Wieder wird Italien von Naturereignissen heimgesucht, deren Folgen vermeidbar gewesen wären. Die Menschen sind verärgert – und sie rebellieren.

Rom - Tagelange Regenfälle, Wirbelstürme und Windhosen, Überschwemmungen, Erdrutsche – Italien wird seit Wochen von Naturereignissen heimgesucht. Gerade der Nordwesten, der zurzeit am meisten leidet – Ligurien, Genua, die Riviera, die toskanische Küste – war bereits vor vier Wochen Schauplatz etlicher Tragödien. Schon jetzt sind sieben Schultage ausgefallen. Museen und andere Einrichtungen blieben ebenso lang geschlossen. Straßen sind im Nichts versunken, Eisenbahnlinien verschüttet. Gestorben sind bisher drei Personen, hunderte wurden evakuiert.

 

Und die Leute rebellieren. In der toskanischen Marmorstadt Carrara halten Evakuierte, die Kleider noch voller Schlamm, das Rathaus besetzt. Ein Demonstrationszug von mehr als 2000 Personen verlangte den Rücktritt des Gemeinderats. Gegen den Bürgermeister flogen Steine. Die Staatsanwaltschaft ermittelt – nicht nur gegen die Demonstranten.

Verantwortlich sind auch industrielle Marmorsteinbrüche

In Carrara lässt sich genau jenes menschliche Versagen aufzeigen, das herbstliche Wetterereignisse beinahe jedes Jahr zu Katastrophen ausarten lässt. Es war nicht nur der Bergbach Carrione, der die Stadt bereits 2003 und 2012 verwüstet hat. Beteiligt waren auch 140 industrielle Marmorsteinbrüchen an seinem Lauf. Sie kippen, wie eine Geologen-Studie fotografisch dokumentiert hat, ihren Abraum in den Carrione, verengen so das Bachbett und verstärken seine Wucht, wenn der sonst unscheinbare Bach bei Unwettern innerhalb von Minuten anschwillt.

Aber in Carrara, sagen die Demonstranten, sei der Reichtum bringende Marmor eben allmächtig, die Abbaufirmen unantastbar, ihr Filz mit der Stadtregierung undurchdringlich. Hinzu kommt jetzt der Vorwurf von Schlamperei am Bau: Der Carrione war erst 2010 eingedeicht worden. Die Betonmauer aber, die die Stadt schützen sollte, knickte auf 114 von 140 Metern weg. 1600 Häuser versanken im Wasser.

Ähnliche Verhältnisse findet man in Genua, wo ausgerechnet Politiker zu den Verantwortlichen gehören. Für die Sicherung des Sturzbaches Bisagno, den man vor Jahren in einen zu knapp bemessenen Tunnel gezwängt hatte, standen seit Jahren die erforderlichen Millionen bereit. Doch Baustellen wurden höchstens angefangen. Mal waren es Gerichtsprozesse um Formfehler bei der Auftragsvergabe, mal die Vergesslichkeit der Stadt in den Schönwetterperioden. Nicht einmal die Verwüstungen, die der Bisagno 2010 angerichtet hat, änderten etwas daran. Vor einem Monat schwoll er wieder an, verwüstete das übliche Stadtviertel und riss einen Mann mit sich.

Der Umweltminister rüffelt die Gemeinden

Wie nach jeder Katastrophe, soll jetzt alles besser werden. Beim Prüfen liegen gebliebener Konten hat die Regierung in Rom festgestellt, dass zwei Milliarden Euro, die seit Jahren für den Hochwasserschutz bereitstehen, von den Gemeinden nicht abgerufen worden sind. Der Umweltminister Gian Luca Galletti rüffelt die Gemeinden aber auch, weil sie zu lange den Bau von Häusern in trocken gefallenen Bachbetten zugelassen hätten. Ebenso wenig hätten sich private Bauherren um Verbote gekümmert – ohne Strafen befürchten zu müssen. Frühere Regierungen erließen Dekrete, die es ermöglichten, Schwarzbausünden mit minimalen Bußgeldern zu legalisieren. Galletti kündigte einen Stopp dieser Amnestien an. Ferner will er durchsetzen, dass Schwarzbauten in wasser-neuralgischen Zonen sogar abgerissen werden dürfen.

Ein Fortschritt ist der Regierung Renzi bereits gelungen: Verwaltungsgerichte dürfen Schutzbauten nicht mehr pauschal blockieren. Sie müssen das öffentliche Interesse abwägen gegen das kleine geschäftliche Interesse einzelner Baufirmen.