Italien und die EZB Ganz Euroland blickt auf Mario Draghi

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi will sich an diesem Mittwoch vor dem Parlament erklären. Foto: AFP

Vor zehn Jahren hat der Italiener die Schuldenkrise entschärft. Wenn er jetzt als Ministerpräsident zurücktritt, könnte er eine neue Eurokrise auslösen.

Bleibt Mario Draghi italienischer Ministerpräsident? Diese Frage hält derzeit die Finanzmärkte in ganz Europa in Atem. Denn wenn der 74-Jährige an diesem Mittwoch seine Rücktrittsabsicht bestätigen sollte, würden sich die Zweifel an der Stabilität des drittgrößten Eurolandes Italien verschärfen.

 

Der parteilose Draghi hatte am Donnerstag seinen Rücktritt eingereicht, nachdem eine wichtige Regierungspartei – die Fünf-Sterne-Bewegung – ihm bei einer bedeutenden Abstimmung im Senat die Unterstützung versagt hatte. Staatspräsident Sergio Mattarella lehnte das Rücktrittsgesuch aber ab und forderte Draghi auf, sich zunächst vor dem Parlament zu erklären. Diese Erklärung wird an diesem Mittwoch erwartet.

Die EZB steht vor einem Dilemma

Nur einen Tag später will die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins erhöhen. Angesichts der hohen Inflationsrate ist dieser Schritt überfällig. Doch schon vor der Regierungskrise in Rom war die Befürchtung aufgekommen, dass Italien und andere hochverschuldete Länder durch steigende Zinsen in Bedrängnis geraten könnten. Die EZB kündigte deshalb bereits im Juni an, ein neues Werkzeug gegen eine „Fragmentierung“ der Währungsunion zu schmieden.

„Der Euroraum steht am Beginn einer neuen Eurokrise“, kommentiert Norbert Tofall, Analyst beim Vermögensverwalter Flossbach von Storch. Tofall arbeitete früher für den FDP-Abgeordneten Frank Schäffler, der sich in der Schuldenkrise gegen die Hilfspakete für Griechenland aussprach.

Gefürchteter Dominoeffekt

Athen fand damals an den Kapitalmärkten keine Geldgeber mehr. Wenig später mussten Irland, Portugal und Spanien den Europäischen Rettungsfonds anzapfen. Danach forderten Investoren auch von Italien immer höhere Zinsen.

Auch damals spielte Draghi, seinerzeit EZB-Präsident, eine Schlüsselrolle: Am 26. Juli 2012 kündigte er auf einer Finanzmarktkonferenz in London an, die EZB sei „bereit zu tun, was immer nötig ist, um den Euro zu erhalten“. Später konkretisierte die Notenbank diese Ankündigung mit dem Versprechen, notfalls Staatsanleihen hochverschuldeter Länder zu kaufen. Politisch war das hochumstritten – an den Märkten aber kehrte Ruhe ein.

Noch sind die Finanzierungskosten Italiens moderat

Würde ein Rücktritt Draghis nun tatsächlich eine neue Eurokrise auslösen? Jan Holthusen, Leiter der Abteilung Research und Volkswirtschaft bei der DZ-Bank, hält das für unwahrscheinlich: „Wenn Ministerpräsident Draghi zurücktreten sollte, wird die Verzinsung italienischer Staatsanleihen steigen. Ich glaube aber nicht, dass der Anstieg außer Kontrolle gerät.“

Aktuell liegen die Renditen zehnjähriger italienischer Staatsanleihen bei 3,4 Prozent, auf dem Höhepunkt der Eurokrise waren es zeitweise sieben Prozent. Gleichwohl beraumte die EZB eine Krisensitzung an, als im Juni die Marke von vier Prozent übersprungen wurde. Die Ankündigung des Anti-Fragmentierungs-Instruments hat die Wogen dann wieder geglättet.

Es geht auch um die Folgen für Unternehmen und Verbraucher

Die EZB begründete ihre Ankündigung nicht mit der Gefahr einer neuen Eurokrise, sondern mit Problemen bei der Transmission ihrer Geldpolitik in verschiedenen Ländern. Diese sei uneinheitlich.

Nach Einschätzung von Stefan Kreuzkamp, Chefanlagestratege bei der Fondsgesellschaft DWS, geht es der EZB nicht allein um die Folgen steigender Zinsen für hochverschuldete Staaten. Vielmehr stiegen mit den Finanzierungskosten der italienischen Regierung auch die Kreditkosten für Unternehmen und Haushalte in Italien.

Die Erwartungen könnten enttäuscht werden

„Wenn ein italienischer Mittelständler deutlich höhere Zinsen zahlen sollte als ein deutsches Unternehmen bei gleicher Bonität, wäre das tatsächlich problematisch“, räumt Holthusen ein. „Ob die Unterschiede wirklich so groß sind, ist aber umstritten.“ Sie zu messen sei nicht einfach, weil viele mittelständische Unternehmen nicht von Ratingagenturen beobachtet würden und die Bonitätsbewertungen ihrer Hausbanken weder öffentlich verfügbar noch ohne Weiteres vergleichbar seien, erläutert Holthusen.

Der DZ-Bank-Experte erwartet, dass die EZB das geplante Programm am Donnerstag nur in Grundzügen präsentieren wird. „Vermutlich werden die Märkte enttäuscht. Das Thema ist komplex, und es fehlt bei der Ausgestaltung an Einigkeit im EZB-Rat.“

Bundesbank pocht auf Fortschritte beim Schuldenabbau

So warnte Bundesbankpräsident Joachim Nagel kürzlich, das neue Instrument dürfe nicht dazu führen, dass der Schuldenabbau vernachlässigt werde. Die Eurostaaten müssten „genügend Anreize haben, ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik nachhaltig auszurichten“, sagte Nagel. Ein neues EZB-Programm müsse daher an Bedingungen geknüpft sein.

Für das von Draghi vor zehn Jahren angekündigten Programm unter dem Titel Outright Monetary Transactions (OMT) gab es Bedingungen: Von Staatsanleihekäufen der EZB sollten danach nur Länder profitieren, die auch den Euro-Rettungsfonds um Unterstützung baten. Dessen Hilfen wiederum sind mit Reformauflagen verbunden.

In den Krisenstaaten waren diese Auflagen heftig umstritten. Letztlich kam es nie zur Anwendung des OMT-Programms, stattdessen kaufte die EZB ab 2015 Anleihen aller Euroländer. Als Grund dafür nannte sie damals Deflationsgefahren. Infolge der Coronakrise und des Ukraine-Kriegs zog die Teuerungsrate allerdings mächtig an. Dennoch stoppte die EZB die Anleihekäufe erst im Juni – wie Eurostat am Dienstag mitteilte, lag die Inflationsrate im Euroraum da schon bei 8,6 Prozent. Die EZB will sie bekämpfen – und gleichzeitig doch wieder Anleihen einzelner Staaten zukaufen. Eine Aufgabe, die einer Quadratur des Kreises nahe kommt.

Konflikt mit der Inflationsbekämpfung

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