Chefredaktion : Holger Gayer (hog)
Das schlimmste Schimpfwort in Stuttgart scheint ja „Investor“ zu sein. Was aber wäre die Stadt ohne Investoren?
Veronika Kienzle Natürlich braucht es Firmen und Personen, die Geld für Projekte ausgeben. Aber es braucht auch ein Korrektiv, das nicht erst eingeschaltet wird, wenn alle Pläne fertig sind. Eine bedarfsorientierte Stadtplanung ist daher vordringliche Aufgabe der Verwaltung.
Der Baubürgermeister hat inzwischen ein grünes Parteibuch. Da müsste jetzt doch alles in ihrem Sinne laufen.
Michael Kienzle Peter Pätzold hatte bisher nicht viel Zeit zum Gestalten. Aber beim geplanten Abriss der ehemaligen EnBW-Zentrale an der Kriegsbergstraße hat er die Bremse reingehauen. Das finde ich in Ordnung.
Das klingt nicht nach Begeisterung.
Michael Kienzle Aber auch nicht nach Kritik. Geben wir ihm Zeit, den Investoren klarzumachen, was geht und was nicht geht. Die Voraussetzungen hat er: Er ist Architekt und kennt Stuttgart in all seinen Facetten.
Welche dieser Facetten mag das Ehepaar Kienzle ganz besonders?
Veronika Kienzle Wir genießen das Wechselspiel zwischen Distanz und Nähe: Einerseits haben wir jederzeit die Möglichkeit, in das reichhaltige kulturelle Leben der Stadt einzutauchen, andererseits können wir in der Anonymität der Großstadt abtauchen. Bei aller Sympathie für die Provinz, aber das geht auf dem Dorf nicht. Und dann haben wir in der Innenstadt immer den Unterschied zwischen jenen, die in die Stadt fahren, um zu arbeiten und einzukaufen, und denen, die in der Stadt leben. Wir, die hier leben, sind immer auch Gastgeber. Manchmal würden wir aber auch gerne die Tür ein wenig schließen und den Leuten sagen: Eure Erwartungen überfordern uns.
Michael Kienzle Das ist ähnlich wie bei der Flüchtlingsdebatte. Da fragt man sich auch, wie viele Gäste man aushält. Wenn man mit ihnen spricht und weiß, dass der eine Hassan heißt und der andere Mohammed, und beide sich integrieren wollen, funktioniert das Zusammenleben gut. Das ist bei Tagesbesuchern aus der Region oft schwieriger.
Wie bitte? Sie ertragen Flüchtlinge besser als Waiblinger und Göppinger?
Veronika Kienzle Unsere Aufgabe besteht darin, alle Menschen willkommen zu heißen, aber nicht jede Verhaltensweise geduldig zu ertragen.
Michael Kienzle Die meisten Flüchtlinge wollen hier leben. Deswegen pinkeln sie auch nach dem vierten Bier nicht einfach an einen Baum und fahren danach nach Hause. Mit den Personen, die das tun, kommt man nicht ins Gespräch. Die leiden unter einer sozialen Dissoziation.
Sie verunglimpfen die Menschen aus der Region mit einem klug klingenden Fremdwort?
Michael Kienzle Nein, ich beschreibe einen alltäglichen Zustand, der durch das Freizeitverhalten junger Leute aus der Stadt und der Region entsteht. Man erträgt es ja, wenn der Nachbar an einem Abend zu viel getrunken hat und deswegen randaliert. Wenn das aber jeden Abend vorkommt, geht es nicht mehr. Ich kenne jemanden aus der Calwer Straße, der genau deswegen weggezogen ist . . .
Veronika Kienzle  . . . nach 35 Jahren in Stuttgart.