Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Waren Ihnen die Bildsprache und die Motive klar?
Ich war unter Zeitdruck. In einer solchen Situation reflektiere ich nicht sehr viel. Aber hinterher habe ich die Bilder angeguckt und habe gedacht: es ist okay.
Als Betrachterin würde ich sagen, Sie haben eher die Beiläufigkeiten und das Liegengelassene abgelichtet. War das Ihre Intention?
Ich wusste, dass ich nicht die Erste bin, die das Schloss für die Festspiele fotografiert.
Kannten Sie die anderen Fotos?
Ich habe sie mir angeschaut. Ich wusste auch, dass ich nicht einfach das Schloss fotografieren sollte.
Also keine Postkartenfotografie?
Ja. Aber, das ist auch nicht mein Stil. Ich habe versucht, etwas Besonderes zu finden. Ich habe versucht, die Beziehungen zwischen den Gegenständen zu finden. Aber das tue ich meistens unbewusst.
Sie haben zum Beispiel eine Treppenstufe fotografiert.
Manchmal fotografiere ich auch, weil mir das Licht oder die Farbe gefällt. Danach schaue ich, ob es etwas aussagt.
Sie haben eine Wandkritzelei fotografiert.
Ja, das ist auch interessant. Ich habe gelesen, dass es eine Frau sein soll. Ich dachte, es sei ein Mann. Ich weiß auch nicht genau, was es ist. Ich fotografiere fast immer aus Intuition. Ich mache vorher kein Konzept.
Das große Motto der Schlossfestspiele lautet Überfahrten und Passagen. Als ich die Bilder gesehen habe, hatte ich den Eindruck, dass Sie fotografieren, was am Wegrand beim Weiterziehen liegenbleibt. Können Sie sich mit dieser Interpretation anfreunden?
Ja, das würde passen. Ich gebe meinen Bildern immer erst nach dem Fotografieren die beschreibenden Worte.
Ihr Leben ist selbst eine große Passage: Sie sind in der Ukraine geboren, dann nach Irland gegangen und leben jetzt in Berlin. Sind Sie nun am Schlusspunkt Ihrer Überfahrten angekommen?
Ich glaube schon, meine Familie mit meinen beiden Kindern ist hier. Es sieht so aus, als wäre Deutschland der Endpunkt der Passage.
Wie schauen Sie auf Ihr Heimatland?
Es ist eine tragische Entwicklung, die viele Familien gespalten hat. Viele Freundschaften sind zerbrochen. Das ist das erste, was ich fühle, wenn ich an die Ukraine denke. Aber die politische Situation ist komplex und nicht so schnell abzuhandeln. Meine Eltern und meine Schwester wohnen noch in Charkow, im Osten.
Das Thema Passagen passt auch auf Ihren beruflichen Werdegang. Sie sind eigentlich Mathematikerin.
Ich bin schon seit Jahren keine Mathematikerin mehr. Ich bin dankbar für das, was ich durch die Mathematik gelernt habe. Wie ich die Welt sehe, ist wesentlich von der Mathematik geprägt.
Sind Sie ein logisch denkender Mensch?
Sagen wir mal so: ich mag Strukturen und schaue mir die Dinge gern strukturiert an.
Spiegelt sich diese Sichtweise möglicherweise auf Ihren Fotos wieder?
Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben Mathematik und Fotografie nichts miteinander zu tun. Aber ich möchte auch nicht sofort Nein sagen.