Mit Bewässerungstechnik kennt sich der Wüstenstaat aus. Nun grünt es sogar auf den Dächern der Hauptstadt.

Tel Aviv - "Darf ich mal?“ Der Kollege vom Pool nebenan möchte ein paar Basilikumblätter, um sein Mittagsessen aufzupeppen. „Nur zu“, sagt Mendi Falk und winkt ihn her, damit er sich aus einem der Gemüsebeete bedient. Die befinden sich in luftiger Höhe, oben auf dem Dach des Disengoff-Center, der größten und ältesten Einkaufsmall im Herzen von Tel Aviv.

 

Hier, mehr als 25 Meter über der Straße, gedeiht ein Pilotprojekt, das Falk, Manager von „Green-in-the-City“, und sein Partner Moti Cohen im Januar begonnen haben. Es beruht auf der simplen Idee, dass die Dächer einer Stadt die freiesten Areale bieten, um mit alternativen Anbaumöglichkeiten zu experimentieren. Tel Aviv bietet sich dafür geradezu an. Die Dächer sind flach, Winterfrost gibt es nicht und Regen braucht es nicht, um Pflanzen in Hydrokultur zu züchten. Im warmen Mittelmeerklima können diverse Salatsorten und Kräuter alle drei Wochen geerntet werden und das rund ums Jahr.

Geheimtipp für die Mittagspause

Falk, 42, ist von Hause aus Computeringenieur. Zehn Jahre lang hat er viel Geld in Israels Hightech-Business verdient, wo er auch Cohen kennenlernte, einen Experten in Agrartechnologie. Gemeinsam tüftelten sie ein umweltfreundliches Modell aus, um das urbane Leben zu revolutionieren. Die Betreiber des Disengoff-Center mussten sie nicht lange überzeugen. Abgesehen von einem Parkdeck und dem Swimmingpool war das Riesendach ohnehin ungenutzt. Jetzt grünt und sprießt es dort unter Sonnenschutznetzen wie im Biotop. Kein Wunder, dass der Dachgarten zum Geheimtipp für die Mittagspause einiger Mall-Mitarbeiter geworden ist.

Im Grunde handelt es sich um ein technisch ausgeklügeltes Versuchslabor: Die Kopfsalatsetzlinge schwimmen in Plastikhörnchen in einer mit Sauerstoff angereicherten Nährlösung. Mangels Erde sind Pestizide unnötig. Ein paar Meter weiter ranken Minz- und Salbeisträucher aus den Löchern dicker, serpentinenartig verlaufender Rohre, durch die Wasser und Dünger rinnt. „Eine einfache Sache“, erklärt Mendi Falk, „und raumsparend dazu.“ Die vertikal angeordneten Röhren brauchen nicht mehr Platz als eine Sitzbank.

Nichts für Anfänger ist allerdings das aquaponische Kreislaufsystem, das Fisch- und Gemüsezucht kombiniert. Die Fischausscheidungen düngen die Pflanzen – das so gereinigte Wasser fließt zurück in den Pond. Noch dümpeln darin nur Zierfische. Den Kohlrabi, Tomaten und Lauchzwiebeln im mit Vulkansubstrat gefüllten Beet nebenan bekommt das prächtig. Demnächst, so hofft Falk, wird er den Gästen ein paar Fische vom Hausdach mit frisch geerntetem Salat servieren können.

Die Leute wollen kontrollieren, was sie essen

Schon plant „Green-in-the-City“ die Versuchsstation zu einer kommerziellen Farm auf dem Disengoff-Center auszubauen. Bereits heute werden zwei Restaurants in der Mall mit Frischware vom Dach beliefert. Die Nachfrage nach den wöchentlichen Seminaren über den Anbau von Dachgemüse wächst, ebenso der Absatz von Zubehör. „Die Leute wollen kontrollieren, was sie essen“, meint Falk. Vegan und vegetarisch ist in.

Voll im Trend sind jedoch nicht nur die Hightech-Yuppies, sondern auch alte und neue Hippies. Wie in vielen anderen Großstädten sprießen auf Tel Avivs Dächern alternative Genossenschaften wie das „Bar Kayma“ (Nachhaltigkeit), wo alles Bio, Natur und Self-Made ist. Doch ob Hippie oder Hightech-Gärtner: Tel Aviv, vor mehr als hundert Jahren konzipiert als Gartenstadt, ist dabei, die Vision von einst zu beleben, diesmal auf seinen Dächern.