Gute Laune beim Wahlkampfauftakt: Die Linken-Bundesvorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner mit Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek (von links). Foto: IPON/IMAGO
Im Bundestagswahlkampf ist die lange totgesagte Linke wieder in aller Munde. Sie profitiert auch, weil das Bündnis Sahra Wagenknecht schwächelt. Trotzdem steht der Einzug der Linken ins Parlament auf der Kippe, sagt Parteienforscher Thomas Poguntke.
Lange Zeit sah es danach aus, dass die Linke 2025 nicht mehr in den Bundestag einzieht. Aktuell scheint die Partei aber im Aufschwung zu sein. Allzu sicher sollte sie sich dennoch nicht sein, sagt Parteienforscher Thomas Poguntke.
Herr Poguntke, wenn Sie wetten müssten, ob die Linke es in den Bundestag schafft: Wie viel Geld würden Sie setzen?
Ich würde sagen, es gibt eine Chance, die liegt im Moment bei 40 zu 60. Ich rechne eher nicht damit, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde knacken. Wenn, dann schaffen sie es vermutlich über die Grundmandate – aber es ist auch nicht völlig abwegig, dass sie fünf Prozent der Zweitstimmen erreichen.
In vielen der neueren Umfragen holt die Linke doch gerade auf und steht immer wieder bei fünf Prozent?
Die Umfragen darf man nicht überbewerten. Sie liegen zum Teil relativ weit auseinander und haben große Fehlermargen. Wenn da eine Partei momentan bei vier oder fünf Prozent liegt, kann man mit keiner sicheren statistischen Wahrscheinlichkeit sagen, wohin es geht. Vor allem, weil wir immer noch einen erheblichen Teil unentschiedener Wähler haben. Die werden zwar nicht von ganz links nach ganz rechts wandern. Aber da kann es schon noch Wechsel geben, die von den letzten Wochen des Wahlkampfes beeinflusst werden.
Können wir bei der Linke dann zur Zeit überhaupt von einem Aufschwung sprechen?
In dieser Phase des Wahlkampfs würde ich so etwas grundsätzlich nicht tun, nur weil sich manche Umfragewerte um einen Prozentpunkt verschieben. Die Linke erholt sich ein bisschen, das sieht man schon. Aber ob das ein richtiger Aufschwung ist oder nur eine Abweichung in den Messungen, lässt sich schwer beurteilen.
Aktuell dominiert das Thema Migration den Wahlkampf, hunderttausende Menschen gingen vergangene Woche auf die Straße. Inwiefern hilft die Debatte der Linken?
Es gibt einen gewissen Mobilisierungseffekt, aber den darf man nicht überbewerten. Ich würde auch die Demonstrationen nicht überschätzen – zumal es zu früh ist, dazu seriöse Einschätzungen zu treffen. Es wird darauf ankommen, wie die Diskussionen in den kommenden ein, zwei Wochen weiterlaufen. Natürlich gab es jetzt eine große Aufregung, aber die kann auch wieder verfliegen. Insofern kann dieser Effekt auch wieder ein Stück weit nachlassen. Ich rechne fest damit, dass wir ab jetzt stärker über wirtschaftspolitische Themen sprechen werden. Da muss die Linke dann mit ihrem starken ökonomisch-linken Programm punkten.
„Wie viele Wähler man über Social Media gewinnt, ist unklar“
Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinneks Rede im Bundestag wurde vergangene Woche allein auf TikTok millionenfach aufgerufen, zudem hat sie mehr als 100 000 Follower gewonnen. Das muss der Partei doch helfen.
Bei den Wahlkampfanstrengungen in den sozialen Medien ist sich die Wissenschaft nicht ganz einig. Klar ist: Man muss das machen. Aber es ist nicht eindeutig, wie viele Menschen man außerhalb der eigenen Anhängerschaft wirklich erreicht. Was die Aktivitäten sicher bewirken, ist dass die eigenen Anhänger mobilisiert und in ihren Überzeugungen gestärkt werden. Aber wie viele neue Wähler die Parteien dadurch gewinnen, ist sehr schwer abzuschätzen.
Gleichzeitig setzen die Linken im Wahlkampf auf die „Mission Silberlocke“: Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow treten als Direktkandidaten an. Ist diese Strategie sinnvoll?
Absolut. Es gibt immer noch linke Hochburgen. Und durch die Zersplitterung des Parteiensystems sinken die Schwellen für den Gewinn eines Direktmandats. Ich habe mal ausgerechnet, dass man schon mit 20 oder 25 Prozent einen Wahlkreis gewinnen kann. Also kann diese Drei-Sitze-Strategie schon funktionieren, so hat es 2021 ja auch geklappt.
Bei den Landtagswahlen im Osten hat das Bündnis Sahra Wagenknecht der Linken viele Stimmen abgenommen. Im Moment geht es für das BSW aber bergab – woran liegt das?
Dem BSW dürfte das gemeinsame Abstimmen mit CDU und AfD im Bundestag schaden. Zwar hat Frau Wagenknecht nie verschwiegen, wie wenig sie von der „Brandmauer“ hält, trotzdem zieht das BSW vor allem die Anhängerschaft der Linkspartei an. Da werden sich einige schwer damit tun, das Abstimmen mit der AfD in Kauf zu nehmen. Aber ich würde den Abstieg auch nicht zu sehr auf das Abstimmungsverhalten fokussieren.
Thomas Poguntke lehrt Vergleichende Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Foto: Universität Düsseldorf
Sondern?
Der Partei mangelt es an Organisation in der Breite, um einen Bundestagswahlkampf ordentlich bestreiten zu können. Es kommt noch immer stark auf den Straßenwahlkampf an, und dafür fehlen dem BSW die Freiwilligen. Außerdem ist es bei Parteigründungen von oben sehr häufig so, dass irgendwann die Attraktion des Neuen verfliegt und Ernüchterung einsetzt.
Kehren diese Wähler jetzt zur Linken zurück?
Natürlich kann die Linke von der Schwäche des BSW profitieren. Dennoch haben potenzielle BSW-Wähler neben der Linken noch andere Optionen, manche könnten auch zur AfD weiterwandern. Das können wir erst nach den Wahlanalysen seriös beantworten.
Zur Person
Parteienforscher Thomas Poguntke ist 1959 in Stuttgart geboren und seit 2011 Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Parteienrecht und Parteienforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er forscht vorwiegend zu Politischen Parteien und Parteiensystemen moderner Demokratien.
Bundestag Seit seiner Abspaltung von der Linken im Januar 2024 sitzt das Bündnis Sahra Wagenknecht mit zehn Abgeordneten im Bundestag. Die Linke hat im Parlament noch 28 Sitze.