Können wir uns von allen Verboten freimachen und aus dem Bauch heraus entscheiden, was wir essen?

Digital Desk: Lukas Böhl (lbö)

Intuitives Essen soll kein neuer Diät-Trend sein, sondern im Gegenteil die Loslösung von strikten Regeln und Verboten bedeuten. Und zwar durch die Rückbesinnung auf das vermeintlich natürliche Essverhalten des Menschen. Das heißt, es gibt nur dann Essen, wenn der Körper es wirklich braucht. Und da man nach dieser Philosophie auf die eigene Intuition vertraut, ist auch kein Lebensmittel per se tabu. Es geht darum, nur so viel zu essen, dass Körper und Geist befriedigt sind. Dazu muss man allerdings zunächst die eigenen Hungergefühle richtig interpretieren. Der Körper teilt uns unter anderem durch folgende Signale mit, dass er Essen braucht:
 

 
  • Typisches Magenknurren und Leergefühl im Bauch
  • Nachlassende Konzentration
  • Gereiztheit, Stimmungsschwankungen
  • Unruhe und Müdigkeit
  • Leichtes Zittern

Neben dem Hungergefühl spielt auch das Sättigungsgefühl eine wichtige Rolle beim intuitiven Essen. Schließlich muss der Nahrungsaufnahme ein Ende gesetzt werden. Sättigung ist ein Gefühl von Fülle, das mit dem Rückgang von Hunger einhergeht. Folgende Anzeichen deuten auf Sättigung hin:
 

  • Ein voller Magen
  • Abnehmende Hungersignale
  • Verminderte Geschmacksempfindung
  • Weniger Appetit
  • Ein Wohlgefühl der Befriedigung

Intuitives Essen: Was steckt dahinter?

Die Idee hinter intuitivem Essen fußt auf der Vorstellung, dass unser Körper ein Tempel ist. Wenn wir ihm genügend Achtung und Dankbarkeit entgegenbringen, dafür, dass er uns jeden Tag durch die Welt trägt, wird er für uns die richtigen Essensentscheidungen treffen. Weiterhin kann intuitives Essen als Ausbruch aus dem Diäten- und generellen Essenswahn verstanden werden, der durch unsere Gesellschaft geistert und durch Social Media immer mehr Fahrt aufnimmt. Man darf dieses oder jenes nicht essen, weil dann (beliebiges Schreckensszenario einfügen) passiert.

Wie sieht intuitives Essen im Alltag aus?
 

  • Sie haben kein starres Regelwerk für Essen.
  • Sie essen das, worauf Sie Lust haben.
  • Sie nehmen nur so viel zu sich, wie Ihr Körper braucht.
  • Sie entscheiden über Essenfragen aus dem Bauch heraus.
  • Sie haben das Wohl Ihres Körpers stets im Hinterkopf.

Intuitiv essen: zwischen Appetit und Hunger unterscheiden

In Einheit mit seinem Körper zu sein bedeutet nicht nur, die obigen Signale richtig zu deuten, sondern auch sie von anderen, äußeren Einflüssen zu unterscheiden. In unserem Alltag prasseln so viele Eindrücke und Verlockungen auf uns ein, dass wir oftmals fälschlicherweise annehmen, hungrig zu sein, obwohl wir nur Appetit auf etwas Bestimmtes haben. Solche Reize entstehen sowohl durch Werbung und Unterhaltungsshows als auch durch Essensgerüche oder negative Emotionen, die wir mit Essen in Schach halten wollen. Folgende Tipps helfen Ihnen dabei, zu erkennen, ob Sie tatsächlich körperlichen Hunger verspüren:
 

  • Fragen Sie sich, ob Sie das begehrte Gericht oder den Snack auch durch eine andere Speise ersetzen könnten. Also ob Sie statt des Schokoriegels einen Apfel essen könnten. Körperlicher Hunger ist weit weniger wählerisch als unser Appetit. Halten Sie nach gewissen Hungerauslösern Ausschau. Sind Sie gerade an einem Werbeplakat vorbeigelaufen, haben Sie frischgebackene Brötchen gerochen oder jemanden über Pizza schwärmen gehört? In diesem Fall hat vermutlich ein externer Auslöseimpuls Ihren Appetit angeregt. Sind Sie dagegen zehn Kilometer gewandert, wird der Hunger körperlicher Natur sein.
  • Rufen Sie sich Ihre letzte Mahlzeit in den Kopf. Oft liegt diese gar nicht so lange zurück, wie wir glauben. Die plötzlich auftretenden Gelüste könnten ebenso in einem Anflug von Langeweile begründet sein, wonach das Essen als Ablenkung fungieren soll.
  • Fühlen Sie sich gerade nicht auf der Höhe und haben mit anderen Problemen zu kämpfen? In diesem Fall sollten Sie nicht in die Falle tappen, das Essen als Seelenpflaster zu missbrauchen. Auf lange Sicht wird dieses Verhalten genau das Gegenteil bewirken. Horchen Sie also besser nach körperlichen Hungersignalen.

Wie lerne ich, intuitiv zu essen?

Während uns als Baby körperlicher Hunger noch zum Schreien und Weinen brachte, müssen wir uns als Erwachsene regelrecht durch einen Dschungel echter und falscher Essenssignale schlagen, um herauszufinden, was wir tatsächlich empfinden. Zum Beispiel zwingen soziale Normen uns gewisse Essensmuster auf.

Früh lernen wir, unseren Teller immer aufzuessen, dass es zum Geburtstag Kaffee und Kuchen gibt oder wir drei Mahlzeiten am Tag essen sollten. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass es immer mehr und größere Teller werden, Kaffee und Kuchen mittlerweile nahezu überall und immer erhältlich sind und eine ganze Industrie auf Snacks aufgebaut wurde, die wir zusätzlich zu den drei Mahlzeiten konsumieren.

Darüber hinaus wird unser Körper durch stark verarbeitete Lebensmittel in die Irre geführt. Nicht nur sind in sehr kleinen Portionen überproportional viele Kalorien enthalten, der ganze Zucker und das Fett tricksen zudem unser Gehirn aus, das ständig nach mehr verlangt, weil es den Überschuss als Notreserve für schlechte Zeiten anlegen möchte. Dabei realisiert es nicht, dass wir im 21. Jahrhundert leben und Fett und Zucker für wenige Cents an jeder Straßenecke zu haben sind.

Intuitives Essen ist also nicht nur die innere Rückbesinnung auf verlorengegangene Körpersignale, sondern auch die bewusste Hinterfragung äußerer Reize. Mit diesen Tipps gelingt Ihnen die bessere Wahrnehmung Ihrer echten Empfindungen:
 

  • Fragen Sie sich zunächst, ob Sie tatsächlich hungrig sind. Antworten Sie nicht gleich mit ja oder nein, sondern scannen Sie Ihren Körper nach echten und falschen Hungersignalen ab. Ist mein Hunger in meinem Herzen oder in meinem Magen begründet? Bin ich gelangweilt oder habe ich tatsächlich schon seit sechs Stunden nicht mehr gegessen?
  • Essen Sie bewusster. Wer sein Essen immer nur herunterschlingt und dabei auch noch vor einem Bildschirm sitzt, isst mit großer Wahrscheinlichkeit am Sättigungsgefühl vorbei. Die Sättigungssignale, die unser Körper an unser Gehirn sendet, brauchen einige Zeit, um anzukommen. Währenddessen lässt sich ohne Rücksicht auf diese Signale eine Menge Essen verschlingen. Legen Sie das Besteck immer wieder ab und kauen Sie jeden Bissen gut durch, bevor Sie den nächsten zu sich nehmen.
  • Laden Sie niemals zu viel Essen auf Ihren Teller. Denn auch ein kleiner Teller kann durch Stapeln des Essens mit sehr viel Volumen vollgeladen werden und da Sie vermutlich aus Anstand immer aufessen wollen, schneiden Sie sich hierbei ins eigene Fleisch. Rationieren Sie die Portionen also vernünftig und holen Sie lieber Nachschlag, anstatt auf Vorrat aufzuladen.
  • Lernen Sie echte Hungergefühle wieder kennen. Vielleicht wird Ihr Alltag so von Mahlzeiten und Snacks eingenommen, dass Sie seit langer Zeit keinen echten Hunger mehr gefühlt haben. Bevor dieser überhaupt aufkommen konnte, haben Sie schon wieder gegessen. Nun sollten Sie nicht hungern, um das Gefühl zu verspüren. Aber eine sportliche Einheit, die über Ihre sonstigen Bewegungsmuster hinausgeht, kann nicht schaden. Danach wird sich echter Hunger einstellen.

Ist intuitives Essen die Antwort auf alle Essensfragen?

In der Theorie klingen die Vorsätze alle schön und gut, doch wie genau gehe ich nun im Alltag damit um? Woher weiß ich, ob der Schokoriegel angebracht ist oder nicht? Eben genau an diesem Punkt scheitert die Idee von intuitivem Essen als allgemeingültige Schablonenlösung. Allein die Theorie, dass wir von Natur aus intuitive Esser sind, ist streitbar. Die meiste Zeit war Nahrung für unsere Vorfahren mangelhaft, das heißt, es musste immer dann, wenn es etwas gab, so viel wie möglich gegessen werden. Wir können Jahrtausende Evolutionsbiologie nicht einfach ausschalten. Insbesondere wenn unsere Lebensmittel immer schmackhafter und kalorienreicher werden.

Selbst wenn wir davon ausgehen, dass der Mensch tatsächlich als intuitiver Esser auf die Welt kommt, heißt das noch lange nicht, dass Intuition immer die richtige Entscheidung hervorbringt. Sowohl positive als auch negative Entscheidungen können aus dem Bauch heraus getroffen werden.

Ein weiteres Problem ist die ständige Verfügbarkeit von Essen und Verlockungen in der Werbung. Verlasse ich mich gänzlich auf meine Intuition, muss ich mich bei jedem Essensstand fragen: „Brauche ich das Essen oder will ich es nur?“ Nun mag es Menschen geben, die eine tiefe Verbundenheit zu ihrem Körper verspüren und über genügend Disziplin und Wissen verfügen, um jedes Mal die (für ihren Körper) richtige Entscheidung zu treffen. Doch nicht jeder Mensch ist so gestrickt, zumal unsere Lebensläufe völlig verschiedene Alltagssituationen mit sich bringen. Der eine mag mehr Stress haben, der andere weniger, ist dafür aber mehr Versuchungen ausgesetzt.

Fazit

Intuitives Essen kann nur dann funktionieren, wenn Sie sich und Ihre Bedürfnisse sehr gut kennen, Sie ein grundlegendes Verständnis von Ernährung haben und sich durch äußere Reize nicht ständig beeinflussen lassen. Zwar bietet diese Essensphilosophie den Vorteil, dass Sie sich nicht einschränken und Ihr Leben von Verboten bestimmt wird, auf der anderen Seite könnte sie für manche Menschen wie ein Freifahrtschein wirken, alles zu essen, worauf sie Lust haben und es durch die eigene Intuition zu rechtfertigen.