Deutschland sollte sich mehr einfallen lassen, um Kindern den Zugang zu Kitas zu erleichtern, sagt Birgit Riedel. Auch über das Bildungsangebot und die Anforderungen an Erzieher spricht die Expertin vom Deutschen Jugendinstitut im Interview.

Stuttgart - F

 
rau Riedel, mehr Bildung in der Kita, das klingt nach Lerndruck und verschultem System.
In Deutschland gibt es in Krippe und Kindergarten traditionell einen Schwerpunkt auf dem sozialen Miteinander. Da war es in der Vergangenheit schon verpönt, wenn die Kinder mit Buchstaben und Zahlen in Berührung kamen. In Frankreich etwa wird ein stärkeres Augenmerk auf die kognitive Entwicklung gelegt. Der Bildungsort Kita sollte ganzheitlich ausgerichtet sein, auf das Soziale und Emotionale ebenso wie auf die Wissbegier der Kinder. Die müssen wir fördern und unterstützen.
Kommt denn der verstärkte Fokus auf die frühkindliche Entwicklung auch bei den Kindern an?
Wir sehen in Deutschland nach wie vor eine Ungleichheit beim Bildungszugang, je nachdem, ob die Kinder aus einem Elternhaus mit hohem oder niedrigem Einkommen, mit hohem oder niedrigem Bidlungsstand und mit oder ohne Migrationshintergrund kommen. Bestimmte Gruppen sind in den Kitas unterrepräsentiert. Die Vier- und Fünfjährigen sind nahezu flächendeckend im Kindergarten, die Quote liegt bei 97 Prozent. Eklatant sind die Unterschiede aber bei den unter Dreijährigen, von denen nur etwa jedes dritte Kleinkind Zugang zu einer frühkindlichen Förderung hat.
Also werden vor allem diejenigen nicht erreicht, die von dieser Förderung besonders profitieren würden?
Ja, genau. Die Kita ist ein sehr guter Ort, um in diesem Alter spielerisch und beiläufig Deutsch zu lernen. Bei einer Tagung unseres Internationalen Zentrums Frühkindliche Bildung in der kommenden Woche werden sich die Experten vor allem damit beschäftigen, wie man diesen Zugang erleichtern kann.
Wo liegen die Antworten?
Der Rechtsanspruch allein reicht nicht aus. Es genügt nicht, die Tür zu öffnen, um den Zugang zu den Einrichtungen zu legen. Sicher sind die Kosten, die je nach Bundesland unterschiedlich abgefangen werden, eine hohe Hürde. Die Eltern überlegen sich genau, ob sie dieses Geld investieren. Die Situation hat sich durch das Betreuungsgeld verschärft. Damit ist der Kitabesuch von vornherein zu einem Verlustgeschäft geworden. Eine fragwürdige und widersprüchliche Politik. Wir sollten die Eltern beim Prozess der Kitaplatzsuche stärker unterstützen. Außerdem müssen wir die Art der Angebote wahrscheinlich noch einmal neu überdenken, um das Gefühl der Fremdheit zu beseitigen: Sind die Angebote passend für alle Familien und verschiedene Kulturen? Vielleicht brauchen wir auch Angebote, die Eltern und Kinder nutzen können ohne regelmäßige Verpflichtung, wie das gerade in skandinavischen Ländern erprobt wird. Darüber hinaus wäre es sicherlich gut, wenn die Fachkräfte in den Kitas unterschiedliche kulturelle und sprachliche Hintergründe hätten.
Birgit Riedel Foto: privat
Die Qualität der Kita hängt entscheidend vom Personal ab. Aber ist es in Zeiten eines gravierenden Fachkräftemangels nicht sinnlos, immer höhere Ansprüche an die Erzieherinnen zu stellen?
Hier sind wir in der Tat in der Bredouille. Allerdings ist dieser Mangel nicht überall im Land so dramatisch. Wenn beim Kitaausbau allmählich die Zielmarke erreicht ist, wird die Qualität der Erzieherinnen automatisch stärker in den Fokus rücken. Qualifikation, Status, Einkommen und Aufstiegschancen werden dann die Stellschrauben sein, über die der Beruf attraktiver gemacht werden muss.