Der Bundespräsident besucht am letzten Tag seiner Nahostreise das Westjordanland. In einem kleinen Dorf nahe Nablus weiht er eine Mädchenschule ein, bevor er in Ramallah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas empfangen wird.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Ramallah - Schon bei der Anreise kann der Bundespräsident die wesentlichen Probleme des Westjordanlandes besichtigen. Sie rauschen an der Windschutzscheibe seiner schwarzen Limousine vorbei wie ein Dokumentarfilm. Eines dieser Probleme heißt Givat Assaf. Das ist ein Außenposten jüdischer Siedler in der Einöde auf dem Weg von Jerusalem nach Nablus. Zwei Dutzend Wohncontainer stehen in der kargen Landschaft und weithin sichtbar eine kunterbunte Kinderrutsche. Selbst nach den für solche Art der Kolonisation äußerst toleranten Regeln der Regierung Netanjahu gilt diese Siedlung als illegal. Sie soll angeblich geräumt werden. Doch der israelische Staat hat schon einmal für Stromanschlüsse und fließendes Wasser gesorgt.

 

Das ist nicht allen Bewohnern dieses Landstrichs vergönnt. Die Dörfer sind schon von weitem leicht zu unterscheiden. Die jüdischen Siedler bevorzugen rote Ziegeldächer. Auf den flach gedeckten Häusern der Palästinenser türmen sich dagegen Wasserfässer. Frisches Wasser gibt es für sie nur ein paar Stunden in der Woche.

Der Präsident weiht eine Mädchenschule ein

Alle Probleme, die nicht auf Anhieb zu sehen sind, bekommt Joachim Gauck von seinen Gastgebern am letzten Tag seiner Nahostreise erzählt. Zum Beispiel in Burin, einem palästinensischen Dorf, wo der Präsident eine Mädchenschule einweiht, die mit deutscher Hilfe gebaut wurde. Das aus hellem Kalkstein errichtete Schulgebäude steht inmitten steiniger Äcker und schütter bewachsener Olivenhaine. Von einem Hügel in Sichtweite leuchten die roten Ziegelsteine benachbarter Siedler. Zehn solcher Schulen hat Deutschland bereits finanziert, vier weitere werden gebaut. Eine Messingtafel verweist auf die Spender.

Die Mädchenschule in Burin beendet einen schwierigen Zustand. Bisher wurden die Schülerinnen dort in zwei Schichten unterrichtet. Die alten Klassenräume waren baufällig. Die verbesserten Unterrichtsbedingungen sollen zudem verhindern, dass Mädchen noch im schulpflichtigen Alter verheiratet werden.

Lamis al-Lawami, die palästinensische Bildungsministerin, ist wegen des „historischen Besuches“ in das Dorf nahe Nablus gereist – ein Dorf, das nach ihren Worten „ständig unter israelischer Bedrohung leidet“. Die Ministerin spricht nicht nur von Bildung, sondern auch über das, was die Leute hier bedrückt. „Palästina fehlt die Ruhe“, beklagt sie. „Die Menschen in Burin erleben fast täglich Angriffe auf ihre Würde, Ernten werden in Brand gesteckt, Land ständig unrechtmäßig enteignet.“ Darauf erhält sie nicht direkt eine Antwort. Bundespräsident Gauck hat auf der Anreise vor allem „Olivenbäume und eine wunderschöne Landschaft“ gesehen, wie er zum Auftakt seiner Ansprache schwärmt. Von den illegalen Siedlungen und all den anderen annoncierten Schwierigkeiten spricht er nicht. Seine Rede gerät etwas „pastörlich“, wie Gauck sich selbst gelegentlich auszudrücken beliebt. Er lobt den Nutzen der Bildung – und damit der deutschen Investition in Palästinas Zukunft. Bildung ermögliche es, Dinge zu hinterfragen, andere Sichtweisen zu verstehen und Konflikte friedlich zu schlichten, sagt er den Schülerinnen von Burin. „Ihr seid die große Hoffnung für den Aufbau eines demokratischen Staates in Palästina.“ Damit ist wenigstens das entscheidende Stichwort gefallen.

In Ramallah wird Gauck mit militärischen Ehren empfangen

In Ramallah wird Gauck empfangen, als gebe es jenen Staat schon, von dem er gesprochen hat. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas lässt im Innenhof von Muqata, dem ehemaligen Hauptquartier der PLO, seine Miliz aufmarschieren, eine Militärkapelle spielt die deutsche Hymne in einem Tempo, das an den Verlauf der Friedensverhandlungen erinnert.

Bei der Pressekonferenz nach einem kaum halbstündigen Gespräch kommt Gauck unter dem Foto eines grinsenden Jassir Arafat zu stehen. Sein Gastgeber prangert die „Beharrlichkeit“ der Israelis beim Siedlungsausbau an, sie sei das Haupthindernis auf dem Weg zum Frieden in Nahost. Gauck betont, dass er in Jerusalem ausdrücklich „Zurückhaltung beim Siedlungsausbau angemahnt“ habe. Er appelliert an Abbas, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Von solchen Floskeln sind die weiteren Ausführungen des Bundespräsidenten bestimmt.

Eine Nachfrage – die einzige, die überhaupt erlaubt ist – zwingt ihn zu mehr Präzision. Warum er seine Mahnungen wegen des Siedlungsbaus gegenüber den Repräsentanten Israels selbst so zurückhaltend formuliert habe, wird der Bundespräsident gefragt, ob inzwischen nicht längst viel schärfere Worte angezeigt seien. Gaucks Antwort umreißt auch sein Amtsverständnis. Er selbst sei der Ansicht, die deutschen Interessen „in angemessener Weise“ vorgetragen zu haben. Als Staatsoberhaupt sei er zu „noch mehr Zurückhaltung“ verpflichtet, als für einen deutschen Politiker ohnehin angezeigt wäre.

Er könne sich schwer vorstellen, sagt Gauck, dass Israel „einen richtigen Lehrer aus Deutschland“ akzeptieren würde. „Gehen Sie davon aus, dass sie unser Anliegen verstanden haben.“