Manager und Politiker sehen viele Vorteile einer neuen Verbindung zwischen den USA und der EU. Das haben sie beim jährlichen Treffen im Allgäu zum Ausdruck gebracht.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Isny - Vertreter aus Wirtschaft und Politik haben am Wochenende die aus ihrer Sicht substanzielle Bedeutung des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens herausgestellt. Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), wies auf die Wachstumsimpulse in den USA und der EU nach dem Abschluss eines solchen Abkommens hin. Friedrich Merz, der Vorsitzende des Vereins Atlantik-Brücke und frühere Chef der CDU-Bundestagsfraktion, sieht in dem Vertrag, der derzeit verhandelt wird, vor allem ein gewaltiges politisches Projekt: „Die Freihandelszone kann für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts das werden, was das Nato-Abkommen für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war“, sagte er am Samstag auf der Isny-Runde. Zu dem Treffen von hochrangigen Wirtschaftsvertretern und Politikern lädt der Ludwigsburger Saatgut-Unternehmer Helmut Aurenz (ASB) seit vielen Jahren ins Allgäu ein.

 

Durch die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) würde ein Wirtschaftsraum entstehen, der fast die Hälfte des globalen Sozialprodukts und drei Viertel aller weltweiten Finanztransaktionen auf sich vereinigt. Nach Studien von Wirtschaftsforschungsinstituten könnte ein solcher Abschluss zu einem nachhaltig höheren Wachstum in beiden Wirtschaftsräumen führen, in Europa und den USA würden bis zu 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Mit TTIP hätten es Europa und die USA in der Hand, Standards zu setzen, an denen andere Volkswirtschaften nur schwer vorbeikämen. Angesichts des rasanten Wachstums vor allem in Asien werde diese Einflussmöglichkeit nicht mehr unbegrenzt bestehen, warnte VDA-Präsident Wissmann. Darüber hinaus sei es auch die Möglichkeit, die festgefahrenen Welthandelsgespräche zu beleben.

Selbst der Krümmungsgrad von Autospiegeln ist unterschiedlich

Wirtschaftlich sei die transatlantische Freihandelszone weniger durch die Abschaffung von Zöllen, sondern vor allem durch eine mögliche Angleichung oder gegenseitige Anerkennung von Normen und Standards von überragender Bedeutung, meinte Martin Richenhagen, Chef des Landmaschinenhersteller AGCO, zu dem auch die deutsche Marke Fendt gehört. „Die Industrie gibt jedes Jahr Milliarden aus, um Zulassungen für ihre Produkte auf beiden Kontinenten zu erhalten.“ Als kleines Beispiel für überflüssige Ausgaben nannte er Autospiegel, deren Krümmungsgrad auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedlich zu sein habe, was kostspieligen Mehraufwand bei Design, Produktion und Zulassung bedeute. Hohe zusätzliche Milliardenaufwendungen sind auch für chemische oder pharmazeutische Produkte und diverse andere Industriegüter erforderlich.

Sosehr sich alle Teilnehmer an der Runde einig waren, dass es sinnvoll sei, ein solches Abkommen einzugehen, so gibt es doch derzeit viele Themen diesseits und jenseits des Atlantiks, die einen Abschluss der Gespräche zum angestrebten Termin 2015 fraglich erscheinen lassen. Das beginnt gerade aus deutscher Sicht beim NSA-Skandal. Der US-Botschafter in Deutschland, John B. Emerson, warnte zwar davor, einen Passus über ein Antispionage-Abkommen zwischen den beiden Kontinenten mit in ein Papier aufzunehmen, weil das den Vertrag überfordere. Trotzdem herrschte Einigkeit, dass das Spionage-Thema gelöst werden müsse. „Ohne Datenschutzabkommen kein Freihandelsabkommen“, sagte dazu letzte Woche der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammern, Eric Schweitzer.

Der NSA-Skandal gefährdet die Verhandlungen

Auch unterschiedliche Interessen innerhalb der Europäischen Union sowie die Zerrissenheit in den Vereinigten Staaten und die Diskussion über die deutsche Exportstärke lasten auf den Verhandlungen. Ohnehin geht es um heikle Themen: Frankreich hat bereits deutlich gemacht, dass es weitgehende Liberalisierungen in der Agrarwirtschaft und der Kultur kaum akzeptieren könne. In Deutschland besteht etwa die Furcht vor genmanipuliertem Mais – der in den USA „bio-engineered“ heißt und als unproblematisch angesehen wird. In Amerika betrachtet man hingegen insbesondere die Stärke der deutschen Industrie mit Sorge. So warnte Roland Koch, ehemaliger hessischer Ministerpräsident und heute Chef des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger, davor, dass Wirtschaftsvertreter Druck auf die Politik ausüben würden, um für ihre Sektoren Sonderregelungen zu verhandeln, was das Abkommen als Ganzes torpedieren könnte. Möglichen Nachteilen wie der Verlagerung von Produktion und dem Abbau von Arbeitsplätzen in einer Branche stünden gesamtwirtschaftliche Vorteile in größerer Höhe gegenüber, meinte Koch.

Als schwierig dürfte sich nach den Verhandlungen auch die Ratifizierung erweisen. TTIP muss von 28 nationalen europäischen Parlamenten, dem EU-Parlament und dem US-Kongress abgesegnet werden.