Kultur: Tim Schleider (schl)

Es ist leider völlig egal, welche Religion, welches System glaubt, seine Regeln für alle zum Maßstab machen zu sollen, in diesem Kampf ist der Krieg gegen die Kultur der Anderen stets von strategischer Bedeutung. Wenn es keine Götter oder keine philosophischen Systeme sind, in deren Namen solches geschieht, dann zählt im Zweifel schlicht der Profit. Wie viel Kulturschätze dieses Planeten sind allein im vergangenen Jahrhundert überall auf der Erde im Namen wirtschaftlicher Investition und Expansion zerstört worden, ohne dass irgendein Unesco-Welterbe-Aufkleber daran hätte etwas ändern können?

 

Indem wir hier den Bogen so groß spannen, wollen wir keineswegs irgendetwas entschuldigen oder kleinreden, was gerade an Gräueltaten im Nahen Osten geschieht. Der Vandalismus der IS-Banden ist auch deswegen so abscheulich, weil die Islamisten ihre Propagandavideos darüber verbreiten, weil ganz ähnlich wie bei ihren für die Öffentlichkeit des World Wide Web inszenierten Hinrichtungen von menschlichen Opfern das Kleinhacken des menschlichen Kulturerbes eine ideologische Botschaft hat: Außer unserer Sicht gilt nichts anderes auf der Welt. Alles, was ihr (zumindest zu feierlichen Anlässen) mit Ehrfurcht behandelt, ist für uns nur Unrat.

Wert Kunst zerstört, hat auch vor Menschen keinen Respekt

Was hilft gegen derlei Unkultur? Ganz sicher kein leichtfertiger, medienwirksam zelebrierter Dünkel gegenüber angeblich unwestlichem Barbarentum, also die Häme des Abendlandes. Helfen kann zum einen die militärische Gegenwehr, wie es die Regierung in Bagdad offenbar versucht. Global gesehen geht es aber vor allem um eine Haltung aufgeklärter Bildung – eine Haltung, die dafür wirbt, neben den eigenen Wurzeln die Wurzeln der anderen zu erkennen, zu entdecken und zu schätzen. Die mit Respekt zur Kenntnis nimmt, dass lange Zeit vor den eigenen Vorfahren andere Menschen mit ganz anderen Vorstellungen die Welt deuteten und gestalteten.

Eine Haltung vor allem, die artikuliert, dass das eine letztlich dann doch mit dem anderen zu tun hat: Wer Zeugnisse und Schätze der Kulturen dieser Welt, ob nun Bilder, Bauten oder Bücher, mutwillig zerstört, weil er ihre bloße Existenz nicht erträgt, der wird auch die Existenz ihm fremd scheinender Menschen nicht ertragen. Auch unsere Perspektive in Europa muss eigentlich unteilbar sein: Wer hierzulande den Kulturfrevel enthemmter Ideologen wo auch immer in der Welt beklagt, der sollte nicht verkennen, dass er damit auch einen Anspruch für sich selbst erklärt – für sein Verhältnis zur Kultur im eigenen Land. Und für seine Bereitschaft, nicht nur bedrohten Kulturschätzen, sondern auch bedrohten Menschen Hilfe zu gewähren.