Die 250 Millionen Euro aus dem Investitionspaket des Bundes kommen nicht nur bei finanzschwachen Städten und Gemeinden an. Dass auch die Arbeitslosenzahl der Verteilung zugrunde liegt, stößt vielerorts auf offene Kritik.

Kreis Ludwigsburg - Für einen Bürgermeister, der die Geschicke einer Rotkreuz-Kommune leitet, hat Steffen Bühler erstaunlich viel Humor. Besigheim war vor einiger Zeit finanziell noch so schlecht aufgestellt, dass die Kommunalaufsicht im Landratsamt auf ihrer Übersichtskarte an Neckar und Enz ein rotes Kreuz markierte. Heute steht es um die Stadt nicht viel besser, aber: „Dem Ministerpräsidenten können wir nichts vormachen und unseren Reichtum schwerlich verbergen“, sagt Bühler im Scherz.

 

Zwei Euro pro Einwohner, in Summe rund 24 000 Euro, erhält die Zwei-Flüsse-Stadt aus dem aktuell abgewickelten Investitionspaket des Bundes. Richtig nachvollziehen könne er die Summe nicht – und damit ist Bühler, der für die CDU im Kreistag sitzt, in guter Gesellschaft. Rund 250 Millionen Euro verteilt der Bund zurzeit aus dem Investitionspaket in Baden-Württemberg. Allein: die Kriterien der Verteilung stoßen in vielen Rathäusern auf Stirnrunzeln oder gar auf offene Kritik.

Wer gut haushaltet, wird benachteiligt

Zum Beispiel in Korntal-Münchingen. Vor allem das Kriterium der Arbeitslosenquote hält Isabell Sprenger, persönliche Referentin des Bürgermeisters Joachim Wolf, für „fragwürdig“. Im Landkreis Ludwigsburg mit seiner enorm geringen Quote kommen nur sechs Kommunen nach diesem Kriterium überhaupt zum Zuge: Neben Ludwigsburg und Kornwestheim sind das Markgröningen, Kirchheim, Möglingen und Marbach.

Auch das Kriterium der Steuerkraft ziele zu stark auf „Einmaleffekte“ ab, so Sprenger weiter. „Wir hätten es für sinnvoll erachtet, wenn vor allem ein möglicher Investitionsbedarf in die Überlegungen mit eingeflossen wäre.“ Zu allem Überfluss sei auch noch das Kriterium der Kassenkredite – vulgo: überzogene Konten – mit eingeflossen. „Letztlich sind also Kommunen, die Haushaltsdisziplin walten lassen, benachteiligt“, sagt Isabell Strenger.

Ziemlich sauer ist man im Leonberger Rathaus. Denn während die benachbarten Großen Kreisstädte Böblingen, Sindelfingen und Herrenberg bis zu 400 000 Euro aus dem Investitionspaket des Bundes bekommen, geht Leonberg komplett leer aus. Ebenso wie im Kreis Böblingen nur noch Weissach und Ehningen – beide haben mit Porsche und IBM große Gewerbesteuerzahler und gelten daher als wohlhabend.

Zahlen hinter dem Komma entscheiden

Dass aber etwa Böblingen und Sindelfingen als „finanzschwach“ gelten, Leonberg aber als reich – das will Undine Binder-Farr, der Sprecherin der Stadt, nicht in den Kopf. „Wir könnten das Geld wirklich gut brauchen, schließlich haben wir Großinvestitionen vor wie ein neues Rathaus zu bauen“, sagt sie. Aber warum bekommt Leonberg kein Geld? „Leonberg hat im Verhältnis zum Landes-Durchschnitt und zu den anderen großen Kreisstädten tatsächlich eine unterdurchschnittliche Arbeitslosenzahl“, räumt Binder-Farr ein. Allerdings geht es dabei nur um ein paar Stellen hinter dem Komma: „Das ist von der Gewichtung aber wohl so gravierend, dass wir keine Zuschüsse bekommen.“

Aber auch bei der Steuerkraft ist man in Leonberg ziemlich konsterniert. „Im Haushaltsplan werden uns immer höhere Beträge wegen mangelnder Steuerkraft zugewiesen“, sagt Undine Binder-Farr. Es greife auch zu kurz, nur die Steuereinnahmen anzuschauen – es müsse auch berücksichtigt werden, welche Investitionen anfallen.

Leonberg hat sich in einem Brief an das Finanzministerium in Stuttgart gewandt und um Aufklärung gebeten. Auch der Städtetag hat in diesem Sinne protestiert, und das besonders skurrile Beispiel Aulendorf angeführt. Die Stadt hat wegen ihrer defizitären Therme seit Jahren massive Finanzprobleme – aber ebenfalls keine Fördermittel bekommen.

Nordrhein-Westfalen wird großzügig bedacht

Was viele Kämmerer und Bürgermeister an dem Verteilungsschlüssel stört: ein Großteil des Geldes – insgesamt rund 3,5 Milliarden Euro – fließt nach Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es Kommunen mit hohen Kassenkrediten und hohen Arbeitslosenzahlen. Die wirtschaftlich starke Region Stuttgart fällt dabei durchs Raster. Das sieht etwa Stefan Kegreiß kritisch. „Man trifft nicht unbedingt die Zielgruppe, die man fördern wollte“, sagt der Kämmerer der Stadt Freiberg. Insbesondere könne er zwischen einer hohen Arbeitslosenzahl und einem hohen Finanzbedarf „keine direkte Verbindung erkennen“. Die Kommunen könnten mit dem Geld – Freiberg erhält immerhin rund 150 000 Euro – Investitionen in energetische Sanierungen oder Lärmschutz tätigen. Sozialarbeiter könne man damit aber nicht einstellen.

„Der Verteilungsschlüssel ist ein politischer Kompromiss auf Bundesebene“, sagt der Finanzbürgermeister von Kornwestheim, Dietmar Allgaier. Seine Stadt steht finanziell nicht schlechter da als etwa Korntal-Münchingen, hat aber mit rund vier Prozent eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote und erhält deshalb rund 570 000 Euro. „Solche Förderungen sind hilfreich“, stellt er klar. Dennoch teilt er die inhaltliche Kritik der Kollegen: „Wer ordentlich wirtschaftet, hat das Nachsehen.“

Es geht auch noch ungerechter

„Eine absolute Gerechtigkeit kann man bei solchen Verteilungen nie erreichen“, betont Klaus Warthon. Er ist bei dem Thema zwiegespalten. Einerseits ist er Bürgermeister der Gemeinde Benningen, die mit mehr als 100 000 Euro von dem Programm profitiert. Andererseits ist er auch Finanzfachmann und Dozent an der Verwaltungshochschule in Ludwigsburg und kennt die Tücken bei der Aushandlung solcher Verteilungsschlüssel. Unlängst habe es ein Förderprogramm gegeben, bei dem das Geld schlicht an den Anteil der Einkommensteuer der Kommunen gekoppelt wurde. Wer hohe Einnahmen hatte, profitierte gleich doppelt. „Das war definitiv richtig ungerecht“, sagt Warthon.

Mit ein wenig Kreativität und Humor kann man im Investitionspaket auch Positives entdecken – so wie Steffen Bühler aus Besigheim. „Wir werden die zwei Euro pro Kopf sinnvoll einsetzen und beim Winzerfest Freiwein für alle anbieten“, so der Bürgermeister – natürlich wieder im Scherz.