Die Welt ist entsetzt über den Vandalismus der IS-Milizen gegen Schätze der Weltkultur im Irak. Die Bilderstürmerei hat aber eine lange Tradition – auch im Westen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Bagdad - Die Empörung über die jüngsten Zerstörungen wertvoller Kulturgüter im Norden des Iraks durch die Terrorbanden vom Islamischen Staat (IS) ist riesig. Eigentlich muss man sich darüber wundern. Seit Jahr und Tag verüben die IS-Kämpfer in dieser Region derart abscheuliche Verbrechen an Menschen – wie übrigens manche andere Kriegsparteien in der Region auch, zum Beispiel die Truppen des syrischen Diktators Assad –, dass man schon die Frage stellen kann und muss, warum nun ausgerechnet das Zerhacken, Sprengen oder Niederwalzen von Säulen oder Steinfiguren, und seien sie noch so viele tausend Jahre alt, dem die Schreckenskrone aufsetzen könnte?

 

Und warum sollte ein Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen, der aufgrund höchst unterschiedlicher Interessen seiner Mitglieder seit Beginn der Auseinandersetzungen weder zu den Ereignissen in Syrien noch im Irak politisch irgendeinen bedeutsamen Entschluss gefasst hat, ausgerechnet wegen einiger verwackelter Bilder von tobenden Vandalen im Museum von Mossul zu einer „Dringlichkeitssitzung“ und „entschiedener Gemeinsamkeit“ motiviert sein, wie das Irina Bokova, die Generalsekretärin der UN-Kulturorganisation Unesco, zuletzt forderte?

Wer über den Terror der IS gegen jahrtausendealte Kunstschätze der Menschheit in seinem Machtbereich räsoniert, muss darum gleich am Anfang zweierlei festhalten: Dieser Krieg gegen die Kunst ist ganz sicher nicht das Schlimmste, was der IS in der Welt anzurichten bereit ist – wenngleich er sich zweifellos in die uns bekannte  totalitäre Weltsicht der IS-Führer mühelos einfügt. Und zweitens: ihren Kulturterror verübt der IS zwar im Namen des Islams, verweist dabei auf Bilderverbote oder den Kampf gegen Götzenverherrlichung, aber der Islam an sich ist alles andere als eine kulturfeindliche Religion.

Am härtesten trifft es die muslimische Bevölkerung selbst

Ob es nun um die Zerstörung assyrischer Schätze im Irak geht, um das Verbrennen jahrhundertealter Schriftrollen und Manuskripte 2013 in Timbuktu durch die Dschihadisten in Mali oder um das Sprengen der Buddha-Statuen von Bamiyan 2001 durch die Taliban – am meisten und schlimmsten schockiert waren darüber die an Ort und Stelle lebenden Menschen zumeist islamischen Glaubens. Die Kulturschätze des Nahen Ostens werden geborgen und gepflegt von arabischen Wissenschaftlern und Museumsmitarbeitern. Beim Vorrücken der Terroristen in Mali waren es Bürger von Timbuktu, die versuchten, unter Einsatz ihres Lebens die größten Schätze vor den Brandstiftern und Plünderern zu retten. Und auch in Bamiyan waren es lang vor irgendwelchen internationalen Truppen viele Einheimische selbst, die versuchten, dem selbstgerechten Tun der religiösen Fanatiker Widerstand zu leisten – zum Beispiel die Familie von Habiba Sarabi, die nach der Befreiung 2004 zur Gouverneurin der Region aufstieg.

Es ist ganz sicher nicht der Islam, dem eine Feindschaft zur Kultur innewohnt. Jede Religion, jede Ideologie, jede Staats- und Gesellschaftsform, die sich absolut setzt, führt in ihrem Krieg um die Alleinherrschaft auch einen Krieg gegen die Kultur der Anderen. Die katholischen Heere Europas bekriegten im Namen der Christianisierung die Kulturen in Südamerika, Afrika und im Fernen Osten. Die evangelischen Volksbanden der Bilderstürmer zogen durch die Kirchen und zerstörten jahrhundertealte Heiligenfiguren und Wandmalereien. Die endgültige Sprengung des Berliner Stadtschlosses 1950 war ein Herrschafts- und Willkürakt der kommunistischen DDR-Führung. Die amerikanischen Interventionstruppen in Vietnam bombardierten derweil 1968 die alte Kaiserstadt von Hué in Schutt und Asche.

Im Zweifel zerstört auch der Profit

Es ist leider völlig egal, welche Religion, welches System glaubt, seine Regeln für alle zum Maßstab machen zu sollen, in diesem Kampf ist der Krieg gegen die Kultur der Anderen stets von strategischer Bedeutung. Wenn es keine Götter oder keine philosophischen Systeme sind, in deren Namen solches geschieht, dann zählt im Zweifel schlicht der Profit. Wie viel Kulturschätze dieses Planeten sind allein im vergangenen Jahrhundert überall auf der Erde im Namen wirtschaftlicher Investition und Expansion zerstört worden, ohne dass irgendein Unesco-Welterbe-Aufkleber daran hätte etwas ändern können?

Indem wir hier den Bogen so groß spannen, wollen wir keineswegs irgendetwas entschuldigen oder kleinreden, was gerade an Gräueltaten im Nahen Osten geschieht. Der Vandalismus der IS-Banden ist auch deswegen so abscheulich, weil die Islamisten ihre Propagandavideos darüber verbreiten, weil ganz ähnlich wie bei ihren für die Öffentlichkeit des World Wide Web inszenierten Hinrichtungen von menschlichen Opfern das Kleinhacken des menschlichen Kulturerbes eine ideologische Botschaft hat: Außer unserer Sicht gilt nichts anderes auf der Welt. Alles, was ihr (zumindest zu feierlichen Anlässen) mit Ehrfurcht behandelt, ist für uns nur Unrat.

Wert Kunst zerstört, hat auch vor Menschen keinen Respekt

Was hilft gegen derlei Unkultur? Ganz sicher kein leichtfertiger, medienwirksam zelebrierter Dünkel gegenüber angeblich unwestlichem Barbarentum, also die Häme des Abendlandes. Helfen kann zum einen die militärische Gegenwehr, wie es die Regierung in Bagdad offenbar versucht. Global gesehen geht es aber vor allem um eine Haltung aufgeklärter Bildung – eine Haltung, die dafür wirbt, neben den eigenen Wurzeln die Wurzeln der anderen zu erkennen, zu entdecken und zu schätzen. Die mit Respekt zur Kenntnis nimmt, dass lange Zeit vor den eigenen Vorfahren andere Menschen mit ganz anderen Vorstellungen die Welt deuteten und gestalteten.

Eine Haltung vor allem, die artikuliert, dass das eine letztlich dann doch mit dem anderen zu tun hat: Wer Zeugnisse und Schätze der Kulturen dieser Welt, ob nun Bilder, Bauten oder Bücher, mutwillig zerstört, weil er ihre bloße Existenz nicht erträgt, der wird auch die Existenz ihm fremd scheinender Menschen nicht ertragen. Auch unsere Perspektive in Europa muss eigentlich unteilbar sein: Wer hierzulande den Kulturfrevel enthemmter Ideologen wo auch immer in der Welt beklagt, der sollte nicht verkennen, dass er damit auch einen Anspruch für sich selbst erklärt – für sein Verhältnis zur Kultur im eigenen Land. Und für seine Bereitschaft, nicht nur bedrohten Kulturschätzen, sondern auch bedrohten Menschen Hilfe zu gewähren.