Manche Arbeitgeber verzweifeln fast: Sie haben Stellen zu vergeben, aber keiner bewirbt sich. Im Werben um IT-Forensiker muss sich die Polizei mit der Wirtschaft messen. Was die Unternehmen nicht zu bieten haben: eine Arbeit wie im Krimi.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Stuttgart - Im Flur der Abteilung Digitale Spuren sind ein paar berühmt-berüchtigte Fälle zu sehen: ein Handy so groß wie ein Daumen, das in ein Gefängnis geschmuggelt wurde. Eine Fahrradrückleuchte mit einem eingebauten GPS-Sender. „Damit wusste der Stalker genau, wo die Dame ist“, erläutert Björn Schemberger, der Leiter der IT-Forensik im Stuttgarter Landeskriminalamt.

 

Und wenn ein Todesopfer entdeckt wird, finden die Beamten zu 99 Prozent auch das Handy der Person. Dann brauchen die Ermittler sofort einen IT-Forensiker. Aber für die spannende Aufgabe ist es nicht immer leicht, Kandidaten zu finden. Das liegt vor allem am Geld: Informatiker und ihresgleichen verdienen in der freien Wirtschaft einfach mehr als bei der Polizei.

Der Chip wird herausgelötet

Im Büro neben dem gläsernen Ausstellungskasten arbeitet der Kollege mit Fingerspitzengefühl an einem weiteren Handy. „Untersuchungsraum Mobilfunkforensik“ steht auf dem Schild an der Tür. Er versucht, den Chip herauszulöten. „Selbst wenn ein Telefon drei Stunden im Feuer lag, kann man die Daten noch sichern“, sagt Björn Schemberger. Durchschossene, zertrampelte oder durchnässte Geräte landen ebenfalls in dem Büro. Aber diese Tätigkeit ist nur ein Teil des Aufgabenspektrums. Der Abteilungsleiter zieht den Vergleich zum Beruf des Anwalts, der sich auf Fachgebiete vom Arbeitsrecht bis zum Zivilrecht spezialisieren kann. In der IT-Forensik gibt es allein für jedes Betriebssystem – von Mac über Linux bis zu Windows – Spezialisten.

Für Björn Schemberger klang die Stellenausschreibung des Landeskriminalamts „nach einem abwechslungsreichen Leben“. Seit zwölf Jahren ist er nun schon bei der Polizei, und er hat keinen Tag davon bereut. Technische Informatik studierte er an der Fachhochschule in Albstadt-Sigmaringen. Seither sucht er nach Daten, die helfen, Unfälle aufzuklären oder Morde aufzudecken. „Jeder Fall ist anders“, sagt der 37-Jährige. Als Beispiel fällt ihm der Lamborghini-Fahrer ein, der mit 300 Kilometern pro Stunde über die Autobahn raste und tödlich verunglückte. War es ein illegales Rennen oder ein Unfall, lautete die Frage an den IT-Forensiker. Im Navigationsgerät steckte die Antwort: Ein zweites Fahrzeug war nicht involviert. Nach dem Amoklauf in Winnenden war er Teil des Teams, das zwei Wochen lang den Computer des Täters auseinandernahm. „Wir gehen direkt nach dem Mobilen Einsatzkommando rein“, sagt er über die Tätigkeit von Liveforensikern. Sie kommen zum Einsatz bei Hackern, die auf frischer Tat ertappt werden sollen: Die Experten müssen im Moment des Zugriffs dafür sorgen, dass die Daten nicht vom Bildschirm verschwinden.

Das Training-on-the-Job dauert etwa ein Jahr

Etwa ein Jahr dauert es, bis IT-Forensiker selbstständig arbeiten können. Berufseinsteiger bekommen beim Landeskriminalamt einen Kollegen zur Einarbeitung an die Seite gestellt. Danach folgt ein mehrwöchiger Lehrgang. Genau diese Selbstständigkeit ist es, die Björn Schemberger so schätzt. „Wir haben flache Strukturen, und jeder Mitarbeiter hat eine hohe Entscheidungskompetenz“, sagt er. Wer Ambitionen hat, kann sich zum Cyberkriminalisten weiterbilden und wird dadurch innerhalb eines Jahres zu einem vollwertigen Polizisten. Björn Schemberger sattelte dagegen auf den Bachelor berufsbegleitend einen Masterabschluss. „Ich bewege etwas im Interesse der Allgemeinheit“, erklärt er die Motivation für seinen Job.

Dafür sind besondere Qualifikationen gefragt. Zum Beispiel der Wille zur ständigen Weiterbildung, weil sich die Technik auch dauernd weiterentwickelt. Alle drei Jahre taucht ein neues Thema auf, zuletzt war es Cloud-Computing, das Speichern von Daten außerhalb des heimischen PC.

Auch wenn Berufseinsteiger in der Wirtschaft rund 500 Euro netto mehr verdienen, bei der Polizei sind Informatiker mit dem Abgasskandal beschäftigt, mit Rocker-Gruppierungen oder Hacking – berühmt-berüchtigte Fälle, die Ausstellungsstücke für den Glaskasten im Flur liefern.