Israels Botschafter Jeremy Issacharoff spricht von wachsendem Judenhass im Land, sein gewandeltes Bild von Deutschland und warum seine Regierung jeden Kontakt mit der AfD ablehnt.

Berlin - Seit Beginn seiner Amtszeit vor eineinhalb Jahren hat sich Deutschland verändert, sagt Israels Botschafter Jeremy Issacharoff. Das Land müsse auf allen Ebenen alles tun, um seine Demokratie zu schützen, sagt er im Interview.

 

Herr Issacharoff, Sie sind in London geboren und aufgewachsen – wie wird man da israelischer Diplomat in Deutschland?

Die Familien meiner Eltern haben beide über Generationen in Jerusalem gelebt. Eine israelische Identität gab es daher bei uns eigentlich schon immer. Während des Jom-Kippur-Krieges 1973 wurde mir klar, dass ich in Israel leben möchte, und so kam ich in den diplomatischen Dienst.

Wie war Ihr Deutschlandbild zu dieser Zeit?

Mein Deutschlandbild war eher das eines britischen Kindes Ende der 50er Jahre und sehr von der Erzählung über den Zweiten Weltkrieg geprägt. Mit Deutschland hatte ich zunächst wenig zu tun – familiär kam ich nicht mit dem Holocaust in Berührung. Selbst auf meiner jüdischen Schule gehörte der Holocaust nicht zum Lehrplan bis ich Mitte der Sechzigerjahre ins Gymnasium kam. Als ich nach Israel einwanderte, kam ich in ein Land, in dem es immer noch viele Menschen gab, die niemals nach Deutschland gefahren wären oder einen deutschen Wagen gekauft hätten. Erst seit 1965 unterhielten die beiden Staaten Beziehungen.

Sie sind jetzt seit eineinhalb Jahren im Amt. Wie hat sich Ihr Deutschlandbild seitdem verändert?

Die meiste Zeit meiner Karriere habe ich mich mit strategischen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt. Während dieser Zeit hatte ich immer einen sehr guten Kontakt zu meinen deutschen Kollegen. Erst als Botschafter habe ich die Tiefe und Dimension der Beziehungen realisiert. Dazu gehören der Dialog zwischen der Bundeskanzlerin und dem Premierminister und die wachsende Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik und der Geheimdienste, oder die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beispielsweise deutschen Autokonzernen und israelischen Start-up-Unternehmen.

Seit Ihrer Ankunft im Herbst 2017 hat sich auch Deutschland verändert. Wie blicken Sie auf das Land?

Kurz nachdem ich kam, wurde die AfD als Oppositionsführerin in den Bundestag gewählt. Israelische Flaggen werden am Brandenburger Tor verbrannt, einem Berliner Gastwirt wird mit dem Wiederaufbau der Gaskammern gedroht. Jeder kann sehen, dass der Antisemitismus zunimmt – von rechts, von links, aus der Einwanderungsgesellschaft. Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer sehr stabilen und starken Demokratie entwickelt. Der Antisemitismus, den ich sehe, ist deshalb nicht allein ein Angriff auf Juden in diesem Land. Es handelt sich auch um einen Angriff auf die deutsche Demokratie. Und wenn sie mich fragen: Ja, ich mache mir Sorgen. Deutschland muss auf allen Ebenen alles tun, um dagegen zu kämpfen.

Die israelische Regierung verweigert jeden Kontakt zur AfD. Wie machen Sie als Botschafter das und wie begründen Sie das?

Wir haben keinen Kontakt zur AfD. Unsere Begründung ist klar: Spitzenpolitiker der AfD haben Aussagen gemacht, die für jeden Juden oder Israeli sehr verletzend sind. Dazu gehört, den Holocaust als Vogelschiss zu bezeichnen oder Stolz auf die Wehrmacht zu fordern. Unser Präsident hat das sehr klar formuliert: Wenn es Leute gibt, die sich als demonstrativ pro-israelisch darstellen, aber im Kern antisemitisch sind, haben wir keinerlei Interesse an einem Kontakt.

Wenn man den Blick nach Europa weitet, dann gibt es andere rechte Parteien, mit denen Israel den Kontakt nicht vermeidet. Was sind Ihre Kriterien?

Es handelt sich um unterschiedliche Länder und unterschiedliche Parteien und daher sind unterschiedliche Antworten nötig. In Österreich haben wir zum Beispiel Kontakt mit dem Kanzler, allerdings nicht mit dem Außenminister.

Ist der Blick Israels auf das Deutschland von heute ein anderer als auf andere Länder?

Im Alltag denken Israelis nicht, dass Antisemitismus nur in Deutschland wächst, sie sehen, dass das ein generelles Problem an vielen Orten in Europa ist. Es gibt in Großbritannien mit Jeremy Corbyn und Labour eine kontroverse Debatte zu Israel, und es gibt Antisemitismus zum Beispiel in Frankreich. Aber Israel und die anderen Länder - das ist etwas anderes als Israel und Deutschland. Die Beziehung konnte wachsen, weil Deutschland zu seiner historischen Verantwortung steht und klar sagt: Im Bewusstsein der entsetzlichen Geschichte wollen wir die Zukunft gestalten.

Mit der humanitären Entscheidung der Kanzlerin im Sommer 2015 kamen viele muslimische Einwanderer ins Land. In Teilen der muslimischen Gemeinschaft ist Antisemitismus dominant. Manche Israelis halten Deutschlands Flüchtlingspolitik für naiv. Was denken Sie?

Ich würde niemals eine derart schwierige Entscheidung über eine innere Angelegenheit Deutschlands kommentieren.

Aber Israel hat viel Erfahrung mit Integration und mit Fragen der inneren Sicherheit. Was könnte Deutschland lernen?

Wir haben eine sehr bunt gemischte Bevölkerung. Ein Faktor, der uns bei der Integration hilft, ist interessanterweise die Armee. Die Kinder aller Einwanderer dienen gemeinsam in der Armee. Und wer erst einmal in der Armee ist, der ist kein „ehemaliger sowjetischer Soldat“, sondern ein israelischer Soldat unter den anderen.

Zu den Differenzen zwischen Deutschland und Israel gehört zum Beispiel Deutschlands Zustimmung zum Atomdeal mit dem Iran. Wie enttäuschend ist das für Israel angesichts der wachsenden Kriegsgefahr?

Es besteht ja Einigkeit darin, dass um jeden Preis vermieden werden muss, dass der Iran Atomwaffen erlangt. Wir sind uns nur uneinig über den Weg. Wir sind uns einig, dass die Gefahr für die Region und für Israel durch anhaltende iranische Beschaffung und Weitergabe von Raketen wächst.

US-Präsident Trump hat kürzlich die Souveränität Israels über die Golanhöhen anerkannt. Hilft das in der gegenwärtigen Situation mit Syrien irgendetwas?

Ich würde sagen, was Trump gesagt hat, ist einfach die Anerkennung einer Realität. Die Golanhöhen sind jetzt seit 1967 in israelischer Hand, weil wir uns gegen Angriffe verteidigen mussten. Es gab in den vergangenen Jahrzehnten zahllose Versuche, eine politische Einigung zu finden, die nie zu Erfolg führten. Es gibt doch niemanden, der ernsthaft vorschlagen würde, dieses Stück Land an jemanden zurückzugeben, der gerade eine halbe Million Menschen seines eigenen Volkes ermordet hat.

In Israel wird am 9. April gewählt. Ist der Zeitpunkt der Aussage ein kleines Wahlkampfgeschenk an Premierminister Netanjahu?

Ach, ich bin sicher, derzeit interpretieren viele Menschen viel. Ich würde das lieber nicht kommentieren.