Rom - Die italienischen Bürger scheinen einfach nur noch eines zu sein: müde. Selbst die Bilder von solidarischem Applaus und optimistischen Gesängen, die aus Italien zu Beginn der europäischen Corona-Krise Mitte März weltweit über die Bildschirme flackerten – sie werden weniger und sind vielerorts bereits passé. Zu lange dauert der Ausnahmezustand nun schon. Und er reicht für viele Italiener bis weit vor die Corona-Zeit.
Wie ein Fluch liegt die Krise auf Italien. Auch zwölf Jahre nach dem Beginn der weltweiten Finanzkrise hatte es das Land nicht geschafft, sich solide aufzustellen. Nur vage Hoffnungsschimmer waren in den vergangenen Jahren am wirtschaftlichen Horizont aufgeflackert. Italiens Wirtschaft wuchs – allerdings sehr, sehr langsam. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone war schon vor Corona erheblichen Risiken ausgesetzt. Nun wird sie vom Virus endgültig zerfressen.
Auch nach der Corona-Krise wird es Italien schwer haben
Seit dem 10. März geht nichts mehr in Italien. Erst vergangenen Montag traten die ersten vorsichtigen Lockerungen der Corona-Maßnahmen in Kraft. Fast zwei Monate waren die Menschen gezwungen zu Hause zu bleiben, die Industrie wurde nahezu auf Null runtergefahren. Viele Italiener können ihre Kredite schon nicht mehr bedienen, was das ohnehin schon marode Bankensystem noch weiter belastet. Das Corona-Virus hat Italien als erstes Land Europas getroffen - und zwar mit aller Härte. Bis heute gibt es mehr als 30.000 Todesfälle mit dem Corona-Virus. Mehr als 218.000 Menschen sind infiziert. Das Land wird aber auch die traurige Rangliste anführen, wenn es um die Auswirkungen in der Nach-Coronazeit geht.
Die Wirtschaftskrise, sie liegt wie Blei auf Italien. 2017, zehn Jahre nach dem Ausbruch, lag das Pro-Kopf-Einkommen zehn Prozent unter dem Niveau von 2007. Die Arbeitslosenquote dagegen hatte sich quasi verdoppelt, ebenso die Zahl der Armen. Und nun: Corona. Die Europäische Zentralbank (EZB) rechnet wegen der Pandemie mit einem erheblichen Konjunktureinbruch im gesamten Euro-Raum. Die Währungshüter sprechen von fünf bis zwölf Prozent – je nachdem, wie lange die Krise und die damit einhergehenden Beschränkungen der Wirtschaft noch andauern. In Italien ist das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal dieses Jahres bereits um 4,7 Prozent gefallen.
Vor allem der Tourismus, der mit einem Jahresumsatz von zuletzt 270 Milliarden Euro rund 15 Prozent der Wirtschaftskraft Italiens ausmacht, liegt komplett am Boden. Wann er sich wieder aufrappeln kann, will derzeit niemand vorhersagen. Die Staatsschulden, die nach denen Griechenlands die zweithöchsten in der Europäischen Union sind, lagen Ende 2019 ohnehin schon bei rund 135 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Im Klartext: Sie betragen derzeit 2,4 Billionen Euro. Vor der Krise, im Jahr 2007, waren es noch 1,6 Billionen Euro, rund 100 Prozent des BIP. Auch die Aussichten der Ratingagentur Fitch verheißen nichts Gutes. Sie hat ihre Bonitätsnote für Italien vor wenigen Tagen von „BBB“ auf „BBB-“ gesenkt, nur eine Stufe über Ramschniveau. Der Ausblick sei zwar „stabil“, hieß es. Doch die Agentur geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 um acht Prozent schrumpfen werde, die EU-Kommission spricht sogar von 9,5 Prozent. Der Schuldenstand hingegen wird wohl um 20 Prozentpunkte steigen. Auf 156 Prozent des BIP!
Ständig wechselnde Regierungen bremsen die Wirtschaft aus
Das Hauptproblem ist und bleibt hausgemacht: Die ständig wechselnden instabilen Regierungen waren in den vergangenen Jahren nicht in der Lage, die so dringend benötigten Reformen durchzusetzen. Ein ineffizienter Staatssektor, eine Justiz, die viel zu lange braucht, zu viel Regulierung und ein nach wie vor verkrusteter Arbeitsmarkt bremsten alle anderen Bemühungen regelmäßig aus. Der Dauerwahlkampf, in dem sich Italien seit Jahren befindet, hat das Land immer weiter ruiniert, Investoren systematisch abgeschreckt.
Trotz wirtschaftlicher Schockstarre wird in Rom auch in diesen Tagen politisch taktiert. So lehnte Ministerpräsident Conte die Hilfen aus dem Europäischen Rettungsschirm ESM zunächst ab – zu groß ist die Angst der Wähler vor einer haushaltspolitischen Gängelung von Seiten der EU-Geldgeber. Populisten wie Lega-Chef Matteo Salvini gießen zusätzlich Öl in das Nationalstolz-Feuer und sehen sich dadurch plötzlich wieder im Aufwind. Die EU scheint diese Gefahr hinter der Gefahr erkannt zu haben und ist Conte am Freitag entgegengekommen – die 37 Milliarden Euro, die Italien aus dem ESM für die Deckung der Corona-Kosten im Gesundheitssektor zustünden, sind kaum mehr an Bedingungen geknüpft. Nun muss Italien nur noch zugreifen. Doch auch die EU-Hilfen würden nur etwas Linderung verschaffen. Am wirtschaftlichen Kernproblem Italiens lösen sie nichts. Denn wo vor Corona kein Schwung war, kann auch nach Corona keiner kommen.