IOC-Präsident Thomas Bach „Der Sport hat keine politische Macht“

Herr der Ringe: Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

Der mächtigste Sportfunktionär der Welt erklärt, warum er keinen Einfluss auf Wladimir Putin hat und weshalb russische Athleten wohl schon bald wieder zu Wettkämpfen zugelassen werden.

Thomas Bach ist keiner, der gerne Schlagzeilen produziert. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) denkt nach, bevor er redet, wägt jedes Wort ab. Und äußert sich manchmal doch deutlich. Zum Beispiel zu Wladimir Putin.

 

Herr Bach, Sie waren in Katar beim Eröffnungsspiel der Fußball-WM. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Ich war sehr angetan von der Begeisterung in den Fan-Zonen und in der Stadt. Es gab Fahnen aus aller Herren Länder, viele Sprachen waren zu vernehmen, und das alles in sehr friedlicher Stimmung. Die Qualität des Spiels stand auf einem anderen Blatt.

Haben Sie nach dem 0:2 von Katar gegen Ecuador noch weitere WM-Partien gesehen?

Ja, vor dem Bildschirm. Allerdings hat mich in der Woche danach das Coronavirus erwischt, da sind mir öfter mal krankheitsbedingt die Augen zugefallen.

Sind Sie Fußball-Fan?

Sicher, ich wollte früher selbst Fußballer werden. Die alleinige linke Klebe, die im Raum Tauberbischofsheim durchaus bekannt war, hat dafür aber leider nicht ausgereicht.

Werden Sie zum Endspiel fliegen?

Ich hatte es vor. Nun werde ich allerdings auf Anraten der Mediziner doch nicht reisen. Sie haben mir gesagt, ich sollte es nach der Infektion ruhig angehen lassen. Es ist das erste WM-Finale seit 1986, das ich verpasse. Das fällt mir schon schwer.

Es fehlt an Diskussionskultur

Sie saßen beim Eröffnungsspiel auf der Tribüne nicht weit weg von Gianni Infantino, dem Präsidenten Des Fußball-Weltverbandes Fifa, der auch IOC-Mitglied ist. Er wird derzeit vor allem in westlichen Ländern für seine Haltung zu Katar und sein selbstherrliches Auftreten stark kritisiert. Zurecht?

In diese öffentliche Debatte werde ich mich nicht einmischen. Das ist Sache der Fifa. Ich kann nur so viel sagen: Die Teilnehmer auf beiden Seiten sollten sich überlegen, wie sie wieder zu einer Diskussionskultur zurückfinden.

Ist die Kritik an der Vergabe der WM nach Katar nicht berechtigt?

Man muss in diesen Fällen eine ehrliche und ergebnisoffene Diskussion über alle Fragen führen – am besten vor und im unmittelbaren Umfeld der Vergabe.

Es gab nun in Katar eine ähnliche Frage wie vor den Olympischen Spielen in China: Wie und wo können und dürfen Athleten für ihre Haltung eintreten? Sie haben im Februar in Peking gesagt, dass der sportliche Wettkampf frei von Aktionen sein muss – ein Schauspieler würde ja auch nicht auf der Bühne protestieren, während er den Hamlet spielt. Würden Sie diesen Satz heute wieder so sagen?

Ja. Vor Tokio und Peking hat der offene Austausch mit Athletenvertretern, Organisatoren, internationalen Verbänden und Nationalen Olympischen Komitees dazu geführt, dass wir die Regularien flexibler gemacht haben, die dann von den Athleten respektiert worden sind. Es herrschte freie Meinungsäußerung, aber der Wettkampfort war die Bühne für den Sport. Bevor der Vorhang aufging und nachdem er gefallen war, konnte jeder seine Haltung kundtun – im Internet, auf den Pressekonferenzen, überall.

Die Fifa hat die One-Love-Kapitänsbinde kurzfristig verboten. War der Weg des IOC intelligenter?

Jeder muss so reagieren, wie er es für richtig hält und wie es die Situation erfordert.

Belehrung in puncto Kommerz für Gianni Infantino

Der Plan von Gianni Infantino, die WM alle zwei Jahre auszutragen, ist gescheitert. Wie sehr waren Sie daran beteiligt?

Wir haben von Beginn an sehr deutlich gemacht, dass wir diese Idee für nicht akzeptabel halten. Sie hätte den Wettkampfkalender fast aller anderen Sportarten völlig durcheinandergebracht und ihnen an Attraktivität genommen hätte. Zudem haben wir der Fifa klargemacht, dass es eine Milchmädchenrechnung ist, zu glauben, dass eine Veranstaltung das Doppelte abwirft, wenn sie doppelt so oft stattfindet. Das wäre eine Überkommerzialisierung gewesen.

Gutes Stichwort. Wären Olympische Spiele in Katar oder einem anderen arabischen Land denkbar?

Ich will nicht spekulieren, was in sechs oder sieben Jahren sein könnte und wie die Situation sich dann in dem einen oder anderen Land darstellt. Es gibt für die Vergabe klare Kriterien: die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte müssen in Bezug auf die Olympischen Spiele in den Bewerberländern Anwendung finden.

Würde die aktuelle Menschenrechtslage in Katar diesen Kriterien entsprechen?

Das ist gegenwärtig eine rein theoretische Frage. Diese kann nur zu gegebener Zeit im Rahmen der Vergabekriterien des IOC beantwortet werden.

„Der Sport kann die Politik nicht ändern“

Es wird immer wieder die Hoffnung und das Ziel geäußert, dass sich durch sportliche Großereignisse in den Ausrichterländern Verbesserungen erzielen ließen. Ist das realistisch?

Da muss man schon bei den Erwartungen anfangen. Wer glaubt, dass Olympische Spiele das politische System eines Landes verändern, der ist im besten Falle naiv. Der Sport hat keine politische Macht.

Was ist stattdessen möglich?

Olympische Spiele können Zeichen setzen, das Eis brechen, eine Bühne bieten, zum Nachdenken anregen. Aber wir können weder den Frieden in der Welt herstellen noch die Politik ändern. Ich kann Ihnen auch ein gutes Beispiel nennen.

Bitte.

2018 in Pyoengchang haben wir als politisch neutrale Organisation erreicht, dass Südkorea und Nordkorea bei der Eröffnungsfeier gemeinsam hinter der koreanischen Vereinigungsflagge eingelaufen sind. Es gab einen Meinungsaustausch der Delegationen, es haben hinterher politische Gipfelgespräche stattgefunden. Doch letztlich hat es nicht zu einem Frieden geführt. Wir können die Tür öffnen, aber durchgehen müssen die Politiker.

Ist das nicht frustrierend?

Es wäre vermessen, wenn das IOC glauben würde, die Weltordnung beeinflussen zu können. Würden wir uns in den Kampf der Systeme einmischen, wären wir verloren.

Kein vertrautes Verhältnis zu Wladimir Putin

Sie wurden in den Medien immer wieder als Freund von Wladimir Putin bezeichnet…

…ich bin in den Medien schon als so vieles bezeichnet worden, dass es mir schwerfällt, alles zu verfolgen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Wladimir Putin wirklich?

Wir haben mit Russland und ihm bei der Organisation von Sotschi 2014 sehr gut zusammengearbeitet. Diese Olympischen Winterspiele waren ein großer Erfolg, sind danach aber vom russischen Dopingskandal überschattet worden.

Wie war Ihr persönlicher Umgang mit ihm?

Ich bin bei einer solchen Veranstaltung Amtsträger, der Verantwortung für eine Organisation hat. Das hat im Vordergrund zu stehen, nicht die Frage, ob die Chemie zwischen zwei Menschen stimmt oder ob es gemeinsame Interessen gibt. Ich dachte damals, wir hätten einen vertrauensvollen Austausch. Dann kam der Dopingskandal, der dieses Verhältnis praktisch zum Erliegen gebracht hat. Als wir 2018 in Pyeongchang keine russische Fahne und Hymne zugelassen haben, sind wir das Ziel von ziemlich heftigen Cyberattacken geworden, und es gab auch persönliche Bedrohungen.

Sie sind also niemand, der Wladimir Putin zur Vernunft bringen könnte?

Das wäre Hybris, in Bezug auf Amt und Person.

Die Rückkehr russischer Athleten ist absehbar

Noch sind die meisten Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. Wie wird das weitergehen?

Es gibt zwei Komponenten, die unverrückbar sind. Zum einen bleiben die Sanktionen gegen den russischen und belarussischen Staat aufrechterhalten. Das heißt, dass keine Wettbewerbe in Russland und Belarus stattfinden und dass es bei keiner internationalen Veranstaltung russische Flaggen, Hymnen, Farben oder sonstige Identifikation gibt, um in aller Deutlichkeit zu zeigen, was Russland und Belarus von allen anderen 204 Nationalen Olympischen Komitees unterscheidet – die grobe Verletzung des olympischen Waffenstillstands.

Die andere Komponente…

…ist die Solidarität mit den ukrainischen Athleten. Ihnen muss die bestmögliche Vorbereitung auf Paris 2024 und Milano/Cortina 2026 garantiert werden.

Bleibt noch die Frage nach der Zukunft der russischen und belarussischen Sportler.

Diesen Punkt gilt es zu erörtern. Eine Reihe von Regierungen will bestimmen, wer an welchen Wettbewerben teilnehmen kann und wer nicht. Das ist aus unserer Sicht eine nichtakzeptable Situation, weil sie jeglichem Grundgedanken des Sports widerspricht und zu Weiterungen führen kann, die den internationalen Sport zum Erliegen bringen könnten.

Wo ist der Ausweg für das IOC?

Wir sind sehr froh, dass sich alle 193 Mitgliedsstaaten in der UN-Resolution am 1. Dezember zur Autonomie des IOC und seiner politischen Neutralität bekannt haben. Das ermutigt uns. Zugleich fühlen wir uns gedrängt durch den UN-Menschenrechtsrat, der uns in einem Brief von zwei Sonderberichterstattern deutlich gemacht hat, dass er schwere Bedenken gegen den Ausschluss russischer und belarussischer Athleten alleine auf Grund ihrer Nationalität hat. Dies könnte aus ihrer Sicht eine nicht zulässige Diskriminierung sein.

Dann wird das IOC die russischen und belarussischen Athleten also bald wieder starten lassen?

Wir prüfen derzeit die Situation und werden im neuen Jahr dazu umfangreiche Konsultationen mit unseren Stakeholdern haben. Wenn es eine Wiederzulassung gibt, dann unter den strikten Bedingungen, die für ihre Staaten und Regierungen gelten. Und natürlich dürfte kein Athlet den Krieg aktiv unterstützen oder promoten. Zum Beispiel würde auch weiterhin jeder gesperrt werden, der mit dem infamen Z-Symbol auftritt. Übrigens gibt es ja jetzt schon viele russische Athleten, die in professionellen Ligen spielen oder an Wettkämpfen teilnehmen. Eishockeyspieler Alexander Owetschkin, der Kapitän der Washington Capitals, ist ein russischer Staatsbürger, der zweimal pro Woche von allen bejubelt wird. Und bei den US Open im Tennis haben eine ukrainische und eine belarussische Athletin gegeneinander gespielt.

„Nicht mehr vor Weihnachten“

Bestünde nicht die Gefahr, dass Russland die komplette Rückkehr seiner Athleten zu Propaganda-Zwecken nutzen könnte?

Eher das Gegenteil ist der Fall. Welchen Effekt hat es, wenn keine Russen oder Belarussen bei Weltmeisterschaften oder Weltcups starten dürfen? Sie sind einfach nicht da. Doch wenn sie da sind, haben sie im Gegensatz zu allen anderen keine Teamkleidung, keine Flagge, keine Hymne. Immer, wenn sie am Start stehen, wird das deutlich. Was ist das stärkere Zeichen?

Wann wird das IOC die russischen und belarussischen Athleten wieder zulassen?

Wir haben beim Olympic Summit einstimmig beschlossen, die Möglichkeiten auszuloten und werden nun viele Gespräche führen.

Also frühestens im Frühjahr 2023?

Nicht mehr vor Weihnachten und auch nicht mehr in diesem Jahr.

Weitere Themen