Bei der Eröffnung im Rathaus wird das Motto „Jüdisch ist jetzt!“ von Diskutanten auf dem Podium hinterfragt und eine Welle des Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 angeprangert.

Jüdisch ist jetzt! Mit diesem Motto der Jüdischen Kulturwochen setzt die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) bewusst ein Ausrufezeichen, wie Vorstandssprecherin Barbara Traub bei der Eröffnung im Rathaus betonte. Ein Zeichen, mit dem die Veranstalter auf die Welle von Antisemitismus regieren, die nach dem Pogrom der Hamas vom 7. Oktober 2023 mit tausenden Toten über die jüdischen Menschen in Deutschland hereingebrochen sei. Es solle, sagt Traub, „weder Arroganz noch Nabelschau ausdrücken, denn Sie erleben uns nicht als Sieger, sondern verunsichert.“ Dagegen stehe das entschlossene und selbstbewusste „Jüdisch ist jetzt!“ als Titel für 40 Veranstaltungen aus Geschichte, Religion, Literatur, Musik, Theater und Film bis zum 20. November.

 

Ein Aufruf, die Vielfalt der jüdischen Kultur sichtbar zu machen

Einen Aufruf, die jüdische Lebensrealität nicht als Relikt der Vergangenheit zu betrachten, sondern als Teil unserer Gesellschaft wahrzunehmen, nannte auch Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, diesen verbalen Pflock, eingerammt in vermintes Gelände: „Jüdisch ist jetzt, das heißt, dass wir uns nicht verstecken, die Vielfalt unserer Kultur sichtbar machen und das Leben feiern.“ Für sie sei dieser Abend ein Trost, spielte Bürgermeisterin Isabel Fezer auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA an und beschwor die zivilisatorische Errungenschaft der Kultur, die Hass überwinde. Etwas anders deutete Volker Schebesta das Zeichen: Es sei beschämend, dass es überhaupt gesetzt werden müsse, empfand der Staatssekretär im Kulturministerium.

Lisa Strelkowa: Uni ist zum Tatort geworden

Wie aber ist jüdisch jetzt? Für jüdische Menschen in Deutschland? „Wir sind genauso Deutsche, haben eine Stimme und sind hier“, betonte Lisa Strelkowa, die im Podiumsgespräch mit Sabena Donath, Eric Friedler und Richard C. Schneider in einer Sachstandsanalyse darauf eine Antwort versuchte. Für die Studentin der Klinischen Psychologie und Psychotherapie in Ulm ist das Realität, denn sie ist in diesem Jahr in den Stadtrat von Ulm eingezogen. Hatte sie keine Angst bei der Präsenz im Wahlkampf, während andere auf Kippa und Davidstern verzichten, um nicht antisemitische Attacken zu provozieren, will Michael Rubinstein vom IRGW-Vorstand als Moderator von ihr wissen. „Alles war friedlich“, versichert sie. Das große Interesse und die vielen Fragen an sie hätten sie gefreut. Anders sei es an der Uni: „Sie ist zum Tatort geworden, an dem man aufs Jüdischsein reduziert wird. Damit habe ich nicht gerechnet. Aber ich stehe es durch. Trotzig.“ Auch ein Zeichen.

Juden als fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft

Der Sachstand ist: Leben müssen mit dem nie endenden Antisemitismus. Eric Friedler, vielfach ausgezeichneter Dokumentarfilmer und Geschäftsführer des Hauses des Dokumentarfilms in Stuttgart, erlebt Angriffe, Verhöhnungen und fühlt sich dagegen als „deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ ohnmächtig: „Ein Dammbruch. Von der Linken ebenso wie von der Rechten. Unverhohlen und hemmungsloser als früher.“ „Die Maske ist gefallen“, bestätigt Richard C. Schneider, ehemaliger ARD-Korrespondent aus Israel, der nach 20 Jahren in Tel Aviv nach Deutschland zurückkehrte und feststellte: „Es ist noch schlimmer geworden, die Atmosphäre ist vergiftet.“ Sabena Donath, Leiterin der Bildungsabteilung des Zentralrates der Juden, setzt auf verstärkte Aufklärung: „Wir brauchen ein Bildungsprogramm, denn wir sind ständig bemüht, uns zu erklären.“

Jüdisch ist jetzt! „Ist das eine Floskel?“, fragt Rubinstein. Für Schneider schon: „Jüdisch ist immer“, betont er. Für Lisa Strelkowa bedeutet das keine Abgrenzung: „Wir sind fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft und gehören zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“

Der jungen Generation eine starke Stimme geben: Diese Intention der Kulturwochen erfüllt auch die Diskussion „Perspektivisch ungewiss“ mit fünf jungen Männern und Frauen am Mittwoch, 13. November. Programm und Kartenvorverkauf unter www.irgw.de/kulturwochen, kulturwochen@irgw.de und Telefon 0155/60 45 45 87.