Israel schwelgt nach der Entmachtung des ägyptischen Präsidenten nicht in Euphorie. Mursi hatte sich im Gaza-Konflikt als Vermittler bewährt. Zur militanten Hamas wahrte er Distanz.

Jerusalem – Jahrzehntelang war Israel gewohnt, dass die Nachbarstaaten dem eigenen Land nicht gerade wohlgesinnt, aber kalkulierbar waren. Seit dem Arabischen Frühling ist alles im Fluss. Selbst auf die skeptische Lesart, dass es sich dabei eh um einen „islamistischen Winter“ handelt, ist nun kein Verlass mehr. „Niemand weiß“, so der Kommentar Herb Keinons in der „Jerusalem Post“, was für Kräfte sich entfalten und wohin sie führen werden.“ Israels Premier Benjamin Netanjahu wies denn auch das Kabinett an, sich jeglicher Wertung zu den Ereignissen in Ägypten zu enthalten.

 

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass mancher in der Jerusalemer Regierung vermutlich insgeheim Mursi eine Träne nachweint. Bei ihm wussten die Israelis zumindest, woran sie sind. Die Beziehungen mit seiner Regierung waren zwar höchst unterkühlt – so soll Mursi, wie es im Jerusalemer Außenamt heißt, nicht mal das Wort Israel in den Mund genommen haben –, aber sie waren stabil. Noch erstaunlicher: unter ihm verbesserte sich die Kooperation zwischen ägyptischen und israelischen Sicherheitsbehörden. Kairo verstärkte seine Truppen im Sinai, um besser gegen die dort grassierende Gesetzlosigkeit durchzugreifen, und zwar mit Israels Zustimmung. Diese ist schon deshalb erforderlich, weil die ägyptische Halbinsel offiziell demilitarisiert ist. Aktuell hingegen kursiert in Israel wieder die Sorge, dass bewaffnete Dschihadisten das politische Chaos in Kairo ausnutzen könnten, um vom Sinai aus Anschläge in Israel auszuführen.

Die Hamas gehört zu den Verlierern der Entwicklung

Auch ging Ägyptens Militär unter Mursi entschieden gegen die Schmuggeltunnel in Rafah vor, jene unterirdischen Versorgungsröhren für den Gazastreifen, über die sich die Hamas auch ihren Waffennachschub besorgt. Die Hoffnungen der palästinensischen Islamisten, in Mursi einen rückhaltlosen Verbündeten zu haben, erfüllten sich jedenfalls kaum. Als etwa im vorigen November der Raketenkrieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza eskalierte, hielt sich Kairo zurück, um dann jedoch eine sehr erfolgreiche Vermittlerrolle zu übernehmen. Die ausgehandelten Waffenstillstandsbedingungen trugen erheblich zur Lageberuhigung bei.

Die Hamas, ein Ableger der Muslimbruderschaft, muss nach dem Abgang Mursis zu den Verlierern der Machtverschiebung in Ägypten gerechnet werden. Der moderaten Palästinenser-Führung scheint diese Wendung zu gefallen. Am Vorabend hatte Präsident Mahmud Abbas noch vor jeglicher Einmischung in interne Angelegenheit arabischer Staaten gewarnt. Am Donnerstag pries er die Revolution des ägyptischen Volkes und gratulierte seinem frisch vereidigten neuen Präsidenten, Adli Mansur. Dabei haben die Palästinenser selber die bittere Erfahrung gemacht, wie schnell eine politische Spaltung in einen Bruderkrieg umschlagen kann. Diese Gefahr sieht auch der ehemalige israelische Botschafter in Kairo, Ben Zvi. Man solle die Islamisten nicht abschreiben, lautet seine Prognose. „Ihr Kampf um eine Rückkehr an die Macht wird jetzt beginnen.“