner Enkeltochter. Sie selbst hatten eine sehr schwierige Beziehung zu ihrem Vater. Wie präsent ist Ihr Vater, wenn sie so eine Rolle spielen?
Im Grunde ist mein Vater in diesen Rollen immer präsent. Aber es hat viele Jahre gedauert, bevor ich die Tatsache akzeptiert habe, wie sehr er in meiner Arbeit gegenwärtig war. Es ist vor allen Dingen seine Gewalttätigkeit, die ich immer wieder erlebt habe. Sein Einfluss auf mein Leben war immer größer als ich mir erlaubte zuzugeben.
Wie sind Sie der Sache auf den Grund gegangen?
Vor ungefähr zehn Jahren habe ich den Macbeth in Uniform gespielt. Aus irgendeinem Grund hatte ich mir für die Rolle einen Schnurrbart wachsen lassen. Ich zog also am ersten Abend mein Kostüm an. Und als ich da vor dem Spiegel stand, mit meinem Kalaschnikow-Maschinengewehr in der Hand, starrte mir aus dem Spiegel plötzlich mein Vater entgegen. Denn dieses Bild war meine erste Erinnerung an ihn. Er war Regimentsfeldwebel in einer Fallschirmspringereinheit der britischen Armee. Ich habe ihn erst mit fünf Jahren kennengelernt, ich bin Jahrgang 1940 und vorher hatte er im Krieg gekämpft. Nach einer vorzüglichen Therapie lasse ich es jetzt bewusst zu, ihn in meine Arbeit einzubauen.
In den X-Men- und Wolverine-Filmen ging es immer auch um das Thema des Außenseiters. Kennen Sie dieses Gefühl?
Ich kenne es gut. Meine Familie hatte nicht viel Geld, im Gegenteil, wir waren sogar ziemlich arm. Meine Eltern, mein Bruder und ich lebten in einem Haus, in dem es ein Zimmer im Parterre und eines im ersten Stock gab. Es war mir vorher gar nicht so bewusst, weil ich es ja nicht anders kannte. Aber mit ungefähr zwölf Jahren habe ich ein anderes Bewusstsein für meine Umwelt entwickelt. Zu dieser Zeit fing ich mit der Schauspielerei an und hatte auf einmal Kontakt zu anderen Menschen, die gebildet waren und anders lebten als wir. Mit fünfzehn bin ich dann ja von der Schule abgegangen. Mir wurde irgendwann klar, dass ich in meiner Jugend sozial benachteiligt gewesen bin. Und das ist ein Gefühl, das geblieben ist. Für viele Jahre, auch in meinem Berufsleben, hatte ich das Gefühl Außenseiter zu sein, nicht richtig dazu zugehören.
Wie denken Sie heute darüber?
Da muss ich meiner Frau danken, Sie hat mich davon überzeugt, dass ich kein Außenseiter mehr bin. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dazu zugehören. Trotzdem habe ich manchmal immer noch mit diesem Thema zu kämpfen. Aber wissen Sie, für einen Schauspieler ist das eigentlich kein zu schlechter Zustand. Man sollte sich in der Gesellschaft nie zu wohl fühlen.
Die Rolle des Jean-Luc Picard hat Sie im fortgeschrittenen Alter von 47 Jahren zum Weltstar gemacht. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe es lange auf jede erdenkliche Art ignoriert. Ich wollte nicht wahrhaben, dass es einen Einfluss auf meinen Status als Schauspieler hat. Aber dann hatte ich immer wieder diese sehr seltsamen Erlebnisse. Einmal bin ich auf einem sehr abgelegenen Eiland der Fidschi-Inseln angekommen. Als ich vom Boot auf den Anleger sprang, sagte jemand: Oh mein Gott, es ist Jean Luc Picard! Etwas ähnliches passierte mir bei der Besichtigung eines Maya-Tempels in Yucatán. Meine Star-Treck-Kollegen meinten immer, ich hätte eine Art „Armuts-Mentalität“. Vielleicht konnte ich auch deswegen nicht glauben, dass ich es zu etwas gebracht hatte.
Was haben Sie sich von Ihrem ersten großen Gehalt geleistet?
Meine Kollegen kauften Flugzeuge, ich habe mir ein neues Auto geleistet. Als ich zum ersten Mal damit auf das Studiogelände fuhr, konnten sie es nicht fassen und waren förmlich verzweifelt. Ich fand, es war ein sehr schönes Auto. Aber es war ein Honda. Trotzdem, ich liebte meinen Honda. Es war das erste neue Auto, das ich jemals besessen habe. Das charakterisiert mich ganz gut, glaube ich.
Wie gehen Sie heute mit Geld um?
Nach und nach, durch Ermutigung meiner Frau, beginne ich mit 76 Jahren ein bisschen den Luxus zu genießen, den ich mir leisten kann. Wissen Sie, ich bin ein Sammler. Kunst fasziniert mich. Ich hätte nie geglaubt, das ich mir einmal ein Original an die eigene Wand hängen kann. Und dann reise ich sehr gerne. Trotzdem ist Geld nicht meine Motivation. Wir dürfen es dem Filmstudio nicht erzählen, aber ich finde die Rolle des Charles Xavier in „Logan“ so gut, ich hätte sie auch umsonst gespielt.
Wer ist Ihnen nach all den Jahren näher: Jean-Luc Picard oder Charles Xavier?
Jean-Luc Picard hat einen ganz besonderen Platz in meiner Karriere. Schon ganz einfach deshalb, weil ich ihn für sieben Jahre beinahe jede Woche gespielt habe. Spätestens in der zweiten Staffel der Fernsehserie, musste ich mich gar nicht mehr in die Rolle hinein denken, so sehr waren wir miteinander verschmolzen. Jean-Luc Picard wurde Patrick Stewart und umgekehrt. Am Ende wusste ich ehrlich gesagt selbst nicht mehr, wo der eine anfing und der andere aufhörte. Mit Charles Xavier ging es mir irgendwann genauso. Aber ich habe ihn eben nur alle paar Jahre fürs Kino gespielt.
Wie war diese perfekte Verschmelzung möglich?
Beide Männer sind sich ähnlich. Es existieren da bei beiden diverse Charakterzüge, die mich sehr ansprechen. Wir haben einen ähnlichen Humor, die gleiche Lebensphilosophie und teilen politische Überzeugungen. Viele Ideen habe ich ja auch eingebracht, gerade wenn es um Politik in „Enterprise“ ging. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, ist mir Picard doch näher. Ganz einfach, weil ich mehr Zeit mit ihm verbracht habe.
„Logan“ soll der letzte der Wolverine-Reihe mit Hugh Jackman sein. Damit ist es wahrscheinlich auch Ihr letzter Auftritt als Charles Xavier. Wie haben Sie die letzten Drehtage erlebt?
Ich war schon melancholisch. Die letzte halbe Stunde ist ja auch sehr traurig, ohne zu viel zu verraten. Ich bewundere den Mut des Filmstudios. Denn „Logan“ ist eine Comic-Verfilmung, aber sie hat viel mehr Tiefe, als man es in diesem Genre erwartet. Bei uns ging es im Kern immer um Menschen und echte Emotionen. Im Grunde bereiten Hugh Jackman und ich uns seit zwanzig Jahren auf diesen Film vor. Er war die logische Konsequenz unserer Zusammenarbeit. Wissen Sie, ich war an dem Tag in Toronto, als er zum ersten Mal ans Filmset kam, um für die Rolle vorzusprechen und seinen Leinwand-Test zu machen. Wir haben diese ganze Reise von Anfang bis Ende miteinander geteilt.
In einem Alter, in dem andere Menschen längst in Pension sind, haben Sie vor vier Jahren ein völlig neues Leben im New Yorker Stadtteil Brooklyn begonnen. Woher haben Sie die Energie zu diesem Schritt genommen?
Das war relativ einfach. Denn ich bin meiner Frau in Brooklyn begegnet und sie lebte bereits dort. Für einige Jahre haben wir in einer transatlantischen Beziehung gelebt. Das war manchmal eigenartig und schwierig. Trotzdem sind wir zusammen geblieben. Irgendwann hat sie mir gesagt, sie möchte Brooklyn nicht verlassen. Also bin ich letztendlich sehr gerne zu ihr gezogen. Nach meiner ersten Nacht in ihrem Apartment wollten wir am Sonntag zum Brunch gehen. Auf der 14. Street erkannten mich zwei ältere Männer, die auf einer Bank saßen. Eigentlich war ich für so etwas nicht in der Stimmung. Aber als wir an ihnen vorbei gingen, meinten sie nur: Hey, Mister Stewart! Willkommen in der Nachbarschaft. Genießen Sie es. Genau deswegen liebe ich Brooklyn. Wir haben aber auch ein Zuhause in London und in England auf dem Land.
Sie sind jetzt in dritter Ehe mit der 38 Jahre jüngeren Sunny Ozell verheiratet. Sind Sie etwa ein hoffnungsloser Romantiker?
Ich bin ein Romantiker. Und mein Familienleben ist mir sehr wichtig. Einsamkeit kann ich nur genießen, wenn ich weiß, dass ich jederzeit zu meiner Familie zurück kommen kann. Als ich Sunny geheiratet habe, da habe ich ihre Familie mit geheiratet und das sind ganz fantastische Menschen. Mein Freund Ian McKellen hat ja netterweise unsere Hochzeitszeremonie durchgeführt. Ich habe eine kleine Rede gehalten, in der ich gesagt habe: Das Gerücht, dass ich Sunny nur heirate, um mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen zu können, ist vollkommen wahr.