Der Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon fordert eine stärkere Geste der Deutschen bei der Aufnahme der Syrien-Flüchtlinge. Die Lage der Menschen im Bürgerkriegsland und den Nachbarländern sei „eine Katastrophe biblischen Ausmaßes“.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Herr Bröckelmann-Simon, Sie waren kürzlich im Krisengebiet. Wie haben Sie die Lage der Flüchtlinge wahrgenommen?
Das ist eigentlich unbeschreiblich, eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Ich war im Nordirak und habe ein großes Lager dort besucht – mit etwa 130 000 registrierten Flüchtlingen. Und ich war im Libanon, wo die Flüchtlinge in kleinen Elendssiedlungen mit katastrophalen hygienischen Zuständen hausen. Eine unerträgliche Situation. Der Libanon hat in zweieinhalb Jahren einen Bevölkerungszuwachs von etwa 30 Prozent erlebt – das würde auf Deutschland übertragen einen Zuzug von 20 bis 25 Millionen Flüchtlingen bedeuten. Insbesondere das Bildungs- und Gesundheitssystem kann dies nicht bewältigen, zumal der Zustrom noch lange anhalten wird.
Können die Hilfsorganisationen da mehr bewirken als den berühmten Tropfen auf den heißen Stein?
Angesichts der Dimensionen ist jede Hilfe notwendig. Wir arbeiten mit den Flüchtlingen sowohl außerhalb des Landes als auch in Syrien selbst. Über Partnerorganisationen unterstützen wir die Menschen in Aleppo, in Homs und in Damaskus. Gerade noch war der Bischof von Aleppo bei uns in Deutschland. Er sagte, dass sie ihre Projekte trotz der total angespannten Lage aufrechterhalten können.
Wird das Leid in Syrien und den Nachbarländern hier in Deutschland ausreichend wahrgenommen?
Nein, das glaube ich nicht. Die Bundesregierung hat es sicher auf dem Bildschirm, dennoch wird es durch die neue weltpolitische Lage einfach in den Hintergrund gedrängt. Die letzte große Flüchtlingskonferenz zu Syrien, die in Paris geplant war, ist ganz kurzfristig zu einer Ukraine-Konferenz umfunktioniert worden – auch dies zeigt, dass der Bürgerkrieg in Syrien nicht oben auf der Agenda steht.
Laut Außenminister Steinmeier hat Berlin bisher 100 Millionen Euro plus aktuell fünf Millionen allein dem Libanon zur Verfügung gestellt. Das scheint doch eine große Summe zu sein.
Ja, dennoch ist das bei weitem nicht ausreichend – es ist ein Bruchteil dessen, was der Libanon braucht. Die Hilfskonferenzen für das Land haben bisher nicht die dort nötigen Summen erbracht. Aber es kann ja nicht nur an den Deutschen liegen. Innerhalb der EU ist überhaupt keine gemeinsame Linie erkennbar, was den Umgang mit Flüchtlingen angeht – das ist wirklich skandalös. Deutschland hat 2013 zugesagt, 10 000 Kontingent-Flüchtlinge aufzunehmen. Dies ist angesichts der Flüchtlingsdimensionen von 2,5 Millionen bei weitem nicht genug, selbst wenn andere EU-Länder viel weniger getan haben. Frankreich hatte bisher 500 Plätze angeboten – das ist einfach lächerlich.