Rom weigert sich, die hohe Staatsverschuldung abzubauen, die Regierung will sogar noch mehr Schulden machen. Am Dienstag läuft die Frist zur Vorlage des italienischen Haushaltsplans bei der EU-Kommission in Brüssel ab. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Rom/Brüssel - Schon jetzt ist klar: Die ausufernde italienische Staatsverschuldung wird am Dienstag zu einem zentralen Thema für die Akteure an den Finanzmärkten. Der Grund: Die italienische Regierung muss, wie im Übrigen alle anderen Regierungen in der EU auch, am 15. Oktober bei der EU-Kommission die Pläne für den Haushalt 2019 einreichen. Die Frist lief in der Nacht zu Dienstag ab. Ärger ist vorprogrammiert.

 

Was steht im Entwurf?

Die Regierung in Rom will den Sparkurs verlassen. Für das Jahr 2019 plant sie eine Neuverschuldung im Umfang von 2,4 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Die sozialdemokratische Vorgängerregierung hatte gegenüber der Kommission noch versprochen, 2019 bei 0,8 Prozent zu landen. Die neue Regierung hat auf die breite Kritik am Verlassen des Sparkurses inzwischen reagiert und angekündigt, 2020 bei 2,1 Prozent und 2021 bei 1,8 Prozent zu landen. Laut Haushaltsentwurf sind Ausgaben von 42,9 Milliarden Euro vorgesehen.

Wieso ist der Etat-Entwurf ein Problem?

Der italienische Staat verstößt zwar nicht bei der Neuverschuldung gegen das Stabilitätskriterium von drei Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung. Problematisch ist vielmehr die Staatsverschuldung von insgesamt 130 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Italiens Staatsverschuldung ist damit seit langem ein Risiko für die wirtschaftliche Stabilität der Euro-Zone. Die Wirtschaft wächst wenig, außerdem sitzen die Banken auf einem Berg von faulen Krediten, die Arbeitslosigkeit ist zu hoch. Der Rat der EU, also das gemeinsame Gremium der Mitgliedstaaten, hat Italien daher unter besondere Beobachtung gestellt und Italien aufgefordert, den Staatshaushalt um 0,6 Prozent, gemessen an der Wirtschaftsleistung, zu konsolidieren. Der Vorschlag Italiens dürfte nun nicht auf eine Konsolidierung hinaus laufen, sondern auf das Gegenteil: Das Defizit würde um rund 0,8 Prozent zunehmen.

Was will die italienische Regierung mit dem hohen Haushaltsdefizit erreichen?

Nach eigenen Angaben will die Regierung in Rom mit ihrem Haushaltsplan das Wachstum Italiens ankurbeln. Beide Regierungsparteien, die Fünf-Sterne-Bewegung auf der einen und die rechte Lega auf der anderen Seite, wollen schnellstmöglich ihre Wahlversprechen in die Tat umsetzen. Die Fünf-Sterne-Bewegung pocht auf die Einführung eines so genannten Bürgereinkommens, das in etwa dem Hartz-IV-System in Deutschland entsprechen würde. Rund fünf Millionen Italiener würden davon profitieren: 780 Euro monatlich für jeden, der dieses Geld nicht hat, wer weniger hat, bekommt eine Aufstockung, um auf den Betrag zu kommen. Die Lega hatte ihren Wähler drastische Steuersenkungen versprochen. Diese soll aber erst einmal nur für kleine und mittelständische Unternehmen gelten, Familien sind später dran. Auch die Rentenreform soll nach dem Willen der Lega rückgängig gemacht werden. So sollen etwa 400 000 Menschen früher in Rente gehen können, um die Arbeitsplätze für die jungen Leute freizumachen, so die Argumentation von Innenminister Matteo Salvini (Lega).

Was sagen Kritiker in Italien?

Der Plan stößt nicht nur außerhalb Italiens auf Kritik. Auch im Land fragen sich viele, wie es finanziert werden soll, und ob die Berechnungen der Regierung valide sind. So wird beispielsweise der Risikoaufschlag auf zehnjährige Staatsanleihen Italiens in dem Entwurf nicht berücksichtig. Dieser war wegen des mangelnden Vertrauens der Märkte in den vergangenen Wochen stark gestiegen. Sollte er sich über drei Prozentpunkten einpendeln, würde dies Italien im Jahr 2019 bereits rund sechs Milliarden Euro mehr kosten. Auch inhaltlich gibt es Kritik an den Haushaltsplänen. Die Idee der Rentenreform, ein alter Angestellter geht und ein junger kann nachrücken, ist der Wirtschaftswissenschaftlerin Veronica De Romanis ein Dorn im Auge. „Der Arbeitsmarkt wird damit als statisch betrachtet, anstatt dass man versucht, ihn zu vergrößern“, so die Expertin. „Das Land braucht mehr Menschen, die arbeiten, nicht mehr, die in Rente gehen.“ Es fehlten außerdem Anreize, mehr Frauen in Arbeit zu bringen, so De Romanis. „Würde man die Erwerbstätigkeit von Frauen von derzeit 50,6 Prozent auf 60 Prozent erhöhen, würde das bereits ein Wachstum von einem Prozent pro Jahre bedeuten.“

Wird Italien stur bleiben?

Anscheinend. „In sechs Monaten ist Europa sowieso am Ende“, sagte Viza-Premier Luigi Di Maio vor wenigen Tagen. Damit spielt er auf die Europawahl Ende Mai an. Ein Triumph der Populisten in den EU-Ländern werde dann dafür sorgen, dass die strikten Sparvorgaben schon am Tag nach der Wahl passé sein werden, glaubt der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung. „Wir ziehen unseren Plan durch und fühlen uns nur gegenüber den Italienern verantwortlich“, sagte auch Innenminister Matteo Salvini. „Nichts und niemand wird uns stoppen können.“ Auch wenn die Regierung bei der Bevölkerung bislang gut ankommt - 60 Prozent der Italiener sagen, sie seien zufrieden mit deren Arbeit – wird der Haushaltsentwurf etwas skeptischer gesehen. Laut einer Umfrage des Instituts Demopolis sehen 48 Prozent der Italiener eine hohe Neuverschuldung von 2,4 Prozent als notwendig an, während 37 Prozent sich Sorgen machen, wegen der Risiken, die damit für ihr Land verbunden sind, sollten die Märkte das Vertrauen in Italien verlieren.

Wie wird die Antwort aus Brüssel lauten?

Da rasen gerade zwei Züge aufeinander los. Die Kommission wird binnen einer Woche Italien auffordern, „Klarstellungen“ nachzuliefern. Vermutlich werden sie aber nicht zufriedenstellend ausfallen, dann wird die Kommission Italien auffordern, einen neuen Haushaltsplan zu schicken, der mit den EU-Zielen überein stimmt. Schon dies bedeutet eine bislang nie dagewesene Eskalation: Bislang musste kein Mitgliedstaat jemals eine zweite Version liefern. Ende November soll in der Theorie alles abgeschlossen sein. Angesichts der Äußerungen aus Italien erscheint dies als wenig wahrscheinlich. Sanktionen sind, wenn überhaupt, zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt vorgesehen. Bislang hat es ein Defizitverfahren auch nur wegen einer Überschreitung des 3-Prozent-Kriteriums gegeben. Die Kommission fordert aber seit langem, dass ein förmliches Verfahren auch eingeleitet werden kann, wenn der Pfad zum Abbau der Staatsverschuldung insgesamt nicht eingehalten wird. Als finanzielle Sanktionen eines Verfahrens ist etwa denkbar, dass ein „Sünder“ nicht mehr Zugang zu EU-Mitteln bekommt.

Was sagen die Finanzmärkte?

Die „Märkte“ werden die populistische Regierung härter und schneller abstrafen, als dies laut EU-Regeln jemals möglich wäre. Wenn die Kommission die Haushaltssünden Italiens publik macht und öffentlich geißelt, werden die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen in die Höhe gehen. Italien wird dann massive Schwierigkeiten bekommen, sich an den Märkten frisches Geld für Schuldendienst sowie Neuverschuldung zu besorgen. Dies wird die eigentliche Strafe für den Haushaltssünder sein.