Zu den Vorwürfen über ihn schweigt der Bundespräsident beharrlich. Christian Wulff will auf seiner Italienreise nur über Sachthemen sprechen.

Rom - Wenigstens hier scheint Bundespräsident Christian Wulff das Eis noch zum Schmelzen bringen zu können. Auf den Dächern Roms schimmern nach ungewöhnlich flockenreichen Tagen noch kleine Schneefelder. Sonne, Tauwetter und freundliche Menschen erwarten ihn. Etwa der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano, ein bald 87 Jahre alter ehrwürdiger Mann, der Wulff nach einem Treffen mit dem Satz umschmeichelt, dass er noch stundenlang mit dem deutschen Staatsoberhaupt hätte weiterplaudern können. Hier in Italien darf Wulff noch ungestört Bundespräsident sein. Hier kommt keiner auf die Idee, spöttische Gedichte über ihn zu schreiben, wie dies Berthold Kohler, der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ dieser Tage getan hat. Und das Verb „wulffen“ für die fragwürdige Annahme von Gefälligkeiten hat es auch noch nicht in den italienischen Wortschatz geschafft.

 

Es ist dies der erste Staatsbesuch Wulffs, nachdem die Lawine der Vorwürfe im Dezember anrollte. Er will über die Rolle Italiens sprechen, die Bedeutung des Landes unterstreichen, seine Leistungen würdigen. Nur davon soll seine Reise handeln. Das hat er sich so vorgenommen. Um kurz nach zwölf tritt er mit Napolitano in einen Spiegelsaal des Präsidentenpalastes, in dem es nur so gülden blitzt und blinkt. Im Saal nebenan polieren Bedienstete ein letztes Mal das Silberbesteck für den abendlichen Staatsempfang. Die elektrischen Kerzen prächtiger Chandeliers bringen den Raum zum Glitzern und der rostrote Teppich dämpft die Wucht aller Worte. Hier kann man sich wirklich wichtig fühlen. Und sicher auch, denn die Wachleute der Ehrengarde haben sich hinter den hohen Herren postiert, als sei es an ihnen einzugreifen, wenn ungebührliches Verhalten zu unterbinden ist.

Gesprochen wird über Sozialreformen

Wulff und Napolitano haben zur Pressekonferenz geladen. Der eine ist Staatsmann, der andere will es wieder sein. Sie reden über Wachstumsimpulse in ihren Ländern, verneinen die Frage, ob Sparen allein die Krise beheben könne, bejahen die Notwendigkeit, eingeleitete Sozialreformen zu Ende zu bringen und appellieren an die amtierenden Regierungen, den Arbeitsmarkt in Italien und anderswo in Europa für junge Menschen zu öffnen. Sie seien „wirklich auf einer Linie“, sagt Napolitano. Hier, in Italien, hört man Wulff noch zu.

In Deutschland kann man ihn dagegen kaum noch hören. Dabei hat der Bundespräsident doch nichts Gestaltungsmächtigeres als sein gesprochenes Wort. Aber was soll er noch sagen, was darf er noch sagen, wo doch sein Anwalt in den vergangenen Wochen wortgewaltiger ist als er, und die Juristen und Journalisten immer enger um ihn kreisen. Die Reporter, er wird sie wahrnehmen wie Geier, die auf seinen Sturz warten. Damit sie ihn endlich fertigmachen können. So sieht er es. Jede seiner stets so kontrollierten und deshalb seltsam verlangsamten Bewegungen auf dieser Reise soll zeigen: ihr kriegt mich nicht klein. Man spürt das, auch wenn er versucht, die Contenance zu wahren, Haltung zu zeigen.

Reporter mit Handschlag begrüßt

Die Journalisten begrüßt Wulff im Regierungsflugzeug der Bundeswehr, das ihn und seine Delegation nach Italien trägt, mit Handschlag. Mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreicht. Bettina Wulff, seine Frau tut es ihm gleich, sie allerdings mit atemberaubender Leichtigkeit. Als wäre nichts gewesen all die Tage. Als wäre dies ein Ausflug mit lieben Freunden.

Wulff will kämpfen, will mit diesem Staatsbesuch Normalität erzwingen, die Agenda neu fassen, andere Schlagzeilen setzen, neue Bilder prägen. Aber wie ein klebriger Film haften an ihm die vielen kleinen und größeren Verfehlungen, da ist selbst über den Wolken für ihn die Freiheit nicht grenzenlos. Ein Reporter, Wulff will ihn soeben bei seinem Gang durch die Stuhlreihen begrüßen, konfrontiert ihn sofort mit einer Frage. Wulff behält die Kontrolle, sagt: „Erst mal, Guten Morgen.“ Dann kontert er: „Wenn das einer herausbekommt, dann Sie.“ So wird das bleiben, auch während der sonnigen Stunden in Rom und wohl auch in Mailand und Bari, den weiteren Stationen der Reise. Er redet viel. Und bleibt doch stumm zugleich.

Briefing vor der Landung in Rom

Nur einmal kann ihm die Flucht in staatsmännische Routine nicht recht gelingen. Als das Flugzeug schon zur Landung in Rom ansetzt und der Kapitän bittet, die Rückenlehnen senkrecht zu stellen, lädt Wulff die Journalisten noch zu einem Briefing. Wulff sitzt an der Stirnseite des kleinen Konferenzraums, den der Regierungs-Airbus bereithält. Wie ein Tier in der Falle, umringt von Reportern. Hier kann er nicht ausweichen, ein paar Minuten lang. Er entschuldigt sich für die knapp bemessene Zeit, als wolle er den Verdacht ausräumen, es darauf angelegt zu haben. Seine Maschine habe Rückenwind, sagt er.

Das klingt unfreiwillig komisch. Denn schon bricht der Sturm los, und der trifft ihn frontal von vorn. Ob er denn im Ernst glaube, dass angesichts dieser Vorgeschichten sich irgendjemand für die Italienreise interessiere, will ein „Stern“- Reporter wissen, der an der Aufdeckung der Ungereimtheiten mitbeteiligt war. Wulff reagiert bissig: „Es ist mir völlig klar, dass es Ihnen völlig egal ist, wohin wir fliegen.“ Ansonsten gelte für ihn der alte Grundsatz: keine Innenpolitik im Ausland. Jenseits der Grenzen interessiere man sich für seine Positionen, nicht für sein Vorleben. Da gehe es um den Euro, Griechenland, die sozialen Konflikte, die Gefahr einer Spaltung Europas. Die ganz großen Themen also. Das ist die Strategie, mit der Wulff die kommenden Wochen überstehen will: die großen Probleme in den Vordergrund rücken, auf dass die Frage, wer wann mal seine Hotelrechnung beglichen hat, endlich kleinkariert erscheine.

Endlich kann er flüchten aus der Kabine

Immer wieder versucht er, die Stichflammen der zündelnden Journalisten auszutreten, höflich, aber entschieden. „Volle Konzentration auf Italien“, sagt er. „Öffnen Sie Ihr Herz für Italien.“ Er hoffe, „dass Sie jetzt eine andere Seite der Arbeit des Bundespräsidenten sehen können“. Das klingt alles wie eine Bitte. Er müsste eigentlich wissen, dass dieser Wunsch vorerst nicht so ohne Weiteres zu erfüllen ist. Aber kann die Perspektive eines Menschen noch klar und ungetrübt sein, der sich seit Wochen 24 Stunden am Tag verfolgt wähnt?

Endlich kann er flüchten, raus aus dieser engen Kabine, der italienischen Sonne entgegen. Man müsse sich jetzt anschnallen, sagt er. Sonst setze er sich womöglich dem Vorwurf aus, „dass wir Einzelne von Ihnen in Gefahr gebracht haben“. Man habe nicht genug Fallschirme an Bord. Es ist ein Witz mit bitterem Beigeschmack. Wenn einer einen Fallschirm nötig hätte, dann er.