Der Frauenalltag im Rems-Murr-Kreis zur Zeit der Weimarer Republik ist ein Thema im neuen Buch des Heimatvereins Waiblingen. Der Band nimmt aber auch die Geschichte der Banken unter die Lupe.

Waiblingen - Keine einzige Frau hat es bei der Kommunalwahl in den Waiblinger Gemeinderat geschafft. In Backnang meisterte lediglich eine Kandidatin den Sprung in das Gremium. Das ziemlich niederschmetternde Wahlergebnis liegt inzwischen genau 100 Jahre zurück – und ist nur ein interessanter Aspekt von vielen, die Carolin Scheiner-Marx über die Situation von Frauen in der Weimarer Republik herausgefunden hat. Diese hat die Lehrerin aus Waiblingen in ihrer Abschlussarbeit an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd unter die Lupe genommen.

 

Wolfgang Wiedenhöfer, der Vorsitzende des Heimatvereins Waiblingen und Herausgeber des aktuellen Bands 20 in der Reihe „Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart“, hat die Forschungsergebnisse von Carolin Scheiner-Marx in das Buch aufgenommen. Sie zeigen anschaulich, welche Schwierigkeiten Frauen zu dieser Zeit bewältigen mussten. Eines von vielen Problemen war der Kleidermangel während des Ersten Weltkriegs, der beispielsweise dazu führte, dass Verstorbene per Erlass in Kleidung aus Papiergewebe bestattet wurden, welche man aus Brennnesselfasern produzierte. Dieses letzte Hemd sei „durchaus würdig“, ließ das Innenministerium verlauten. Und der „Remstalbote“ feierte gar den „vorzüglichen Webstoff“, der „durch Schönheit des Aussehens, durch Haltbarkeit und angenehmes Tragen die Baumwolle noch übertrifft“.

Mutterkorn für Schwangerschaftsabbrüche

Carolin Scheiner-Marx hat viel in Archiven geforscht und in Zeitungen geblättert. Sie ist dort auf Namen von Frauen gestoßen, die wegen Liebesbeziehungen zu Kriegsgefangenen an den Pranger gestellt wurden oder gar im Gefängnis landeten. Sie hat Berichte von Schwangeren entdeckt, die ihre neugeborenen Kinder aus Verzweiflung erstickten oder riskante Abtreibungen in Kauf nahmen. Und sie hat beispielsweise Anzeigen von Waiblinger Apotheken aufgetan, die zum Sammeln des giftigen Mutterkorns aufriefen, das für Schwangerschaftsabbrüche verwendet wurde.

Der Historiker Simon Gonser wirft hingegen in seinem Beitrag einen Blick auf die Zeit des Wirtschaftswunders und die Entwicklung der Bankenbranche in den 1950er- und 60er-Jahren, schildert aber auch die Rolle, welche die Geldinstitute vor dieser Zeit insbesondere für den kleinen Mann im Rems-Murr-Kreis spielten – nämlich so gut wie keine. Das änderte sich erst, als Unternehmen Ende der 50er-Jahre die Banken drängten, ihnen mittels Bankkonten für jedermann die bargeldlose Gehaltszahlung zu ermöglichen. Die Idee habe wegen der damit verbundenen Arbeit und den Kosten bei den Banken erst wenig Begeisterung ausgelöst, schreibt Simon Gonser. Und auch die Bürger seien zunächst skeptisch gewesen: Manch einer habe am Zahltag seinen kompletten Lohn abgehoben und lieber daheim aufbewahrt.

Jagoda Marinic über „unsichtbare Waiblinger“

Was der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora mit dem Cannstatter Volksfest zu tun hat, erfahren Leser im Beitrag von Wulf Wager. Knut Görich gewährt in seinem Aufsatz einen neuen Blick auf einen alten Kaiser: auf Friedrich Barbarossa. Hartmut Jericke nimmt sich den Stauferkaiser Heinrich VI. vor.

Die aus Waiblingen stammende Autorin Jagoda Marinic hat sich Gedanken zu ihrer Heimatstadt als literarischem Ort gemacht, sie geht der Frage nach, ob Literatur politisch sein kann und soll – und beantwortet dies mit ja. Die Geschichte der „unsichtbaren Waiblinger“, der Einwanderer, der sogenannten Gastarbeiter, müsse endlich erzählt werden, fordert Jagoda Marinic, denn die Zeit dränge. Gibt es unsichtbare Waiblinger? Nein, argumentiert Marinic, aber blinde. Und Aufgabe der Literatur sei, diese sehend zu machen.

Hier ist das Buch erhältlich

Band 20 der Reihe „Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart“ hat 285 Seiten, kostet zwölf Euro und ist in Waiblinger Buchhandlungen sowie beim Heimatverein unter www.heimatverein-waiblingen.de erhältlich.