Junge Unternehmer Israels denken nicht in Schablonen, sind risikofreudig und eine Pleite ist kein Makel, erfuhr eine Delegation aus Baden-Württemberg vor Ort. Nur der lange Atem fehlt mitunter in dem wirtschaftlich florierenden Land am Mittelmeer.

Tel Aviv - Wenn deutsche und israelische Unternehmer gemeinsame Sache machen würden, wäre das die perfekte Kombination, glaubt Sven Dethlefs. Er dirigiert seit eineinhalb Jahren bei dem israelischen Arzneimittelkonzern Teva in Petach Tikva die weltweite Produktion; zuvor hatte er die seit 2010 zu Teva gehörende deutsche Tochter Ratiopharm in Ulm geleitet. Er kennt somit beide Seiten. „Wenn Sie tausend israelische Studenten nach Baden-Württemberg holen, haben Sie in einem Jahr tausend Firmengründungen“, erklärte Dethlefs dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD), als der mit seiner Delegation während einer Israelreise auch Teva einen Besuch abstattete.

 

Schmid möchte herausfinden, was die Deutschen von den Israelis lernen könnten, denn die sind wirtschaftlich ungemein erfolgreich. Sie sind beherzte Unternehmer, sie können mit Risiken umgehen. „Wir leben im ständigen Risiko, es ist Teil unserer DNA“, sagt Mickey Steiner. Er war viele Jahre Exponent von SAP in Israel und ist es heute für RWE. Israelis seien ungeheuer kreativ. Sie sind „Out-of-the-Box-Thinker“, so Steiner, sie denken nicht in Schablonen oder Mustern. Sie erstarren nicht in Hierarchien und lernen aus Fehlern. Mit zwei oder auch drei Firmen pleitegegangen zu sein sei in Israel überhaupt kein Makel im Lebenslauf, bestätigt Dethlefs. Israelis sind schnell. „Wenn ich die Lösung nicht finde, muss ich genauer hinsehen“, erklärt Steiner die Mentalität. Die für junge Männer dreijährige Militärzeit – für Frauen sind es zwei Jahre – helfe durchaus dabei, diese Haltung einzuüben.

Israel ist das Land der Unternehmensgründer

Was sie nicht so gut können, ist der Blick um ein, zwei Ecken weiter, erfuhr Nils Schmid. Israel ist das Land der Unternehmensgründer, vor allem im Bereich der Informationstechnologie. In Israel ist der USB-Stick erfunden worden, das ICQ-Messaging oder Internettelefonie. Die jungen Unternehmer planen aber nicht für die ferne Zukunft. Sie verkaufen ihre Innovation gerne, überwiegend an große US-Unternehmen. Mit dem Erlös wenden sie sich rasch dem nächsten Projekt zu. Hier ein bisschen von deutschem Prozessdenken und Qualitätsbewusstsein zu installieren könnte Baden-Württemberg helfen, die Industrie 4.0 voranzubringen, glauben Schmids Gesprächspartner.

„Werben Sie dafür, dass Israelis gern nach Baden-Württemberg kommen und nicht nur nach Berlin gehen“, so Dethlefs. Im Südwesten seien sie besser angesiedelt als in der Bundeshauptstadt. Und die meisten kämen ohnehin gern ins Land: ein Urlaub im Schwarzwald stehe bei den Israelis hoch im Kurs.

Frank Müller glaubt an eine andere Kombination. Für den Stuttgarter IT-Unternehmer ist deutsches Qualitätsdenken in Verbindung mit orientalischer Flexibilität und Gastfreundschaft der Geheimtipp. Er arbeitet seit vier Jahren daran. Seine Axsos AG hat im palästinensischen Ramallah eine Niederlassung. Dort sind rund 30 IT-Leute beschäftigt, die vom Westjordanland aus überwiegend deutsche mittelständische Kunden betreuen. Müller schwört auf die Auffassungsgabe seiner arabischen Angestellten. Die Leute am Kundensupport arbeiten keine Fragenkataloge ab, sondern gehen auf das konkrete Problem des Anwenders ein, sagt Müller.

Palästinenser und Israelis sollen gemeinsam arbeiten

Ein Rekrutierungsproblem hat Müller nicht. Wird eine Stellenanzeige geschaltet, gehen bei Axsos in Ramallah rasch 200 Bewerbungen ein. Als die Firma ihre Niederlassung gründete, gab sich der palästinensische Premierminister die Ehre. Jedes Jahr, so Müller, gibt es in Palästina 2500 Studienabgänger. Er will mithelfen, diesem gebeutelten Volk eine Perspektive zu eröffnen – weil Müller in seinem Geschäft auf Werte setzt, aber auch weil es sich rechnet. Soziales Engagement gehört zu Müller. Er hatte für den internationalen CVJM in Ostjerusalem, also dem palästinensischen Teil der Stadt, gearbeitet. Diverse Erfahrungen haben letztlich zu seinem jetzigen Engagement geführt. Müller ist mit einer Palästinenserin verheiratet und will mit seinen Möglichkeiten „einen aktiven Beitrag zur Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern und damit zum Frieden im Heiligen Land“ leisten.

Das Projekt ist somit noch nicht am Ende. Derzeit wird eine weitere Niederlassung in Jerusalem gegründet. Dereinst sollen palästinensische und jüdische IT-Leute miteinander für Axsos und seine Kunden arbeiten. Axsos achte dabei auf „Augenhöhe“ zwischen den Mitarbeitern in Stuttgart und in Ramallah. Man sieht sich in täglichen Videokonferenzen, treffe sich aber auch hier oder dort zu regelmäßigen Schulungen; dabei haben die Palästinenser auch den Tischkicker als Pausenzeitvertreib kennengelernt. Mit einigen Mühen hat Axsos das Freizeitgerät durch die israelischen Kontrollen nach Ramallah gebracht, wo inzwischen vor allem die Frauen hohe Fertigkeiten errungen haben.

Einwanderer aus dem Ostblock brachten Know-How

Im Unterschied zur ausbaufähigen Verkehrsinfrastruktur im Westjordanland sei die Internetversorgung in Palästina sehr gut, das Hochgeschwindigkeitsnetz sei stabil, Palästina deswegen ein verlässlicherer Standort als zum Beispiel Indien. „Für Palästinas abgeschotteten Arbeitsmarkt ist die Branche ein Glücksfall,“ glaubt Axsos. „Denn für die Welt der IT sind Mauern und Zäune kein Hindernis und ,Grenzüberschreitungen‘ jederzeit möglich.“

Der Wirtschaftsminister und seine Beamten machten eifrig Notizen. Sowohl in Tel Aviv als auch in Ramallah führte Schmid auch politische Gespräche. Mit Israel soll es einen Austausch von Experten geben, die ausloten, wo Gemeinsamkeiten umzusetzen sein könnten. Zu fragen wäre, wie es zu dem IT-Boom in Israel gekommen ist. Natürlich sorgt die zunächst an militärischen Interessen orientierte Forschung für zahlreiche Erfindungen. Sven Dethlefs sieht noch eine weitere Komponente: Die Hochtechnologie beruhe zum großen Teil auf Einwanderern aus dem früheren Ostblock, sagt er. In den 90er Jahren seien 1,5 Millionen Einwanderer aus Osteuropa nach Israel gekommen, ein Viertel der Bevölkerung. Sie waren innerhalb von fünf Jahren integriert worden. Eine Aufgabe in dieser Größenordnung hat Baden-Württemberg noch nicht gemeistert.