Die Lehrerin Doris Graber hat jahrelang in ihrer Schule ein Kopftuch getragen, obwohl es eigentlich verboten war. Nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchstreit spricht sie nun zum ersten Mal über ihre Erfahrungen.

Stuttgart - Doris Graber hat 16 Jahre lang in der Schillerschule in Bad Cannstatt als Lehrerin Kopftuch getragen – bis zu ihrer Altersteilzeit im Jahr 2011. Die Muslimin hat sich durch drei Instanzen geklagt und am Ende eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die Kopfbedeckung nicht abnehmen zu müssen. In den Medien tauchte die 64-Jährige immer nur auf, wenn sie vor Gericht stand. Auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts reagiert die Stuttgarterin erleichtert und ist erstmals bereit, ein Interview zu geben.

 
Frau Graber, wie beurteilen Sie das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchstreit?
Dieses Urteil war überfällig. Man kann an Schulen nicht Kreuz und Kippa zulassen und das Kopftuch verbieten. Das widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz. Eine Demokratie, in der solche Gesetze gemacht werden, handelt verfassungswidrig. Deshalb bin ich erleichtert und hoffe, dass Musliminnen künftig nicht nur an Schulen das Tragen von Kopftüchern erlaubt sein wird, sondern sich auch andere Türen öffnen. Ich kenne so viele hoch qualifizierte Musliminnen, die keine Arbeit finden, weil sie nicht bereit sind, ihr Kopftuch abzunehmen. Das ist eine unglaubliche Verschwendung von menschlichen Ressourcen.
Auch sie waren nicht bereit, ihr Kopftuch im Schuldienst abzunehmen.
Das stimmt, ich habe den Rechtsweg beschritten. Die Klage ging bis vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das dem Land Recht gab. Daraufhin habe ich eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, um Zeit zu gewinnen. Als ich dann in Altersteilzeit gegangen bin, habe ich die Beschwerde zurückgezogen. Ich wollte die öffentliche Aufmerksamkeit nicht. Das schwebende Verfahren aber hat es mir ermöglicht, das Kopftuch bis zum Ende meiner Dienstzeit weiter zu tragen.
Ihre Geschichte ist geradezu unglaublich. Sie haben jahrelang in Bad Cannstatt mit Kopftuch unterrichtet und niemand hat sich daran gestört. Bis ihr Fall von Fereshta Ludin öffentlich gemacht wurde.
Ich habe 1995 beschlossen, Kopftuch zu tragen, zu einem Zeitpunkt, als ich schon 17 Jahre an der Schillerschule unterrichtet habe. Dass ich bekennende Muslimin bin, wussten alle, weil ich meine Religion auch in die Schule eingebracht habe. Im Ramadan haben die muslimischen Schüler ihre Klassenkameraden und Lehrer mit selbst gekochten Köstlichkeiten zum Fastenbrechen in die Schule eingeladen. Beim Zuckerfest habe ich den Kindern Süßigkeiten mitgebracht. An der Schule war meine Religion nie ein Problem, weder für den Schulleiter, noch für die Eltern und für die Kinder schon gar nicht.
Wie sind die Schüler mit dem religiösen Symbol umgegangen?
Für die muslimischen Kinder ist es gut, eine Lehrerin zu haben, die denselben Glauben hat. Sie fühlen sich oft wie Schüler zweiter Klasse, auch wenn sie eine große Gruppe sind. Die anderen gehen in den christlichen Religionsunterricht, die Muslime bekommen Förderstunden, das ist keine Begegnung auf Augenhöhe. Weihnachten wird gefeiert, Ramadan nicht, deshalb ist es wichtig, auch muslimische Feiertage zu begehen. Ich konnte als Muslimin auch anders mit den Eltern reden, etwa, wenn es um das Schullandheim ging.