Der Tiroler Wintersportort Ischgl beendet seine Skisaison traditionell mit populären sogenannten „Top of the Mountain“-Konzerten. Diesmal hat die britische Hardrockband Deep Purple auf 2300 Meter Höhe in Österreich gespielt

Ischgl - Als der Schlagersänger Hansi Hinterseer anno 2009 eine seiner alljährlich erscheinenden CDs bewarb, schlenderte er für ein Video durch die unberührt aussehende Tiroler Bergwelt, kraulte seinen Hund und sang: „Ich atme tief die Stille ein. Viel schöner kann’s im Paradies auch nicht sein.“

 

Es gibt sie tatsächlich noch, die Stille in den Tiroler Bergen. Aber nicht in Ischgl, dem Wintersportort, der auf seiner Website damit wirbt, „in der Nacht“ zur „berühmten Partymeile“ zu werden. Und schon gar nicht gibt es die Stille am Vorabend des traditionellen „Top of the Mountain“-Konzertes, mit dem am letzten Apriltag die Skisaison ausklingt.

Da passiert auf der „Partymeile“ stattdessen Folgendes: Vor der Eisbar versuchen betrunkene Deutsche, auf den Tischen die Tänze zu imitieren, die leicht bekleidete Osteuropäerinnen drinnen auf der Bühne aufführen. Woanders hämmern House-Rhythmen, nebenan Schlager, eine Coverband versucht sich an den Toten Hosen, während eine andere ihr erheitertes Publikum ermahnt, Glasscherben doch bitte nicht in die Lautsprecherboxen zu werfen. Jemand legt „Smoke on the Water“ auf, und ein Betrunkener entblößt auf der Dorfstraße zum Jubel der Mädchen am Balkon jenes Körperteil, von dem der Deep-Purple-Drummer Ian Paice am nächsten Tag bei einer Pressekonferenz berichten wird, dass er bei eigenen Skifahrversuchen fortwährend draufgeplumpst sei. In den Dorfstraßenläden hängen T-Shirts, auf denen steht: „Relax. If you can . . .“

Wie Ian Paice zum Italiener wird

Das Motto von Ischgl, das man mit „Entspann dich. Wenn du kannst . . .“ übersetzen könnte, prangt am nächsten Tag auch über der Riesenbühne, die man auf 2300 Meter Höhe mitten im Skigebiet auf der Idalp in den Schnee gebaut hat. Und Ian Paice (64), der Schlagzeuger der britischen Hardrockband Deep Purple, ist mittlerweile ein Meister des Entspannens. Belustigt hält er das falsch geschriebene Namensschild in den Händen, das der Tourismusverband vor seinem Sitzplatz in einem Hubschrauber-Hangar aufgebaut hat. „Ian Piace“ steht auf dem Schild. Ian Paice spricht den Buchstabendreher italienisch aus und sagt bei der Pressekonferenz: „Oh, ich bin ein Italiener geworden!“

Steve Morse (59), der Deep-Purple-Gitarrist, knetet seine Hände und sagt, dass Gitarrespielen in der Kälte ganz schön schwierig sei, und Ian Gillan (67), der Deep-Purple-Sänger, erklärt, dass er vor Konzerten am liebsten eine Tasse Tee trinke. Ian Paice nähert sich ironisch dem Ischgler Nachtleben: Er bevorzuge Jack Daniels, bekundet er. Und eigentlich sei die Band angereist, um ihr neues Album „Now what?!“ zu promoten. Die Stellwand, die man hinter Deep Purple im Hangar aufgebaut hatte, und auf der viele Male „Ischgl“ stand, ist da längst effektvoll zusammengekracht.

Aber die große Bühne auf der Idalp hält natürlich. Man hat Erfahrung mit Bergkonzerten in Ischgl, seitdem 1995 Elton John dort zum Saisonausklang gespielt hat. Ursprünglich sei die Idee der Bergkonzerte aus der Notwendigkeit geboren worden, die Urlauber zum Bleiben zu bewegen, bis Anfang Mai die Skilifte abgeschaltet werden, erklärt Andreas Steibl, der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Paznaun-Ischgl. Und ja, die Rechnung gehe auf.

Viele Große waren schon da

Seitdem waren unter anderem Tina Turner und Bob Dylan da, Bon Jovi und Udo Jürgens, Mariah Carey, Rihanna und Pink. Und jetzt eben Deep Purple: ein paar Minuten nach 13 Uhr drischt Ian Paice auf sein Schlagzeug ein, und exakt eine Stunde später schickt Steve Morse das berühmteste Riff der Rockgeschichte machtvoll in die Berge – die entschlossene Alpinperformance von „Smoke on the Water“ führt dazu, dass auch auf der Terrasse des gegenüber der Bühne in den Himmel ragenden Skirestaurants Stühle gefunden werden, auf denen sich tanzen lässt.

Ischgl habe sich mit all der Musik, mit all der Show, mit allem, was sie hier „Event“ nennen, „für die Zielgruppe klar positioniert“, sagt derweil Andreas Steibl, der Tourismuschef. Und die Zielgruppe sieht so aus: „Sehr sportlich – mit einer Vorliebe für Lifestyle und Entertainment.“

„We love you!“, ruft Ian Gillan von der Bühne herunter. Nicht nur dafür, dass gerade erst Mittag ist, ist er erstaunlich gut bei Stimme, und auch die Männer an den In-strumenten scheinen an ihrem Job richtig Spaß zu haben: Deep Purple zelebriert auch in der Höhe die lieb gewonnenen ausgiebigen Zwiegespräche zwischen Gitarre und Orgel, und die seit 45 Jahren gepflegte Hardrock-Tradition steht im hübschen Kontrast zum hochmodernen Alpinoutfit der lauschenden Zielgruppe. 10 000 Leute stehen vor der Bühne, manche tragen Skihelme mit goldenem Leopardenmuster, neongelbe Skihosen sieht man, knallrotes Hightechschuhwerk, knallgrüne Jacken, und ein paar Holländer haben sich mit orangefarbenen Schärpen geschmückt, wegen der königlichen Umtriebe daheim.

Neue Songs und alte Kracher

„Nah na na nah, na na na na na nah“, singt jetzt Ian Gillan, und die Fans singen, nachdem auch starke neue Songs erschallt sind, den alten Kracher „Hush“ begeistert mit, während ein paar Skifahrer die Hänge hinunterwedeln. Und nach anderthalb souverän gerockten Stunden ist es auf der Idalp wieder so still, wie es dort sein kann, solange die Saison noch läuft.

In der Seilbahn runter nach Ischgl erzählen dann fünf freundliche Tiroler aus den Nachbardörfern, dass sie im Sommer gerne das Konzert des volkstümlichen Rockers Andreas Gabalier im Stadion von Kitzbühel erleben wollen, „jetzt, wo der Hansi Hinterseer dort nicht mehr spielt“.