Trotz der Krise in Spanien schwört nicht nur der Stuttgarter IT-Dienstleister GFT weiter auf die Katalanen. Vor allem der mobile Bereich soll dort bald richtig boomen.

Barcelona - Keine Wolke vermag den stahlblauen Himmel über Barcelona zu trüben. In den aufgeräumten Prachtstraßen der katalanischen Metropole geht es geschäftig zu, die meisten Menschen auf der berühmten Passeig de Gràcia sind luftig und elegant gekleidet. Der Herbst scheint hier an diesem Tag Anfang September genauso weit weg zu sein wie die wirtschaftliche Misere Spaniens. Doch die Lage des Landes ist zweifellos ernst: fast ein Viertel der aktiven Bevölkerung ist arbeitslos, bei den jungen Leuten zwischen 16 und 24 hat mehr als die Hälfte keinen Job und kürzlich hat selbst die Regierung von Katalonien, der reichsten Region des Landes, fünf Milliarden Euro Hilfsgelder von der spanischen Zentralregierung beantragt.

 

Ulrich Dietz, Vorstandschef des Stuttgarter IT-Dienstleisters GFT, ist dennoch überzeugt, dass die Krise in Spanien nur eine Übergangszeit ist. „Das Land hat langfristig eine hervorragende Zukunft“, sagt er. Dietz kennt den spanischen Arbeitsmarkt gut, bereits seit mehr als zehn Jahren ist die GFT dort aktiv. Als Konkurrenten nach Indien oder Osteuropa gingen, setzte Dietz auf Spanien – und hat es nie bereut. 2001 eröffnete GFT im Norden Barcelonas die erste Niederlassung und teilt sich das Bürogebäude heute mit dem US-Technologiekonzern Hewlett-Packard. Mittlerweile hat GFT vier weitere spanische Standorte, so dass heute zwei Drittel aller rund 1300 Mitarbeiter in Spanien beschäftigt sind.

„Silicon Valley von Europa“

Katalonien vergleicht Dietz gerne mit seiner wirtschaftsstarken Heimat Baden-Württemberg und sieht es gar als das „Silicon Valley von Europa“ an. Die Region mit ihren dreizehn Universitäten habe fleißige und ideenreiche Menschen. „Vor allem gut qualifizierte Fachkräfte für die Softwareentwicklung“, sagt Dietz, weshalb IT- Unternehmen hier – anders als in Deutschland – auch keine Probleme hätten, gute Fachkräfte zu rekrutieren. Hinzu kämen attraktive Lohnkosten. So verdient zum Beispiel ein IT-Projektmanager in Spanien nach Angaben des Barcelona Digital Technology Centres (BDTC) durchschnittlich rund 42 000 Euro jährlich, in Deutschland hingegen etwa 58 000 Euro – was einem Lohngefälle von 27 Prozent entspricht.

Zumindest im IT-Sektor will Dietz daher auch nicht von einer „Generation hopeless“ sprechen, als welche die jungen Spanier heute vielerorts bezeichnet werden. „Generation hopeful“ passe da viel eher, sagt Dietz. Als Teil dieser hoffnungsvollen Generation sieht sich auch Lluís Surós. Der 25-jährige Softwareentwickler arbeitet seit sechs Monaten bei GFT in Barcelona. „Gerade für Absolventen technischer Studiengänge gibt es in Spanien gute Möglichkeiten“, sagt Surós. Zwar könne er sich auch vorstellen, eines Tages im Ausland zu arbeiten. Eine Not für diesen Schritt, wie sie andere Spanier in seinem Alter empfinden, gäbe es für ihn aber nicht. Die Statistik bestätigt diese Einschätzung. So beträgt die Arbeitslosigkeit junger Absolventen aus dem ICT-Bereich (Informations- und Kommunikationstechnik) in Spanien nur sieben Prozent, über alle Branchen hinweg sind es derzeit mehr als 50 Prozent.

Katalonien setzt stark auf ICT-Sektor

Vor allem Katalonien setzt stark auf diesen Sektor. Nach Angaben des BDTC hatte die Region im vergangenen Jahr rund 20 Prozent Anteil am gesamten spanischen ICT-Bereich (Umsatz 2011: knapp 18 Milliarden Euro). Zudem wurden in den vergangenen beiden Jahren jeweils rund 5000 neue ICT-Arbeitsplätze in Katalonien geschaffen. „Diese Zahlen zeigen die Bedeutung, die neue Technologien für unser Wirtschaftswachstum haben“, sagt Patricia Remiro vom BDTC.

Besonderes Gewicht kommt dabei dem Bereich der Mobiltechnologie zu. So findet bereits seit mehreren Jahren die weltweit größte Mobilfunkmesse MWC in Barcelona statt. Im vergangenen Februar besuchten rund 67 000 Menschen aus 205 Ländern die Messe. „Der Bereich Mobile ist vielleicht eine noch größere Welle als einst die Entwicklung des Internets“, sagt Ginés Alarcón. Entsprechend froh ist der MWC-Messechef darüber, dass er sich mit seinem Team in einer internationalen Ausschreibung im vergangenen Jahr gegen mehrere andere europäische Metropolen – unter anderem München – durchsetzen konnte und die Messe noch bis mindestens 2018 in Barcelona stattfinden wird.

Mobile-Festivals, Ausstellungen und mehr

„Wir wollen uns als erste mobile Welthauptstadt etablieren“, sagt Alarcón. Dies soll allerdings nicht nur über die Messe geschehen. So sei etwa ein Mobile World Festival geplant, wo Konzerte oder Kinofilme mit mobilen Geräten aufgezeichnet und darauf weltweit übertragen würden. Außerdem werde es eine Dauerausstellung in Barcelona geben, um den Bürgern und Touristen die neusten mobilen Trends und Geräte näherzubringen.

Am wichtigsten sei aber die Entwicklung eines neuen industriellen Sektors in der Stadt rund um den Bereich Mobilität. „Das Ziel wäre, dass sich möglichst viele internationale Firmen ansiedeln und ihre mobilen Lösungen von hier aus weltweit vermarkten“, sagt Alarcón. Erste Unternehmen, wie etwa der niederländische Chiphersteller NXP oder der deutsche Sportartikelhersteller Adidas, hätten bereits angekündigt, entsprechende IT-Entwicklungsstandorte in Barcelona zu eröffnen.

Die GFT Gruppe ist da bereits einen Schritt weiter. Sie hat ihre weltweiten Innovationsaktivitäten bereits am Standort Barcelona gebündelt und dort eine Abteilung etabliert, die sich ausschließlich um die Entwicklung digitaler Angebote – vor allem zum Thema Mobile Banking – kümmert. Dass sich die katalanische Metropole nun zur mobilen Welthauptstadt aufschwingen möchte, freut GFT-Chef Dietz natürlich. „Das ist eine äußerst glückliche Entwicklung für uns.“