Im Westjordanland wächst der israelische Siedlungsdruck auf die Palästinenser. Dennoch widerstehen viele der Resignation – auch mit baden-württembergischer Hilfe.

Bethlehem - Damit Ministerpräsident Winfried Kretschmann besser versteht, wie die Lage der Palästinenser im Westjordanland ist, breitet Daoud Nassar zwischen den Teebechern eine Karte aus. „Wir sind hier auf dem letzten Hügel zwischen Bethlehem und Hebron, der noch nicht von Siedlern besetzt ist“, sagt der Bauer in lupenreinem Deutsch. Nassar hat in Bielefeld Touristik studiert und könnte hier für viel Geld alles hinter sich lassen. Doch der Endvierziger hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Land seiner Eltern zu hegen und zu pflegen.

 

Das haben schon viele vor ihm versucht in der C-Zone, jenem Areal, das zwei Drittel des Westjordanlands ausmacht und in dem die Israelis laut internationalem Abkommen die zivile und militärische Kontrolle ausüben. Fast alle vergeblich. Auch Nassars Kampf gleicht dem zwischen David und Goliath. Die Jerusalemer Gerichte erkennen seine alte Besitzurkunde nicht an, immer wieder attackieren ihn bewaffnete Siedler, und vor Jahren haben Bulldozer Hunderte Olivenbäume ausgerissen. Nicht einmal ein Haus darf er auf seinem 42 Hektar großen Gelände bauen, so dass er seine Gäste in einer umgebauten Höhle bewirtet.

„Wir weigern uns, Feinde zu sein.“

Und doch lässt sich der palästinensische Christ nicht vertreiben. Er sagt sogar: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ Nassar hat einen ganz eigenen Weg gewählt, um dem Druck standzuhalten, jenseits von Resignation, Emigration, und auch jenseits von Gewalt: „Anfangs haben uns einige ausgelacht, aber was haben sie denn erreicht mit Gewalt – außer Gegengewalt?“ Bisher geht Nassars Rechnung auf, weil er die internationale Öffentlichkeit sucht. Abgeordnete waren schon hier, Kirchenvertreter – und nun Kretschmann mit einer kleinen Delegation. Vor allem aber hat Nassar mit dem Projekt „Tent of Nations“ (Zelt der Völker) eine Begegnungsstätte für Jugendliche geschaffen, die in seiner Landwirtschaft mitarbeiten: „Wir haben immer internationale Präsenz, das ist unsere Stärke.“

Wer aus seiner Höhle tritt und sieht, wie das Dorf Nahalin von einem Siedlerring umschlossen wird, kann kaum glauben, dass sich die Lage der Palästinenser je zum Guten wenden kann. Zumal die Regierung in Jerusalem nicht nur die allermeisten illegalen Siedlungen duldet, sondern auch neue legalisiert. So hat sie am Donnerstag dem Bau einer neuen Ortschaft nordöstlich von Ramallah zugestimmt. Die Entscheidung stieß zwar international auf scharfen Protest – auch Deutschland rief Israel dazu auf, sich zur Zwei-Staaten-Lösung zu bekennen. Doch dessen Regierung schafft Fakten: Mittlerweile leben im Westjordanland und Ost-Jerusalem rund 600 000 Siedler.

Dem Alltag einen Sinn abtrotzen

Dass viele Palästinenser trotzdem versuchen, dem Alltag einen Sinn abzutrotzen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken, liegt nicht zuletzt an der internationalen Hilfe. Allein Baden-Württemberg unterstützt Dutzende Projekte in den Autonomiegebieten – und will diese fortführen, wie Grüne und CDU im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Einen Baustein hat Kretschmann in Form eines 30 000-Euro-Schecks mit nach Bethlehem gebracht. Die Kunsthochschule Dar al-Kalima finanziert damit den Bau einer Solarstrom-Anlage auf dem Dach. Auch Unternehmen wie die badische Solarfirma Wirsol haben sich daran beteiligt: „Es ist uns ein großes Anliegen, den Menschen in Palästina das Leben in ihrer Heimat lebenswerter zu gestalten“, so Wirsol-Geschäftsführer Peter Vest.

Die Palästinenser müssten versuchen, die Identität als Nation zu erhalten, sagte Hochschul-Präsident Mitri Raheb bei der Scheckübergabe: „Kunst und Kultur spielen dabei eine wichtige Rolle.“ Mit Landesunterstützung wurde an dem College auch ein Ausbildungsgang als Solartechniker errichtet. Gerade weil die politische Lage so trostlos sei, müssten solche Dinge wie die Hochschule entstehen. Und dann sagt Raheb einen eindrücklichen Satz: „Wissen Sie, junge Menschen bei uns haben kein Problem damit, zu glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Sie haben aber ein Problem, zu glauben, dass es ein Leben vor dem Tod gibt.“

Um dies zu ändern, engagiert sich die Stuttgarter IT-Firma AXSOS in Ramallah nördlich von Jerusalem. Sie betreibt dort seit 2011 eine Niederlassung und bietet 40 palästinensischen IT-Kräften einen Arbeitsplatz. „Wir haben das gegen den Trend gemacht, doch für die Kunden hat sich die Kombination von deutschem Qualitätsdenken und orientalischer Flexibilität bewährt“, sagt Vorstandschef Frank Müller. So werden von Ramallah aus IT-Anlagen in aller Welt betreut – und zwar rund um die Uhr. Und was die Breitband in Ramallah angeht, sagt Müller: „Die ist besser als auf der Schwäbischen Alb.“