Adnan Emin ist einer von vielen Migranten, die die Flüchtlinge in Stuttgart unterstützen. Ein großer Vorteil: er ist vertraut mit der Mentalität vieler Bewohner der Unterkunft in Bad Cannstatt in der Nähe der Schleyerhalle.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Sitting Room, Aufenthaltsraum“ steht auf dem Blatt Papier, das an der Wand hängt, neben der englischen und der deutschen auch die arabische Version. Vor allem junge Leute sitzen hier und ein paar Frauen mit Kopftüchern. Manche telefonieren, andere reden, im Gang zu den Schlafcontainern fährt ein Junge Roller. Flüchtlinge haben mit ihren Betreuern bunte Girlanden aufgehängt, ein paar Farbtupfer im funktionalen Ambiente.

 

Als Adnan Emin vorbeischaut, spricht ihn eine Frau aus Syrien mit betrübter Miene an. Sie sorgt sich um ihr krankes Kind, der Arzt habe gar nicht geholfen. Emin beruhigt die Frau, es sei nichts Schlimmes. „Wenn in Syrien ein Arzt keine Medikamente gibt, ist er ein schlechter Arzt“, erklärt der 45-Jährige das Verhalten.

Viele Helfer sind mit den Mentalitäten vertraut

Adnan Emin ist vertraut mit der Mentalität vieler Bewohner der Unterkunft hinter der Schleyerhalle, etwa die Hälfte sind Syrer. Und er weiß, was Flucht bedeutet. Der Kurde stammt aus Qamischli, einer Stadt im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. Emin war damals „radikaler Regimegegner“, wie er sagt, und politisch aktiv. Vor 15 Jahren ist er selbst von dort geflohen, nach mehreren vorangegangenen Verhaftungen hat er sich dem Zugriff der syrischen Machthaber entzogen.

Adnan Emin hat viel aufgegeben. An der Universität Aleppo studierte er Medizin im zwölften Semester. „Chirurg wollte ich werden“, erzählt er. In Deutschland konnte er nicht zu Ende studieren, auch weil ihm Sprachkenntnisse fehlten und der Zugang zu Kursen schwierig war. So arbeitete Emin erst bei einer Baufirma, dann machte er sich selbstständig und exportierte Zahnimplantate in den Nahen Osten.

Der helfende Arm reicht bis nach Syrien

In diesen Jahren war der Vater von drei Kindern immer auch ehrenamtlich tätig. Mit Gleichgesinnten in einer Hilfsorganisation hat er Hilfsgüter nach Syrien gebracht. „75 Krankenwagen und einige hundert Tonnen Medikamente“, zählt Emin auf. Im Bürocontainer klappt er seinen Laptop auf: Ein Foto zeigt Zelte eines Flüchtlingslagers in der Türkei, ein anderes eine inzwischen zerstörte Krankenstation in Kobanê, die er und seine Mitstreiter eingerichtet hatten.

In der gegenwärtigen Flüchtlingskrise will Adnan Emin nicht nur am Rande stehen und zuschauen. „Meine Lebensphilosophie ist, anderen zu helfen“, sagt der 45-Jährige. „Die Freude des anderen ist meine Freude“, zitiert der Kurde die linke Literaturlegende Pablo Neruda. Nach mehreren Kontakten mit Behörden und Hilfeträgern kann er diese Haltung nun in der Flüchtlingskrise auch praktizieren. „Doktor Emin“, wie manche ihn freundlich-anerkennend nennen, ist seit einigen Monaten Angestellter der Firma Campanet, die eine ganze Reihe von Flüchtlingsunterkünften in Stuttgart organisiert. In der Solitude-Turnhalle in Weilimdorf ist er Heimleiter, in der Logistikhalle an der Mercedesstraße, die mit 350 Menschen belegt ist, leistet er Aufbauarbeit. Die Anfangsphase, bis sich alles eingespielt hat, ist stets schwierig. „Wenn die Leute dann ruhiger sind, kann ich wieder gehen“, ist Emins Erfahrung.

Migranten als Helfer und „Brückenbauer“ gefragt

„Salem Aleikum“ begrüßt er eine Frau, die aufgelöst mit ihrem Sohn in den Bürocontainer kommt, weil sie nicht weiß, wie es mit den Kindern weitergeht. „Schon organisiert, die kommen in die Schule“, sagt Adnan Emin. Mit ein paar Sätzen bringt er die weinende Mutter wieder zum Lachen. „Ich mag die Menschen, und ich will ihnen beibringen, wie es hier ist.“ Auch jenen, die mit falschen Erwartungen nach Deutschland kommen. „Es gibt Leute, die meinen, sie kriegen alles wie per Mausklick“, hat der Flüchtlingshelfer festgestellt. „Denen sage ich, dass es das nirgendwo gibt.“ Bei Klagen über die Unterbringung ist die Reaktion des Syrers eindeutig: „Das hier ist eine Fünf-Sterne-Unterkunft.“

Wenig erfreut ist der gläubige Muslim, der jeden Tag seine Gebete nach der Vorschrift verrichtet, dass die Religionszugehörigkeit, die früher in seiner Heimat keine große Rolle gespielt habe, wichtiger geworden sei. „Ich bin ein Mensch“, antwortet Adnan Emin, wenn er mal wieder gefragt wird, ob er Schiit oder Sunnit sei. Die deutsche Flüchtlingshilfe hält er für vorbildlich, er hofft, dass noch mehr Sprachkurse angeboten und mehr Migranten wie er in die Flüchtlingsarbeit einbezogen werden. „Ich bin sehr dankbar dafür, was man uns gibt. Mehr kann man nicht machen.“

Was sonst noch im August in Stuttgart geschehen ist:

1. August
: Bei ihrer Premiere in der Etzelstraße am Bopser lockt die 300 Meter lange „City Slide“-Rutschbahn mehr als 2000 Besucher an.

7. August:
An der Wetterstation Schnarrenberg wird mit 38,8 Grad die höchste Temperatur seit Beginn der Aufzeichnungen 1951 registriert.

17. August
: Gerhard Mayer-Vorfelder stirbt im Alter von 82 Jahren an Herzversagen. Zur Trauerfeier in der Domkirche St. Eberhard kommen Repräsentanten aus Politik, Sport und Gesellschaft.

25. August
: Bei einem Unfall am Stöckach entgleisen zwei Stadtbahnen. Acht Menschen werden verletzt, fünf Linien sind stundenlang gestört.

28. August:
Die Universität Stuttgart meldet mit 31 300 Bewerbern einen Rekord. Als unerwarteter Spitzenreiter bei der Nachfrage stellt sich der erstmals angebotene Masterstudiengang Betriebswirtschaftslehre heraus.